Random Encounters: Interview mit Spiele-Entwicklerin Nina Freeman

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Nina Freeman hat eine beeindruckende Karriere hingelegt: Nachdem die heute 26-jährige US-Amerikanerin 2012 erstmals das digitale Spiel anstelle der Poesie als Ausdrucksform gewählt hatte, dauerte es lediglich zwei weitere Jahre, ehe ihr der Durchbruch gelang. Mit How Do you Do It, einem Game-Jam-Spiel, das sie zusammen mit Emmet Butler, Joni Kittaka und Decky Coss entwickelte, verewigte sie sich prompt auf diversen Bestenlisten – vor allem solchen, deren Schwerpunkt Sex und Intimität in Spielen war. In diesem Jahr wurde sie vom Guardian zum “punk poet of gaming” und vom Magazin Forbes zu einer der dreißig einflussreichsten Persönlichkeiten unter dreißig Jahren in der Spielebranche ernannt. Im Gespräch mit Nina konnte ich mehr über ihre sehr intimen, interaktiven Geschichten, ihren Umgang mit Kritik und die Arbeit an Fullbrights neuem Titel Tacoma in Erfahrung bringen.


English version below.

Nina Kiel Die meisten Deiner Spiele beziehen sich auf persönliche Erlebnisse. Was treibt Dich dazu, diese zum Teil sehr intimen Geschichten zu erzählen? Wie fühlt es sich an, anderen Menschen einen kurzen Blick in Dein Privatleben zu gestatten?

Nina FreemanBevor ich damit anfing, Spiele zu entwickeln, studierte ich Dichtkunst und schrieb auch selbst Gedichte. Damals interessierte ich mich sehr für das Schaffen der “New York School”-Dichter und von Leuten wie Frank O’Hara und Elizabeth Bishop. Diese Dichter_innen schrieben häufig über ihr persönliches Leben und Alltagserfahrungen. Das inspirierte mich und ich versuchte, in meinen Gedichten ebenfalls persönliche Geschichten zu erzählen. Als ich dann anfing, Spiele zu entwickeln, spielte meine Erfahrung als Dichterin eine große Rolle, denn viele meiner Spiele kreisen um genau die Themen, die ich zuvor schon erforscht hatte.

Wenn ich diese persönlichen Erlebnisse in meine Arbeit einbinde, behandle ich sie eher wie fiktive Geschichten. Ich biete also anderen Menschen nicht zwingend einen Einblick in mein Leben – ich nutze stattdessen mein Leben als Grundlage für Geschichten. Ich wähle die wichtigsten Elemente meiner persönlichen Erfahrungen und fasse sie in einer fiktiven Geschichte zusammen, die das vermittelt, was meiner Meinung nach am Wichtigsten daran ist. Mir ist es wichtig, viel kritische Distanz zu diesen Geschichten zu gewinnen, um Figuren erschaffen zu können, die so klar und ehrlich wirken wie möglich.

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Nina Kiel Jede_r Spieleentwickler_in wird gelegentlich mit harschen Rezensionen und Kommentaren konfrontiert, und Du bist da keine Ausnahme. Fällt es schwerer mit dieser Art von Resonanz umzugehen, wenn Du selbst die Hauptfigur Deines Spiels bist und die Geschichte auf Deinen persönlichen Erfahrungen basiert?

Nina FreemanWie schon gesagt gehe ich mit den persönlichen Geschichten, die ich in meinen Spielen erzähle, wie mit fiktiven Ereignissen um. Ich nutze sie, um stimmigere, besser zusammenhängende Erzählungen zu entwickeln. Die Kritik fühlt sich deshalb nicht an wie eine persönliche Beleidigung – ich nehme sämtliches Feedback gerne an und überlege mir dann, wie ich es nutzen kann, um beim nächsten Mal eine bessere Geschichte zu erzählen.

Nina Kiel Melden sich umgekehrt auch Menschen bei dir, um dir mitzuteilen, dass sie sich mit diesen Geschichten identifizieren können? Mir erging es jedenfalls so, gerade in Bezug auf Cibele. Auch wenn das Spiel eine sehr persönliche Geschichte erzählt, wirkt sie zugleich universell.

