Press M to masturbate.
Kaum ein Thema wird intensiver und vielfältiger verhandelt als Sex, gerade durch seine Abkoppelung von reinen Fortpflanzungsmechanismen und die Schwerpunktverlagerung hin zum Ausdruck wechselseitiger Zuneigung, aber auch gemeinsamen Zeitvertreibs. Sex ist ein essentieller Inhalt aller Kunst- und Medienformen, jedoch nahezu immer auf bloße Rezeption und nicht auf Interaktion ausgelegt. Es war daher nur eine Frage der Zeit, ehe diese für Spiele charakteristische Komponente für die Darstellung von Körperlichkeit genutzt werden sollte.
Bedingt auch durch seine junge Entstehungsgeschichte, war die Einführung sexueller Inhalte in dieses Medium signifikant einfacher als etwa im Film. Erst in den späten 70er Jahren wurden Videospiele durch die Vorstellung erster Heimkonsolen und Eröffnung immer neuer Spielhallen einem breiten Publikum überhaupt zugänglich gemacht – zu einer Zeit also, in der emanzipatorische Bewegungen deutlich voranschritten und mit ihnen ein Abnabelungsprozess von den strikten Moralvorstellungen vorheriger Generationen. Dennoch war der Umgang mit Sex und Nacktheit im Spiel Einschränkungen unterworfen, und zwar solchen technischer Art. Eingabegeräte wie auch grafische Komponenen zeichneten sich durch eine Simplizität aus, die zwar durch die Immersion vielfach erfolgreich ausgeblendet werden konnte, aber eine Schilderung komplexer Sachverhalte kaum zuließ.
1981 veröffentlichte die US-amerikanische Firma On-Line mit ihrem „Softporn Adventure“ eines der ersten Erotikspiele, eine ausschließlich textbasierte Erzählung mit wenigen Eingabemöglichkeiten. Inhaltlich vergleichsweise bieder, lockte das interaktive Abenteuer um einen erfolglosen jungen Mann, dessen Ziel darin bestand, Frauen zu verführen, lediglich mit erotischen Andeutungen – und einem Titelfoto, auf dem drei On-Line-Mitarbeiterinnen nackt in einem Whirlpool posierten, darunter auch die Firmenmitgründerin und Entwicklerkoriphäe Roberta Williams. Dass On-Line hiermit den Nerv der Zeit traf, zeigten die Verkaufszahlen: Trotz der Verbreitung zahlreicher Raubkopien, wurde das Spiel 25.000 mal verkauft und damit fast so häufig wie der Apple II-Computer, für den es entwickelt wurde.
In den nachfolgenden Jahren nahm die Verbreitung sexueller Inhalte im Spiel deutlich zu, vorrangig allerdings durch deren Nutzung als Marketinginstrument. Mit Ausnahme der „Poke the doll“-Spiele, in denen eine nackte oder spärlich bekleidete weibliche Figur mit Händen und Hilfsmitteln stimuliert wurde, gab es nur wenige Titel, die ihren Fokus explizit auf Sex legten. Stattdessen wurden erotische Stimuli vorrangig genutzt, um gängigen Spielmechaniken neue Anreize zu verleihen und die entsprechenden Produkte innovativer erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich waren. Zu den bekannteren Vertretern dieser Gattung gehören die drei im Jahre 1982 als unlizensierte Produkte für den Atari 2600 entwickelten Spiele „Beat ‘Em & Eat ‘Em“, „Bachelor Party“ und „Custer’s Revenge“. Letzteres gelangte zu besonders zweifelhaftem Ruf aufgrund der darin gezeigte Vergewaltigung einer amerikanischen Ureinwohnerin durch den namensgebenden Protagonisten. Wenn auch kurze Zeit später verschiedene alternative Versionen des Spiels erschienen, in denen unter anderem das Geschlecht der beiden Hauptfiguren vertauscht und das beidseitige Einvernehmen während der sexuellen Handlungen deutlicher hervorgehoben wurde, war die Kontroverse deutlich beständiger als jene Firma, in der sie ihren Ursprung nahm, denn „Mystiques“ Portfolio sollte nie mehr als diese drei Titel umfassen.
