Retrode 2
Freunde der Emulation. Wie ihr sicher den unglaublichen Komfort eures Hobbys schätzt, so seid ihr euch vermutlich genauso über die rechtlichen Probleme der Spielebeschaffung bewusst. Auf jedes der schönen Features wie Save States, Grafikfilter und Cheats kommen mindestens neuntausend spamverseuchte Warez-Seiten, mit falsch kategorisierten und oftmals fehlerhaften ROMs. Die Spielmodule liegen selbstverständlich im Original im Keller, und um die Spiele daraus zu extrahieren mangelt es an technischem Verständnis, übrig bleibt also nur der illegale Weg übers Internetz.
Ein Problem, das die zweite Ausgabe der Retrode lösen möchte. Zwei Slots für Spielmodule, einen für SNES, einen für Mega Drive, plus je zwei Ports für die Originalcontroller. Der Clou: Das Ding meldet sich als Standard-USB-Gerät und benötigt so (im harten Gegensatz zu jenen Parallel Port Transferern aus Hong Kong, mit haarsträubenden Inkompatibilitäten und endlosen Ladezeiten) weder Treiber noch viel Grips. Perfekt also für die Zielgruppe Superlevel.
Und weil ich mich hier traditionell gerne mit schlechten Interviewfragen blamiere, nötigte ich Matthias zu ein paar Antworten. Nach dem Dings.
Hallo Matthias. Wer ist Dr.-Ing. Hullin, und wie kam er auf die Idee, einen Cartridge-Reader zu entwickeln?
Ich hoffe, ihr seid nicht enttäuscht, wenn ich die 3. Person nicht übernehme. Denn man tau: Ich bin 30 Jahre alt, geboren und aufgewachsen im schönen Saarland, wohnhaft in Vancouver (Kanada). Von Beruf bin ich Physiker und Informatiker und forsche auf dem Gebiet der Computergrafik an der University of British Columbia. Privat betätige ich mich gern an verschiedenen elektronischen Basteleien und spiele zum Ausgleich nicht-elektronische Musikinstrumente.
Ich habe selbst nie einen Fernseher, geschweige denn eine Konsole besessen. Die SNES und Mega Drives, die in den frühen Neunzigern in Kaufhäusern aufgebaut waren, haben mich aber immer sehr fasziniert. Ich bin damals regelmäßig (mit ziemlich peinlichen Ausreden) einige Stunden zu spät aus der Schule heimgekommen.
Irgendwann habe ich das Internet für mich entdeckt, und mit ihm die ersten Emulatoren für NES, SNES und Mega Drive. Die ROMs gab es natürlich gleich gratis dazu, und ich habe mir nichts dabei gedacht. Später, als ich meine Festplatte mal von dubiosen Raubkopien und “Warez” gesäubert habe, mussten sämtliche Emulatoren und ROMs natürlich auch dran glauben. Zu der Zeit waren Spielmodule auf eBay aber schon ziemlich billig zu haben, und ich habe erstmals angefangen, darüber nachzudenken, ob ich mir damit nicht meine eigenen ROMs machen könnte.
Der konkrete Anstoß zur Retrode kam dann, als ich auf das OpenPandora-Projekt aufmerksam wurde: ein kleines Laptöpchen mit zahlreichen Anschlussmöglichkeiten und einer Vielzahl von Emulatoren. Die Idee, über ein simples USB-Interface direkt die Spiele vom Modul laden zu können, hat mich ungeheuer fasziniert. Natürlich kam der Antrieb vor allem aus meiner Forscher- und Bastlernatur: es hatte offenbar noch niemand vorher gemacht, also musste ich es wohl tun.
Wenn man sich mein erstes Youtube-Video anschaut, findet man eine wacklige Aufnahme von einem unsäglichen Kabelwirrwarr, das auf mysteriöse Weise Super Mario World auf einem Laptop abspielt. Dieses Video wurde dann aber in sehr kurzer Zeit sehr populär, und viele Leute begannen mich zu fragen, wo man mein Kabelwirrwarr kaufen könne. Da habe ich dann halt ein ordentliches Gerät draus gemacht.
Aus welchen Gründen hast du dich für SNES und Mega Drive entschieden?
Ganz einfach – ich bin eben ein Kind dieser Zeit! Diese beiden Konsolen waren um 1991/1992 gerade aktuell, als wir damals durch die Kaufhäuser gestreift sind. Sie sind ja auch mit Abstand die erfolgreichsten Systeme der 16-bit-Ära, mit wievielen hundert Millionen verkauften Konsolen. Das NES fand ich längst nicht so spannend, und die nächste Generation (N64, PlayStation, Saturn) mit ihren 3D-Spielen hat mein schlichtes Hirn dann schon wieder gnadenlos überfordert.