Nina FreemanViele Leute haben sich nach dem Erscheinen von Cibele bei mir gemeldet, um ihre persönlichen Erlebnisse mit mir zu teilen. Es ist cool, von so vielen Leuten zu erfahren, die sich von der Geschichte angesprochen fühlen! Onlinebeziehungen – und gerade solche, die in MMOs entstehen – sind viel gängiger als die meisten Menschen glauben.

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Nina Kiel Du lässt deine Spieler_innen sehr intensiv an deinem Leben teilhaben und in Cibele teilst du sogar alte Fotos und Chatlogs mit ihnen. Wie fühlst Du Dich, wenn Du daran denkst, dass wildfremde Menschen Dein persönliches Archiv durchstöbern?

Nina FreemanDie im Spiel enthaltenen Ephemera sind eine Mischung aus altem Kram, den ich auf meinen Festplatten gefunden habe, und anderen Dingen, die ich eigens für die Geschichte anfertigen musste. Alles, was du auf Ninas Computer im Spiel findest wurde dort bewusst platziert, um zu erklären wer Nina ist, um die Geschichte und ihren Kontext besser verstehen zu können. Auch wenn also einige dieser Sachen echt sind, haftet ihnen im Spiel nichts Persönliches mehr an. Sie sind da, um den Spieler_innen zu erleichtern, sich in Nina hineinzufühlen, ihren Computer an ihrer Stelle zu benutzen und diese Dateien zu betrachten, als wären sie ihre eigenen.

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Nina Kiel In deinem Spiel “How Do You Do It” befasst du dich mit den ersten, neugierigen Versuchen eines kleinen Kindes, Sex zu verstehen, indem es zwei Barbie-Puppen aneinanderklatscht. Am Ende des Spiels, als die Mutter heimkehrt, versteckt die junge Protagonistin ihre Puppen ganz schnell. Galt Sex in deiner Familie als Tabu, über das man nicht reden konnte?

Nina FreemanJa, Sex war damals definitiv ein Tabuthema in unserem Haushalt. Ich glaube, das ist es für viele amerikanische Kinder. Die Hauptfigur fühlt Unbehagen, weil sie mehr über ein Tabuthema erfahren will, aber fürchtet, dass sie Ärger kriegen könnte, wenn sie offen danach fragt. Ich wollte diese innere Unruhe durch das unbeholfene Spielen mit den Puppen erforschen.

Nina Kiel Glaubst du, dass es heutzutage für Kinder leichter ist, an dieses Wissen zu gelangen?

Nina FreemanDa ich keine Kinder habe, bin ich mir nicht sicher… aber ich hoffe, dass es leichter ist! Ich denke, dass es wichtig für Menschen jeden Alters ist, offen über Sex und Sexualität reden zu können – und darüber, wie sie unser Leben beeinflusst.

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Nina Kiel Im vergangenen Jahr hast du Freshman Year veröffentlicht, eine kurze interaktive Geschichte über sexuelle Belästigung, in der es kein echtes Happy End gibt. Ganz egal, was die Hauptfigur auch tut, sie wird immer mit übergriffigem Verhalten in einem Nachtclub konfrontiert. Wie fühlten sich die Spieler_innen nach diesem Erlebnis? Wie sollten sie sich fühlen?

Nina FreemanDie Identifikation mit einem fiktiven Charakter ist etwas, das ich sehr spannend finde. Ich denke daher immer darüber nach, wie ich den Spielenden dabei helfen kann, die individuellen Erfahrungen eines Charakters besser zu verstehen, um sich in ihn hineinzufühlen. In Freshman Year sollten die Spieler_innen diese eine Erfahrung nachvollziehen können – die Erfahrung, in einer Bar sexuell belästigt zu werden. Alternative Enden gibt es nicht, weil das Spiel diese eine Geschichte erzählt. Die Entscheidungen im Spiel sollen es den Spieler_innen erleichtern, sich in Nina zu versetzen und sich zu überlegen, was Nina gerade denkt. In dem Spiel geht es darum, Ninas Erlebnis nachvollziehbar zu machen, zu erklären wie sie sich währenddessen fühlt und wie es ist, in ihrer Haut zu stecken.

