Zwei Tage lang trieb ich mich in einem 3D-Sexchat herum,
hatte Sex mit dem Leibhaftigen und führte Gespräche übers Fremdgehen.
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3DXChat
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Zwei Tage lang trieb ich mich in einem 3D-Sexchat herum,
hatte Sex mit dem Leibhaftigen und führte Gespräche übers Fremdgehen.
Ich sitze allein auf dem Sofa, vor mir eine halbleere Schale Chips und zwei bereits geöffnete Bierflaschen. Mit starrer Miene blicke ich in die Leere, während die Nachmittagssonne mein modern eingerichtetes Appartement in warmes Licht taucht. Hoffend, dass sich vielleicht jemand hierher verirrt und die eiserne Stille mit einem freundlichen Gruß durchdringt, öffne ich die Tür. Warte. Doch es kommt niemand. Dreißig Minuten später habe ich an einem Strand Sex in allen erdenklichen Positionen – vorwärts, rückwärts, seitwärts, hoch in der Luft und mit dem Rücken im Sand.
Sexchats bringen das Versprechen mit sich, auch schüchternen Menschen unkomplizierte Kontakte zu ermöglichen, ganz gleich ob auf platonischer oder unmittelbar sexueller Basis. „Du chattest einfach nur mit den Avataren anderer Leute und wirst dich daran gewöhnen, mit ihnen zu reden“, so heißt es. Doch ganz so unkompliziert ist es dann doch nicht. Die ersten Stunden in SexGameDevils 3DXChat verbringe ich damit, ziellos auf den Tanzflächen der drei verfügbaren Clubräume umherzuirren und in eine Masse von Menschen hineinzustolpern, die wie eine eingeschworene Gemeinschaft erscheint.
Einige Paare tanzen eng umschlungen, andere wild hüpfend, drei Franzosen lehnen lässig an der Bar und betrachten das Geschehen aus sicherer Distanz. Und dazwischen hänge ich, konfus durch die verfügbaren Tanzbewegungen wechselnd, die mit den wenig hilfreichen Bezeichnungen „Dance 1-13“ versehen sind und so nicht gerade zu eleganten Bewegungsabläufen beitragen. Nachdem das unwürdige Gehampel wenig überraschend keine romantischen Kontaktgesuche hervorgebracht hat, gebe ich schließlich auf und trete den Rückzug an.
Mein Avatar ist ein Imperator-Furiosa-Double – jedenfalls das beste, das ich dem Charaktereditor entlocken konnte. Der wartet, nachdem man sich für eine männliche oder weibliche Figur entschieden hat, mit einigen Optionen auf und lässt sogar Modifikationen von Details wie Augenbrauen oder Essentiellem wie der Körperform zu. Doch die Komplexität ist nur eine scheinbare, denn die so zahlreichen Optionen sind alle auf dem wenig umfangreichen Spektrum zwischen Super- und Topmodel angesiedelt. Neugierig drehe ich sämtliche Körperregler auf Anschlag, verbreitere Hüfte, Oberschenkel, Arme und Hintern, aber das erhoffte Ergebnis bleibt aus.
Zwar ist es möglich, aus einer Vielzahl von Hautfarben und Gesichtsformen auszuwählen und damit problemlos etwa asiatisch oder afro-amerikanisch anmutende Avatare zu erschaffen, doch der ethnischen Vielfalt steht ein klarer Fokus auf Pornoideale gegenüber, von denen auch die verfügbare Garderobe bestimmt wird. Abgesehen von Jeans und T-Shirt gibt es für die weiblichen Nutzer ausschließlich Fetischkleidung. Die mag in einem Sexspiel nicht deplatziert sein, steht aber primär den Frauen zur Verfügung, während die männlichen Spieler mal mehr, mal weniger salopp in Hemd und Hose oder edlen Anzügen durch die virtuelle Welt schlendern.
Diese kleiderspezifische Geschlechtertrennung reicht so weit, dass weibliche Avatare mit hockhackigen Schuhen bestückt werden müssen – eine Alternative gibt es nicht. Den High Heels ernsthaft abgeneigt, beschließe ich denn resignierend und ein wenig trotzig, Furiosa mit ihren auf Pornoschuhwerk zugeschnittenen, baren Füßen umhertrippeln zu lassen. Und sie „Bumsi“ zu taufen. Während im Hintergrund Björk „All is Full of Love“ singt, durchzieht mich vor allem Frust, weil schon jetzt deutlich wird, dass der 3DXChat definitiv nicht dafür konzipiert ist, meine persönlichen Vorlieben zu bedienen.