Dass konsensueller Geschlechtsverkehr dar- und ein Bezug zum realen Sexleben durchaus hergestellt werden konnte, bewies „Night Life“, ein Titel der japanischen Firma Koei, der als erster seiner Art explizites Bildmaterial enthielt und zugleich darauf verzichtete, diesen Abbildungen eine rein pornografische Wirkung zu verleihen. Stattdessen diente das Spiel als Ratgeber für Paare, waren die Abbildungen der verschiedenen Sexpositionen Anregungen für Selbstversuche und Extras wie ein Kalender, anhand dessen der Menstruationszyklus der Partnerinnen bestimmt werden konnte, ein Verknüpfungspunkt zum Alltag der Spieler_innen. Generell zeichnete sich in Japan bereits früh ein offenerer – nicht gesamtgesellschaftlicher, aber fiktive Inhalte betreffender – Umgang mit Sexualität ab, der sich zunächst vorrangig in explizit auf Erwachsene zugeschnittenen Comics manifestierte und bald darauf auch Einfluss auf die lokale Spielekultur nahm.
Mit den „Eroge“ („erotic games“) entstand ein eigenes Genre, das unterschiedliche Subkategorien wie Rollenspiele und Adventures umfasste, denen ein mal mehr, mal weniger deutlicher Schwerpunkt auf erotische, zum Teil auch pornografische Inhalte gemein war. Diese Reize schlugen sich dabei oftmals nicht nur auf die Visualisierung, sondern auch die Erzählstruktur nieder. Besonders deutlich wurde das in Dating-Simulationen, in denen der Geschlechtsakt oftmals als finales Spielziel präsentiert wurde, jedoch nur durch sorgsam aufgebaute Beziehungen zu den jeweiligen Charakteren erreicht werden konnte. Erstmals seit dem Erscheinen von Koeis interaktiven Beziehungsratgeber, setzten diese Spiele Intimität als Grundlage für sexuelle Interaktion voraus. Dieser Entwicklung allerdings stand eine gleichermaßen inflationäre Nutzung sexueller Reize fernab entsprechender narrativer Kontexte gegenüber, und auch viele „Eroge“ präsentierten diese lediglich als ansprechende Ergänzungen zu den an sich generischen Inhalten.
In den USA erregten derweil On-Line, die nun unter dem Namen Sierra On-Line firmierten, abermals Aufsehen: Der erste Teil der über viele Jahre hinweg populären „Leisure Suit Larry“-Reihe baute nicht nur durch seinen thematischen Schwerpunkt, sondern auch strukturell auf seinem geistigen Vorgänger „Softporn Adventure“ auf. Protagonist Larry Laffer, ein 38-jähriger jungfräulicher Mann, zog darin aus, sein Glück in der großen Stadt zu suchen und eine Frau zu finden, mit der er seinen ersten Sex erleben konnte. Zur Auswahl standen hierfür vier weibliche Charaktere mit individuellen Ansprüchen, die vor allem durch auf sie zugeschnittene Geschenke umgarnt werden konnten. Ein besonderes Merkmal dieser Serie war der slapstickhafte Umgang mit der Thematik, der sich zuvorderst in Larry selbst, einer kleinwüchsigen Gestalt mit lichtem Haar und deformierter Nase und dessen unbeholfenem Umgang mit dem anderen Geschlecht widerspiegelte.
„By packaging sex in cheesy characters and comedic situations, Leisure Suit Larry managed to explore sex while attracting gamers perhaps too embarrassed or uncomfortable to fire up more explicit games like MacPlaymate.”