Retrode ist streng genommen “nur” eine 60€-Erweiterung für Emulatoren. Was hält mich davon ab, einfach auf eBay eine alte Konsole zu ersteigern?
Nichts, wieso denn auch? Ich weiß von einigen Retrode-Nutzern, die tatsächlich am liebsten auf der Konsole zocken, und die Retrode zum Sichern von Spielständen sowie zum Unterwegs-Zocken nehmen. Das eine schließt das andere ja nicht aus, im Gegenteil! Andere nutzen ausschließlich Emulatoren und freuen sich, dass sie 100% sicher sein können, wo ihr ROM herkommt (das ist wie mit der Milch von glücklichen Kühen), und dass sie ihre Spielstände und Controller gleich auch noch weiter verwenden können.
Mir ist (außer Drag’n’Derp) kein vergleichbares Projekt bekannt. Wie kommts?
Keine Ahnung! Da musst du schon alle fragen, die NICHT auf die Idee gekommen sind.
Emulation (und die beschaffung der ROMs) ist seit jeher eher eine rechtliche Grauzone. Wie siehst du das beim Retrode? Befürchtest du nicht, von Nintendos oder Segas Anwälten abgemahnt zu werden?
Hier muss ich doch nochmal den Klugscheißer geben: die Retrode ist selbstverständlich grammatikalisch weiblich, wie auch schon die Elektrode, Kathode, Anode, etc. Als ihr Vater muss ich drauf bestehen: es ist ein Mädchen.
Aber zur Frage: Emulation per se ist mitnichten eine rechtliche Grauzone, solange dazu kein urheberrechtlich geschützter Programmcode (BIOS usw.) eingesetzt wird. Das Bereitstellen bzw. der Download eines Spiele-ROMs im Internet (Homebrew vielleicht mal ausgenommen) ist hingegen eindeutig eine Urheberrechtsverletzung, selbst wenn man das Original daheim hat. Das lässt sich zwar technisch nicht begründen, sondern ist ein rein rechtlicher Konstrukt. Matthew Skala von der University of Manitoba hat mal versucht, das mit einer “Farbe” von Bits zu erklären. Letztlich ist der einzige Weg, ein rechtlich einwandfreies ROM von einem Spiel zu erhalten, indem man sich selbst eine Sicherungskopie herstellt. Zum Beispiel mit der Retrode.
Angst vor den Anwälten von Sega und Nintendo habe ich nicht. Die wissen ja seit Jahren, dass es die Retrode gibt; wenn sie etwas unternehmen könnten, hätten sie es schon längst getan. Ich halte es aber für nahezu unmöglich, einen wirtschaftlichen Schaden nachzuweisen, der sich auf die Retrode zurückführen ließe. Alle ROMs kursieren ja schon seit 20 Jahren im Netz; sämtlicher potentieller Schaden ist also längst entstanden. Dass jemand für teures Geld eine Retrode kauft und damit neues Material in Umlauf bringt, dass es nicht schon irgendwo illegal online gibt, ist eher ausgeschlossen. Für den Ernstfall habe ich dann natürlich noch eine Rechtsschutzversicherung.
Ich hätte sowas gerne für den Game Boy, nicht zuletzt wegen des SRAM-Supports. Wie sehen deine Pläne für die Zukunft, Adapter oder weitere Versionen aus?
Erst einmal sage ich der Retrode 2 ein langes und glückliches Leben voraus. Ein Nachfolgemodell ist in absehbarer Zeit nicht geplant. Es kommen ja gerade erst die ersten Berichte von Nutzern eingetrudelt, Anmerkungen, Fehlerberichte und Anregungen für weitere Features. Da ist es natürlich eine feine Sache, dass sich jeder bei Bedarf eine neue Firmwareversion aufspielen und seine Retrode damit auf den allerneuesten Stand bringen kann. Es gibt noch allerlei Potential für tolle neue Features!
Außerdem stehen auch endlich wieder einmal Plug-ins auf dem Programm; im Regal warten bereits Steckverbinder im Wert von einigen tausend Euro. Ihr dürft also in nächster Zeit mit Adaptern für N64, die Game Boy-Familie und das Master System rechnen.
Klingt spannend. Danke für deine Zeit.