Ansprechen dürfte er vor allem jene, die dem klassischen Porno zugetan sind und dessen Erweiterung um eine interaktive Komponente schätzen. Über die Interaktion mit anderen Menschen hinausgehend, bietet das Spiel mit seiner VR- und VStroker-Untersützung zusätzliche Immersionshilfen, die ich selbst in Ermangelung von technischer Ausrüstung und körperlicher Ausstattung nicht testen konnte.
Nach viel allein verbrachter Zeit, verliere ich die Geduld. Denn so unterhaltsam es auch ist, ausgerechnet „Bumsi“ als gescheiterte Existenz und Gefangene ihrer eigenen Introvertierheit zu inszenieren, ist das Ziel meines Aufenthalts, einen repräsentativen Eindruck von diesem 3D-Chat zu gewinnen – und zu dem gehört allen voran Sex. Kurzentschlossen setze ich meinen Avatar an den Strand, befreie ihn von jeglicher Kleidung und starte per Knopfdruck den Masturbationsmodus.
Kaum beginnt Bumsi, sich ungelenk zu befingern, gesellt sich D. zu ihr. Höflich grüßt er und fragt, wie es mir ginge, um gleich im Anschluss eine Partnerschaftsanfrage zu schicken, die es uns ermöglicht, den virtuellen Sex einzuleiten. Im Mondschein klicken wir daraufhin auf Posen, die unsere Avatare prompt einnehmen, während sie immermal wieder automatisiert aufstöhnen und die jeweiligen Handlungen von Schmatz- und Sauggeräuschen untermalt werden. Ich klicke auf das Mundsymbol, mit dem intensiveres Stöhnen veranlasst werden kann, schiebe den Geschwindigkeitsregler hin und her und versuche derweil auch noch, halbwegs brauchbaren Dirty Talk im privaten Chat zu betreiben. Wirklich gut gelungt uns das beiden nicht.
Überhaupt steht und fällt vieles mit der inhaltlichen Qualität auf der textuellen Ebene. Weil die – wenngleich große – Auswahl möglicher Positionen eben doch gewisse Einschränkungen mit sich bringt, muss man zwangsläufig auf verschriftlichte Ergänzungen zurückgreifen. Als ich einen anderen Chatraum betrete und mich zu einem bereits aktiven Paar geselle, klappt das erstaunlich gut. Während sich C. Eher schweigsam präsentiert und nur gelegentlich sehr knapp auf Fragen antwortet, beschließen S. und ich, in gnadenloser Übertreibung zu schwelgen und werfen mit den ausschweifendsten Ideen um uns. Dazu gehört auch die Nutzung einer Besonderheit, die in dem sonst eher massentauglichen Spiel fast deplatziert erscheint: Weibliche Charaktere können entweder auf Strap-Ons zurückgreifen oder sich per Knopfdruck einen echt aussehenden Penis zulegen, für dessen Stimulation es eigene Positionen gibt.
Dieser Funktion ist es zu verdanken, dass sich im Chat eine aktive Trans*-Szene gebildet hat, die sich in eigenen, gut besuchten Räumen zusammenfindet. Viele der dort anzutreffenden Nutzer_innen scheinen tatsächlich transsexuell zu sein oder sich zumindest begeistert in diese Rolle hineinzudenken, schmücken sie ihre Profile doch mit expliziten Fotos von Menschen, die Brüste und/oder Penisse gleichermaßen zur Schau stellen, und beschreiben bisweilen sogar ihren privaten Werdegang.
Außerhalb der im Spiel so genannten „Futanari“-Räume scheint der optionale Penis zwar tendenziell wenig Anklang zu finden, doch S. ist begeistert. Bald ergehen sich Bumsi und er in einem Analsexmarathon, der so ausdauernd ausfällt, dass C. irgendwann die Geduld verliert und kommentarlos verschwindet. Kaum ist der Sex allerdings beendet, tut S. es ihr gleich und macht sich mit einem knappen „ty“ aus dem Staub. Assoziationen mit E-Sportlern werden wach, die sich nach einem guten Match mit der Buchstabenkonstellation „gg“ („good game“) verabschieden. Komprimierte Höflichkeit nach einem mechanischen Akt.