Dem Protagonisten gegenüber stand eine von Spiel zu Spiel wachsende Vielzahl junger, großgewachsener, schlanker Frauen, deren Zuneigung es zu gewinnen galt. „Larry“ legte damit den Grundstein für einen humorvollen Umgang mit Sex im Spiel und die stilistische Überzeichnung der handelnden Charaktere. Losgelöst von jeglicher Intimität, diente der Sex in anderen Genres zunehmend als reines Schmuckwerk, die Maxime „sex sells“ als beliebtes Verkaufsargument. Dieser Trend manifestierte sich in besonderem Maße in Titeln wie „BMX XXX“, die durch provokante Inhalte Aufmerksamkeit zu erregen versuchten, wenngleich nicht immer erfolgreich. Auch in diesen vergeblichen Versuchen, Spiele durch sexuelle Anreize zu vermarkten, zeichnete sich die schnelle technologische Entwicklung des Mediums ab, denn die Zeit der Textadventures war längst vorüber.
An ihre Stelle traten immer ausgefeiltere Grafiken, die eine detailreiche und explizite Darstellung von Körperlichkeit ermöglichten und Hoffnung auf eine Abkehr von der bisher notwendigen Stilisierung sexueller Inhalte weckten. Und doch blieb nackte Haut ein bloßer Stimulus, der von den Spielern nun auch eigenmächtig eingebunden wurde. Kurz nach dem Auftritt Lara Crofts als eine der ersten Heldinnen der Spielgeschichte und digitale Ikone, erblickte mit dem „Nude Raider“-Patch eine Modifikation das Licht des Welt, nach deren Installation die britische Archäologin ihre Abenteuer nackt fortsetzte. Analog zum technischen Fortschritt in der Industrie, gerieten diese Patches nicht nur zahlreicher, sondern auch zusehends elaborierter. Was anfänglich in Form amateurhafter Montagen daherkam, die die stark vereinfachte Anatomie der meisten weiblichen Spielfiguren noch drastischer offenlegten, entwickelte sich mit der Zeit zu homogen in die jeweiligen Spiele eingebundenem, erotischem Anschauungsmaterial – eine Entwicklung, die anhand der „Tomb Raider“-Titel besonders gut nachvollzogen werden kann.
Doch ungeachtet der grafischen Evolution, geht mit den Nude Patches bis heute gemeinhin unfreiwillige Komik einher, die sich auf die ungeplanten Eingriffe in abgeschlossene Spielsysteme zurückführen lässt. Obschon das vollständige Fehlen von Bekleidung zunächst wie eine konsequente Steigerung der allgegenwärtigen Sexualisierung weiblicher Avatare wirkt, besteht ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen einer Kriegerin im Bikini und einer ohne, zwischen einer Polizistin in Bluse und Minirock und ihrem modifizierten, barbusigen Pendant. Durch die nunmehr offensichtlichere Rollenschiebung des Spielers hin zum Voyeur und der spielbaren Hauptfigur zum Anschauungsobjekt, werden die für das intensive Spielerleben notwendigen Identifikationsprozesse erschwert, wenn nicht verhindert. Die nachträgliche Integration erotischer Anreize führt die Absurdität der auf ähnliche Mittel zurückgreifenden, brancheninternen Marketingoffensiven ebenso vor Augen wie das scheinbar unstillbare Bedürfnis nach sexueller Stimulation. Dass immersive Einschnitte bereitwillig hingenommen werden, deutet auf einen Mangel inmitten des vermeintlichen erotischen Überflusses der Gegenwart hin.
