Gedankenspiele: Über zweite Chancen
Im März dieses Jahres erschien Slain, ein an Castlevania erinnerndes Metal-Manifest, das in frühen Trailern und Screenshots außerordentlich vielversprechend aussah und eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne hinter sich hatte. Im März hätte auch meine Rezension zu Slain erscheinen sollen, doch dazu kam es nicht. Der untragbare Zustand des Spiels ließ mich sprachlos zurück. Es war technisch unsauber, ließ sich nicht vernünftig steuern und war inhaltlich leer und repetitiv. Statt dies zum Anlass zu nehmen, Slain in jener heißen Luft zu zerreißen, die es mir im Vorfeld ins Gesicht gepustet hat, suchte ich den Kontakt zu den Entwicklern. Doch mein Fragenkatalog, dessen Beantwortung das Ausmaß der Enttäuschung begreifbar machen sollte, blieb unerwidert. Also deinstallierte ich Slain, hüllte es sanft in den Mantel des Schweigens und vergaß schon bald seine bloße Existenz.
In den Wochen nach der Veröffentlichung zerfiel das Team hinter Slain und zwang dessen Kopf Andrew Gilmour dazu, sich und sein Spiel mit frischen Leuten neu zu erfinden. Es war klar, dass mehr als einige Bugfixes und Patches nötig waren, um Slain seiner ursprünglichen Vision wieder näher zu bringen und so entschied man sich zu einer zeit- und kostenintensiven Grundsanierung. Anfang August erschien die restaurierte Version schließlich mit dem passenden Namenszusatz “Back from Hell”, begleitet von einer zweiten Kopie für jeden Erstkäufer als Zeichen der Wiedergutmachung. Ein in jedweder Hinsicht verbessertes Spiel, das aktualisierte Besprechungen und eine größere Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte. Doch das Interesse an dieser erstaunlichen Wiedergeburt war praktisch kaum messbar.
Videospiele sind im Vergleich zu anderen Unterhaltungsmedien oft nur als Momentaufnahme greifbar. Ihr beständiges Potenzial zur Verbesserung, Verformung und ihre Fähigkeit zum steten Wachstum machen sie einzigartig, doch wird diesen Attributen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum Rechnung getragen. Die Chance auf einen guten Ersteindruck will genutzt werden, ansonsten brandmarken miese Wertungszahlen die eigene Stirn bis in alle Ewigkeit. Gerade ein kleineres Projekt wie Slain hätte von einigen Nachtests unheimlich profitieren können, doch Spielejournalismus ist letzten Endes immer noch Tagesgeschäft. Titel werden um deren Erscheinungstermin herum verhandelt und sind nach einigen Monaten aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, insbesondere, wenn kein gutes Haar an ihnen gelassen wurde. Einen gewissen Freiraum für Fehler sucht man, nicht zuletzt bedingt durch das unüberschaubare Überangebot an anderen großartigen Titeln, vergebens.
Und auch ich bin längst weitergezogen. Mein Interesse an der positiven Entwicklung von Slain mag zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich professioneller Natur sein, doch auf persönlicher Ebene wünsche ich mir, dass dieses Spiel seine schmachvolle Vergangenheit hinter sich lassen kann. Denn bei all der berechtigten Unzufriedenheit, die mit enttäuschten Erwartungen und unerfüllten Verheißungen einhergeht, sollte man nicht vergessen, dass niemand jemals bewusst versucht, negative Reaktionen auszulösen. Für das bestmögliche Ergebnis fehlt es leider viel zu oft an Zeit und Geld. Somit ist das traditionelle Selbstverständnis, dass eine Version 1.0 eine abgeschlossene Entwicklung darstellt, spätestens seit dem Einzug der Onlinefähigkeit von Konsolen überholt. Und mit jeder weiteren Verlaufsnummer droht einer Wertungszahl ein ähnliches Schicksal.
Bestimmte Automatismen kann man sich wohl einfach nicht mehr abgewöhnen. Wenn die üblichen Regeln des Spielemarktes greifen, wird Slain auf ewig an seinem miserablen Verkaufsstart gemessen werden, so wie No Man’s Sky schon wenige Wochen nach dessen Veröffentlichung fast ausschließlich als Lügendetektor für dessen Chefentwickler Sean Murray herangezogen wird. Manchmal fühlt sich ein Spiel eben unfertig an, weil es genau das ist: unfertig. Als hätte jemand eine halbbemalte Leinwand ins MoMA gestellt. Im Falle von No Man’s Sky ist zu erwarten, dass die finalen Pinselstriche erst nach seiner Ausstellung gesetzt werden. Und vielleicht entsteht so irgendwo im luftleeren Raum am Ende doch noch das Meisterwerk, das einst versprochen wurde, bevor es an seinen überholten Urteilen direkt wieder ersticken wird.
Wer ein gutes Herz hat und dem angesprochenen Slain eine faire Chance geben will, sollte an dieser Stelle einen Kommentar hinterlassen, welche weiteren Spiele sich trotz ähnlich verkorkster Erstveröffentlichung einen zweite Blick verdient hätten. Unter allen Einträgen verlosen wir einmal die Steam-Version des Spiels. EINMAL! Nicht für jeden! Wir sind hier schließlich nicht bei Oprah.