Nun ist die im Spiel geschilderte Erfahrung eine sehr ernste und finstere. Die Spieler_innen fühlen sich deshalb danach oft unwohl. Das aber ergibt Sinn, denn sie spielen die Rolle einer Figur, die diese furchtbare Erfahrung macht. Es macht definitiv keinen Spaß, das zu erleben, aber ich denke es ist wichtig, Geschichten zu erzählen, die uns in diesem Sinne herausfordern.

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Nina Kiel Was denkst du über den generellen Umgang von Spielen mit Romantik und Sex? Gibt es besonders gute oder schlechte Beispiele, die dir in den Sinn kommen?

Nina FreemanIn letzter Zeit wurde das Thema in vielen unabhängig produzierten Spielen intensiv erforscht. Für konkrete Beispiele empfehle ich, Cara Ellisons Kolumne S.EXE auf rockpapershotgun.com zu lesen [die aber leider nicht mehr fortgesetzt wird, Anm. d. Red.]. Richtig gute Spiele über Sex sind außerdem Ute von Lea Schönfelder, Striptease von Increpare und Cobra Club von Robert Yang.

Nina Kiel Wovon würdest du in Spielen gerne mehr sehen? Und das nicht nur im Zusammenhang mit Sex, sondern ganz grundsätzlich.

Nina FreemanIch liebe Spiele, die sich mit dem Alltagsleben und ganz normalen Menschen befassen. Ich mag zwar auch Fantasy- und Science-Fiction-Spiele und das alles, aber ich bin fest davon überzeugt, dass das echte Leben eine unerschöpfliche Quelle für Geschichten ist. Ich hoffe, in Zukunft mehr solcher Arbeiten zu sehen.

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Nina Kiel Vor einer Weile hast du dich dem “Fullbright”-Team angeschlossen, um an Tacoma, dem neuen Spiel des Studios zu arbeiten. Wie fühlt es sich an, nicht mehr im Kreis deiner Freunde kleine Spiele über dein eigenes Leben zu entwerfen, sondern in mit anderen professionellen Entwickler_innen an einem großen Projekt zu arbeiten?

Nina FreemanFullbright beizutreten war großartig! Ich arbeite dort mit Leuten, die viel mehr Erfahrung in der Spieleentwicklung vorweisen können, als ich, und ich lerne viel von ihnen. Ich habe nie zuvor an einem 3D-Spiel gearbeitet, daher bin ich froh, dieses Spiel mitentwickeln und mehr über die damit verbundene Arbeit lernen zu können. Es ist außerdem wirklich toll mit Entwickler_innen zusammenzuarbeiten, die ebenfalls daran interessiert sind, figurenzentrierte Geschichten zu erzählen.

Nina Kiel Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus? Wirst du auch weiterhin allein Spiele entwickeln, um mehr persönliche Geschichten zu erzählen?

Nina FreemanIm Moment konzentriere ich mich auf Tacoma und werde weiter daran arbeiten. Nebenbei entwickle ich ein Spiel namens Kimmy. Darauf, auch weiterhin Spiele zu machen, die sich vor allem mit ausgefeilten Geschichten, Charakterskizzen und der Idenfitikation mit fiktiven Personen auseinandersetzen, freue ich mich sehr.


English Version

Nina Kiel Most of your games are based on personal experiences. Why do you choose to tell these very intimate stories? What does it feel like to offer a glimpse of your private life to other people?

Nina FreemanBefore I made games, I studied and wrote poetry. While I was primarily practicing poetry, I was really interested in work by the New York School poets, and poets like Frank O’Hara and Elizabeth Bishop. These poets wrote a lot of personal work, and work about ordinary life. I was really inspired by those poets, and tried to integrate personal stories and ordinary life vignettes into my own practice. When I started making games, I drew a lot on my experience writing poetry, so many of my games share those kinds of themes I was exploring in poetry.

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