Trotz jahrzehntelanger Bemühungen um eine Emanzipierung vom insbesondere durch die Institution Kirche geprägten Keuschheitsideal, wird Sex nach wie vor tabuisiert. Dieser paradoxe Umgang mit dem Thema manifestiert sich in Spielen wie „God of War“, in dem nackte Frauen und potenzielle Gespielinnen in schamvoll inszenierte Sexszenen eingebunden werden. So begegnet Protagonist Kratos in der Abstellkammer einer Tempelanlage zwei nackten Frauen, die sich auf dem Boden räkeln und ohne zu zögern Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr signalisieren. Beide sind barbusig und überdies nur spärlich bekleidet, doch kaum kommt es zum Sexualakt, schwenkt die Kamera vom eigentlichen Geschehen auf einen im Takt der genitalen Penetration hüpfenden und schwankenden Kerzenhalter. In nahezu jedem Teil der Serie wird Sexualität so auf nackte, weibliche Körper und einen sich auf mannigfaltige Weise darbietenden Phallozentrismus begrenzt, der nie unmittelbar, sondern lediglich auf eine Weise hervorgehoben wird, die den Immersionsprozess der primär heterosexuellen, männlichen Zielgruppe des Spiels nicht im Wege steht.
Kratos ist niemals nackt, niemals explizit als Teilnehmer dieser sexuellen Handlungen zu sehen, sondern tritt in all diesen Szenen in den Hintergrund, um einen Identifikationsraum für die Spieler zu schaffen. Gefördert wird hier nicht nur eine Entkoppelung von Sex und Intimität, sondern mehr noch eine pauschale Erotisierung des menschlichen (weiblichen) Körpers, durch die ein natürlicher, unaufgeregter Umgang mit Nacktheit kaum mehr möglich zu sein scheint. Diese systematische Entfremdung der Menschen von ihrem körperlichen Selbst und ihrer Sexualität ebnet den Weg für eine Ökonomisierung von Sex, die heutzutage nahezu alle Lebensbereiche betrifft. Kaum ein Industriezweig kommt ohne einschlägiges Werbematerial aus, kaum eine Branche verzichtet darauf, Dienste und Produkte nicht sexueller Natur mit solchen Anreizen zu bewerben. Sexualität als Ausdruck der zwischenmenschlichen Intimität ist nicht (ver)käuflich, die Instrumentalisierung damit verbundener Sehnsüchte hingegen ein Leichtes. Paradoxerweise wird dieser Prozess auch gestützt durch konservative Kritiker_innen, die ein unverkrampftes Ausleben von Sexualität zu unterbinden versuchen, gerade hierdurch allerdings den beständigen Wunsch nach entsprechender Stimulation erhalten, dem wiederum durch die zuvor geschilderten kapitalistischen Strukturen entsprochen wird.
„Unless you’re monitoring them all the time, they’re gonna find ways to see this stuff.“
Spielhistorisch betrachtet, lässt sich dieses Phänomen anhand zahlreicher Beispiele veranschaulichen, so unter anderem durch die Skandalisierung der Sexszenen in „Mass Effect“ durch den US-amerikanischen Fernsehsender Fox News, der die entsprechenden Inhalte als „full digital nudity and sex“ kennzeichnete und stichhaltige Argumente gegen die hier angemahnte Abstumpfung Jugendlicher konsequent abwehrte. Das Erstaunliche dabei: Die entsprechenden Passagen im Spiel waren keineswegs explizit, sondern zeigten vielmehr cineastisch inszenierte Momente der Intimität zwischen zwei Personen, in denen kaum mehr als nackte Rücken und angedeutete Brüste zu sehen waren. „Mass Effect“ zeichnete sich durch die recht schlüssige Einbindung dieser Inhalte in seine umfangreiche Geschichte aus, die nur nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den potenziellen Partner_innen zugänglich und somit optional waren.
Konträr zu der These, das Spiel überließe nichts der Vorstellungskraft, fordert es diese sogar ein, da die wenigen, schnellen Schnitte, durch die der Sex angedeutet wird, die vermeintliche „full digital nudity“ weitestgehend verschleiern. Zudem wurde das Spiel, entgegen der im Beitrag enthaltenen Information, nicht an Kinder und Jugendliche vermarktet, sondern blieb bedingt durch die Alterseinstufung als „M“(Mature)-Material Menschen mit einem Mindestalter von 17 Jahren vorbehalten – eine Eingrenzung, die wesentlich mitbestimmt wurde durch die im Vergleich deutlich prominenteren Gewaltdarstellungen im Spiel. Der Fox News-Beitrag verdeutlicht, wie unterschiedlich die Rezeption von Sex und Gewalt gerade im US-amerikanischen Raum ausfällt: Konsensueller Sex als Höhepunkt einer romantischen Beziehung wird als potenziell schädlich deklariert, Krieg als Bestandteil der Erzählstruktur und der Spielmechanik hingegen anstandslos akzeptiert, sogar befürwortet.