Am nächsten Tag komme ich nicht umhin, selbst die Flucht zu ergreifen, und das frühzeitig. Kaum setze ich Bumsi auf eine leere Couch in einem von aktiven Paaren genutzten Raum, fragt mich A., eine in Spitzendessous gekleidete Frau mit Brille und langem, dunklen Haar unvermittelt: „Deutsch?“ Als ich die Frage bejahe, laden sie und ihr „Meister“ M. mich prompt zu einer Ménage-à-trois ein, deren bestimmender Ton mir ganz und gar nicht behagt. „Na bumsi gefällt dir das [sic] der pracht schwanz über dir??“, hält M. direkt nach, und legt damit den verbalen Grundstein für ein sehr kurzes Intermezzo, das mich an schlechte Privatpornos aus ostdeutschen Dorfgemeinden denken lässt. Ich entschuldige mich freundlich, verlasse den Innenbereich der Yacht und sehe beim Gang durch die Tür noch mit einem Auge, wie Meister M. seine Sklavin zweifellos mächtig „rammelt“ oder „poppt“.
Nach dem Sex mit einem Rollenspieler, der sich „Beelzebub“ nennt und als schwarzhäutiger Dämon mit Hörnern und Nietenhalsband präsentiert, verliere ich zunehmend das sehr begrenzte Interesse an diesem Part des Spiels. Avataren beim zwar flüssig animierten, aber trotzdem seltsam leblos wirkenden Akt zuzusehen und derweil allerlei Sexphrasen in den Chat zu schmeißen, reizt mich einfach nicht. Und wenn man vor allem mit der bohrenden Frage befasst ist, wie man bestimmte Geräusche am besten lautmalerisch einfängt, bleibt ohnehin wenig Raum für erotische Spannung.
Vor diesem Problem steht auch G., der sich ebenso wie ich neugierig in einem Raum namens „Sex Therapy“ einfindet. Da der Avatar des selbsternannten Therapeuten regungs- und sprachlos in seinem Stuhl sitzt, fällt mir nach einer Weile seine Rolle zu. G. Ist ebenfalls Deutscher und spricht nur radebrechend Englisch, weswegen er sich gehemmt fühlt, Kontakte mit den zahlreichen Französinnen, Russinnen und Amerikanerinnen zu initiieren. Wir unterhalten uns eine Weile über sprachliche Hürden, die Qualitäten des Chats und erste Erfahrungen vor Ort. Ich rate ihm, seine Partnerinnen in spe einfach um ein wenig Unterstützung zu bitten oder Paare zu fragen, ob er sie beim virtuellen Sex beobachten darf. Da im 3DXChat selbige ohnehin am laufenden Band auf Tanzflächen, am Strand oder in gut besuchten Bars übereinander herfallen, erscheint diese Möglichkeit nicht abwegig.
Und genau das ist U. zufolge eines der größten Probleme des Chats. U. ist laut Selbstbeschreibung ein bisexueller Hermaphrodit mit androgynen Zügen und bietet in seinem/ihrem Profil an, diesbezügliche Fragen jederzeit zu beantworten. Ich nutze die Chance und beginne ein sehr angenehmes und andauerndes Gespräch mit ihm/ihr. „Manche Leute wollen Sex auf den Tanzflächen der Clubs haben“, sagt U., „aber wenn du gerade mit deinem Date tanzt und versuchst, ein romantisches Gespräch zu führen, ist ein solcher Anblick eher nicht stimmungsfördernd“. Tatsächlich scheint ein erheblicher Teil der Nutzer_innen weniger an schnellem Sex als an intensiven, intimen Situationen oder gar Beziehungen interessiert zu sein. Viele von ihnen führen in ihren Profilen in langen Listen Namen von besten Freund_innen, Beziehungs- oder gar Ehepartner_innen auf und widmen ihnen ausschweifende Liebeserklärungen. Wie U. mir verrät, sind darunter nicht nur spielintern Verheiratete, die ihre virtuellen Hochzeiten exzessiv und mit offiziell geladenen Gästen feiern, sondern tatsächliche Ehepaare, die gemeinsam durch den Chat streifen.