Das mag sicherlich auch auf die für Spiele gemeinhin charakteristische Fixierung auf Kampfhandlungen zurückzuführen sein, seien sie nun comichaft-abstrahiert oder explizit kriegerisch, doch steht dahinter ein Wahrnehmungsprozess, der sich im Umgang mit medialen Erzeugnissen aller Art abzeichnet, genährt möglicherweise durch die Angst vor Nachahmung, die im Falle sexueller Handlungen deutlich näher liegt, und dem daraus resultierenden Verlust der von außen ausgeübten Kontrolle über die Triebhaftigkeit des Menschen. Fragwürdig erscheint diese ausgeprägtere Toleranz von Gewalt gerade dann, wenn sie mit Sexualität verknüpft oder ihr direkt gegenübergestellt wird. Im Jahr 2004 entstand eine Kontroverse um „Grand Theft Auto: San Andreas“, als ein Modder in der Verkaufsversion des Spiels verborgene Inhalte entdeckte und verbreitete, die eine interaktive Sexszene des Protagonisten mit seiner Partnerin zeigten.
Aufgrund der als „Hot Coffee“ bekannt gewordenen Modifikation entschied sich das Entertainment Software Association Board, eine Neubewertung des Spiels vorzunehmen, und stufte es fortan nicht mehr als „Mature“, also für junge Erwachsene tauglich ein, sondern versah es mit der Kennzeichnung „Adults Only”, der höchsten der sechs möglichen Altersfreigaben. Drastische Umsatzeinbußen waren die Folge, da sich die Entwickler- und Vertriebsfirma Rockstar mit der Notwendigkeit konfrontiert sah, jegliche im Umlauf befindlichen Exemplare des Spiels zurückzuziehen und neu zu etikettieren. Um weitere finanzielle Schäden abzuwenden, folgte eine Überarbeitung und Neuveröffentlichung des Spiels. Die „Hot Coffee“-Szenen wurden aus dem Spiel entfernt und Updates verbreitet, die neben anderen Fehlern auch den Zugang zu der Modifikation aus den bereits verkauften Einheiten von „GTA: San Andreas“ tilgte. Eine Rückstufung durch das ESRB folgte prompt. Dass ein Spiel aufgrund nicht unmittelbar sichtbarer, aber in seinem Datenpaket enthaltener Inhalte neu bewertet wurde, war zwar kein einmaliger Fall – das gleiche geschah, als durch einen Patch Texturmaterial für nackte Körper im 2006 veröffentlichten „The Elder Scrolls: Oblivion“ offengelegt wurde – und doch ist gerade dieser von besonderem Interesse.
Sich durch ein hohes Maß an Bewegungsfreiheit auszeichnend, ermöglichen die „GTA“-Spiele seit jeher einen imaginären Blick in den Alltag eines oder mehrerer Krimineller, in deren Rollen die Spieler_innen verschiedenste Aufgaben erfüllen müssen und die an amerikanische Großstädte angelehnten Schauplätze erkunden können, in denen die Geschichten jeweils angesiedelt sind. Der Fokus liegt dabei auf der Interaktion mit den Stadtbewohnern sowie zahlreichen Fahr- und Kampfsequenzen, die allesamt die Möglichkeit gewaltbereiten Vorgehens nicht nur einräumen, sondern teilweise auch erfordern. Zu den optionalen Formen der Gewaltanwendung gehört der handgreifliche Umgang mit Prostituierten, die während des Spielverlaufs jederzeit engagiert werden können, um die Energie der männlichen Protagonisten zu regenerieren. Nach dem bezahlten Geschlechtsverkehr, der deutlich expliziter ausfällt als jener mit der potenziellen Partnerin, besteht die Möglichkeit, den Prostituierten das für ihre Dienste bezahlte Geld wieder brutal zu entwenden. Während diese Szenen zwar ebenfalls ausschlaggebend waren für die Erstbewertung des Spiels, lösten sie auf offizieller Seite keinen mit der „Hot Coffee“-Mod vergleichbaren Skandal aus.