Andere indes können mit ihren Vorlieben weniger offen umgehen. T., mutmaßlich einer der wenigen Muttersprachler im Chat, stellt sich nach einer Weile als 50-jähriger verheirateter Mann vor, der ohne das Wissen seiner Frau virtuelle Affären unterhält. Als ich ihn frage, ob er jemals mit ihr offen über seine Fantasien gesprochen habe, verneint er und sagt „sie würde es nicht verstehen“.
Vor der Erstellung meines Accounts habe ich intensiv mit meinem Partner darüber gesprochen, ob und unter welchen Bedingungen er mit diesem Experiment einverstanden ist. Dass ich Sexspiele teste, war bislang nie ein Problem, wohl aufgrund unserer geteilten liberalen Einstellung zu Pornos und der Tatsache, dass die meisten dieser Titel über merkwürdig abstrahierte Ideen von Sex nicht hinausgehen. So krude auch das Geschehen im 3D-Chat sein mag, liegt der entscheidende Unterschied jedoch in der Interaktion mit anderen Menschen. Im bewusst herbeigeführten Sex mit anderen Menschen. Und der wird auch im Falle rein investigativer Absichten in Echtzeit praktiziert.
Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit Cybersex ging ich zwar von vornherein davon aus, keinen besonderen Reiz in diesen Aktivitäten zu sehen, aber es schien mir extrem wichtig, jegliche Unsicherheiten auszuräumen. „Bumsi“ war daher nicht nur ein Zeichen meines persönlichen Trotzes, sondern auch ein Zugeständnis an meinen Partner. Hätte er ungeachtet dessen kein Verständnis signalisiert oder sich zwischenzeitlich anders entschieden, wäre dieser Artikel nicht entstanden.
Umso bedauerlicher erscheint es mir, dass T. sich täglich während seiner Arbeitszeit in den Chat einloggt, damit seine Ehefrau nichts davon erfährt. Wir unterhalten uns noch eine Weile über alternative Beziehungskonzepte und den Wunsch, im virtuellen Raum mit der eigenen Sexualität zu experimentieren. Danach verabschiede ich mich. Einzuwenden, dass die sexuelle Beziehung zu seiner Gattin so „healthy“ vermutlich nicht ist, wenn er seine Fantasien vor ihr geheimhalten muss, traue ich mich letztlich nicht.
Und generell manifestieren sich in dieser Hinsicht unterschiedlichste Probleme im vermeintlich weltoffenen, virtuellen Raum. Immer wieder hört und liest man entnervte Stellungnahmen, die verlautbaren lassen, dass man kein „Drama“ wünsche. Wie U. mir erklärt, brechen die Online-Beziehungen wohl regelmäßig auseinander, und das in aller Chatöffentlichkeit. Immer wieder finden Menschen heraus, dass ihre „Partner_innen“ Sex außerhalb der Beziehung haben, und stellen die Fremdgehenden dann ausgerechnet in der Bar oder beim Tanzen zur Rede – „schreiend“, mit nicht enden wollenden Caps-Lock-Salven.
Doch die Wahrnehmung der spielinternen Beziehungen geht naturgemäß weit auseinander. Während die einen entnervt auf Dramen und die augenscheinlich zahlreichen jungen Männer verweisen, die sich als Frauen ausgeben, preisen andere den Zusammenhalt und die Freundlichkeit innerhalb der Gemeinschaft. Selbst habe ich überwiegend positive Erfahrungen gemacht, denn alle intensiveren Gespräche waren von Höflichkeit und offenbar aufrichtigem Interesse geprägt. U., T. und ein in Serbien lebender Exilkubaner namens E. schicken mir schließlich auch Freundschaftsanfragen zu und betonen, wie sehr sie sich über eine erneute Begegnung freuen würden. Ich erkläre offen, nur als Journalistin zugegen zu sein und nach dem zweiten Tag nicht wiederzukehren. Aus dieser merkwürdigen Welt tilgen möchte ich Bumsi anschließend dennoch nicht, um keinen meiner neugewonnenen Freunde vor den Kopf zu stoßen. So wird sie denn ewig weiter in ihrem privaten Rückzugsraum existieren und womöglich mit Chips und Bier auf dem Sofa sitzen.