In beidseitigem Einvernehmen praktizierter Sex zweier bekleideter Polygonmodelle wurde also im Vergleich zu käuflichem und gegebenenfalls mit Gewaltausübung verknüpftem Geschlechtsverkehr als deutlich heikler eingestuft. Diese Akzeptanzverschiebung zugunsten nicht konsensueller Handlungen spiegelt sich in jener Alterseinstufung wider, die „GTA: San Andreas“ nur kurzzeitig zuteil wurde. Auf der Liste der als „Adults Only“ eingestuften Spiele, die gegenwärtig nur 38 Titel umfasst, finden sich „nudity“, „(mature) sexual themes“ und „(strong) sexual content“ als am häufigsten genannte Gründe für den restriktiven Umgang mit dem jeweiligen Material, die in 19 Fällen als alleinig ausschlaggebend genannt werden. An zweiter Stelle folgt mit 8 Titeln „strong language“, häufig in Verbindung mit „use of drugs (and alcohol)“ bzw. im Falle von „Leisure Suit Larry: Magna Cum Laude Uncut and Uncensored“ auch „mature humor“. Nur in 6 Fällen hingegen wird Gewaltanwendung über die Benennung von „blood“, „gore“ und „(intense) violence“ als Einstufungsgrund angeführt, und das in keinem Fall für sich stehend, sondern ausschließlich im Zusammenspiel mit den zuvor genannten Bewertungsgründen.
Ein Spiel wie „Seduce Me“, das sich zwar nicht signifikant von dem oberflächlichen Umgang anderer Titel mit Sex distanziert, wohl aber gegenseitiges Einvernehmen unter den handelnden Personen zum bestimmenden Faktor erklärt, steht hier also „Grand Theft Auto“ gegenüber – einem Titel, in dem Konsens eine allenfalls untergeordnete Rolle spielt, dessen Spielmechanik Gewalt zwingend voraussetzt. So werden durch die Altersfreigabe nicht nur Darstellungen expliziter Gewalt, sondern auch praktizierter Sexualität unter Verschluss gehalten – Inhalte also, die zwar kritisch reflektiert werden müssen, aber einen sinnvollen Beitrag zum nüchterneren Umgang mit Sex und zu einer qualitativen Verbesserung entsprechender Spielen beitragen könnten. Werden hingegen entsprechende Bemühungen bereits im Keim erstickt, wird jeglicher Fortschritt effektiv verhindert. „Adults Only“-Material erhält grundsätzlich keine Vertriebserlaubnis durch die drei größten Konsolenhersteller Sony, Microsoft und Nintendo, wird von den meisten Händler_innen nicht in ihr Warenangebot aufgenommen und darf nur unter Berücksichtigung zahlreicher Einschränkungen überhaupt vermarktet werden. Dementsprechend wird diese Bewertung inoffiziell auch als „kiss of death“ bezeichnet, macht sie den Vertrieb eines Spiels doch nahezu unmöglich.
Dass dieser gemeinhin nur für den US-amerikanischen Raum als typisch beschriebene, schamvolle Umgang mit Nacktheit und Sexualität auch über dessen Landesgrenzen hinaus Einfluss nimmt, zeigt der Fall des bereits erwähnten, im vergangenen Jahr veröffentlichten Spiels „Seduce Me“, das auf der Vertriebsplattform Steam bzw. dessen an sich für alle Entwickler_innen frei zugänglichen Ableger Steam Greenlight erscheinen sollte. Noch am Tag der Anmeldung allerdings wurde das Spiel wieder aus der Liste der Neuerscheinungen entfernt, seinen Urheber_innen mit einem Hinweis auf einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen nur eine vage Begründung hierfür genannt. Erst nach wiederholter Anfrage stellte sich heraus, dass die Thematik des Spiels hierfür ausschlaggebend war, da „Steam keine Zielplattform für erotisches Material“ sei und die Einführung von „Greenlight daran nichts ändern werde“, wie der Firmensprecher Doug Lombardi einem Kotaku-Redakteur mitteilte.
„Wir wollten nicht zu dick auftragen. Unsere ersten Ideen waren viel extremer. Aber weil es noch keine Sexspiele in die Richtung gibt, wollten wir vorsichtig anfangen. Ich verstehe die Reaktionen immer noch nicht ganz.Wir hatten uns selbst überzeugt, dass Valve uns offener gegenüberstehen würde. Wir kennen Beispiele, in denen Valve für freie Meinungsäußerung eingetreten ist, als es um gewalttätige Spiele ging. Und dann haben sie „The Witcher“ im Katalog, das ja auch Sexszenen enthält. Also dachten wir, unser Spiel müsse OK sein. Aber dass bei uns der Fokus auf Sex liegt, sprengt offenbar die Norm der amerikanischen Gesellschaft. Ich weiß nicht, vielleicht ist Sex nur als Belohnung für Gewalt akzeptabel?“
– Miriam Bellard (Zitat aus: WASD – Texte Über Games, Nr. 03, 2013)
Spiele wie dieses verbleiben so notgedrungen im Schatten zahlreicher Branchengrößen, die sexuelle Anreize lediglich nutzen, um Aufmerksamkeit zu generieren, und so zu einer Entfremdung von ihrer eigentlichen Bedeutung beitragen – ähnlich wie jene Titel, die gängige Rollenklischees zu meiden und eine alternative Wahrnehmung von Geschlecht anzuregen versuchen. An beidem mangelt es weiterhin eklatant, beiden gemein ist der eigentliche Bedarf nach diesen Inhalten, dem aus unterschiedlichen Gründen nicht entsprochen wird. Solange solche Alternativen allenfalls sporadisch angeboten werden, fällt es schwer, Spiele als Kunst- und Kulturgut wahrzunehmen.
Sicher beansprucht inszenierte Erotik ebenso wie die Pornografie zurecht einen Platz in diesem Medium. Nichts spricht gegen sexuelle Stimuli, selbst wenn sie durch bloße Fleischbeschau generiert werden, doch es mangelt an Alternativen. Während sich insbesondere in der Literatur, aber auch im Film, in der bildenden Kunst und der Musik eine immense Vielfalt in der Darstellung von Sexualität entwickelt hat, die ihrem realen Vorbild ansatzweise entspricht, verkommt der Sex im Spiel gemeinhin zum Quick Time Event, zu einer durchchoreografierten Abfolge von Interaktionsmöglichkeiten, die sich auf das rechtzeitige Drücken bestimmter Knöpfe beschränken.
Überschaubar ist die Zahl der Titel, in denen Geschlechtsverkehr als jene besondere Form der Intimität dargestellt wird, durch die er den meisten von uns im Alltag begegnet. Stattdessen wird ein Voyeurismus gefördert, der nicht nur bedingt durch seinen Verbleib auf der Oberfläche des künstlichen Körpers, sondern auch durch die starren Rollenbilder, die er dabei propagiert, ausgesprochen unbefriedigend ist.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus meinem Buch “Gender In Games – Geschlechtsspezifische Rollenbilder in zeitgenössischen Action-Adventures, das 2014 im Hamburger Verlag Dr. Kovač erschienen ist.