Ob Indie oder AAA: Der analoge Tonträger feiert ein grandioses Comeback.
Das Spiel auf dem Plattenteller:
Soundtracks auf Vinyl
Soundtracks auf Vinyl
Ob Indie oder AAA: Der analoge Tonträger feiert ein grandioses Comeback.
Derzeit läuft auf Kickstarter eine Kampagne für eine Vinyl-Pressung des Soundtracks zu Hotline Miami. Es ist eine extrem erfolgreiche Kampagne – der Zielbetrag von 40.000 Pfund wurde innerhalb von Stunden erreicht, inzwischen liegt die finanzierte Summe längst beim Dreifachen. Nun ist Hotline Miami ein gefeiertes Spiel mit einem ebenso gefeierten Soundtrack. Trotzdem hat der Kickstarter-Erfolg auch mit einem aktuellen Hype um Vinyl-Editionen von Computerspiel-Soundtracks zu tun. Doch was steckt hinter diesem Hype – eine audiophile Revolution? Ein Nostalgie-Trip für alternde Gaming-Hipster? Oder doch nur eine geniale Marketing-Idee, mit der sich noch mehr Profit aus dem Sammeltrieb von Nerds schlagen lässt?
Wer sich ein bisschen umsieht, kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass eine neue Goldgrube aufgetan wurde: Gerade im Indie-Bereich wimmelt es vor schick gestalteten Platten in 180-Gramm-Qualität und limitierten Auflagen. Meist sind sie schnell vergriffen – wie übrigens auch der Soundtrack zu Hotline Miami 2, dessen drei Pressungen allesamt ausverkauft sind. Der Minecraft-Soundtrack ist ebenso auf Vinyl zu bekommen wie die aufwändig orchestrierte Musik von Everybody’s Gone to the Rapture. Und vor kurzem verkündete Supergiant Games, den Transistor-Soundtrack nach eigener Aussage “due to popular demand” auch auf Vinyl herauszubringen. Vieles spricht also dafür, dass das finanzielle Risiko einer kleinen Vinyl-Pressung längst sehr überschaubar geworden ist. Kein Wunder, dass auch AAA-Publisher immer häufiger an Vinyl denken, wenn es um die Vermarktung von Soundtracks geht.
Das Plattensortiment von iam8bit zieht keine scharfe Grenze zwischen Indie und AAA oder zwischen alt und neu: Musik aus XCOM und XCOM 2 trifft hier auf den Journey-Soundtrack, Battletoads auf Uncharted. Mit dem Soundtrack zu No Man’s Sky hat sich iam8bit auch schon den Soundtrack zum vielleicht meisterwarteten Indie-Spiel der kommenden Monate gesichert. Diese Mischung und die Tatsache, dass Neuerscheinungen zunächst nur vorbestellt werden können, um den genauen Bedarf zu ermitteln, zeigen, dass die Betreiber von iam8bit ihre Kundschaft sehr gut im Blick haben – und genau wissen, dass sich die anvisierte Ü30-Zielgruppe nicht einschränken lassen will. Ein bisschen AAA, ein bisschen Retro-Gaming, eine ordentliche Prise Indie. Der gemeinsame Nenner, suggeriert der Online-Shop, ist nur der gute Geschmack. Und der hat seinen Preis: Die Vinyl-Editionen von iam8bit kosten zwischen 25 und 40 Dollar.
Das Phänomen lässt sich nicht isoliert betrachten: Die Schallplatte feiert schließlich seit Jahren ihr Comeback. 2014 wurden in Deutschland so viele Schallplatten verkauft wie zuletzt 1992, und in den USA lag der Umsatz mit Schallplatten 2015 deutlich über dem, was die Musikindustrie mit Werbung auf Streamingplattformen umsetzte. Ihr als warm wahrgenommener Klang, ihre Optik und die haptische Erfahrung im Umgang mit der Schallplatte sind längst nicht mehr nur für Audio-Geeks und DJs reizvoll. Natürlich bleibt die Schallplatte ein Nischenprodukt – gerade einmal 3,2 Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Musikindustrie wurden 2015 mit (neuem) Vinyl erwirtschaftet. Doch während der Verkauf von CDs und Musik-Downloads zurückgeht, wird diese Nische stetig größer.
Doch auch unabhängig von dieser Entwicklung ist die große Zahl an Spiele-Soundtracks, die auf Vinyl erscheinen, bemerkenswert. Schließlich setzt damit das junge, digitale Medium schlechthin auf uralte, analoge Technik – ein Anachronismus, der auf den zweiten Blick gar nicht so verwunderlich ist. Denn während die Schallplatte im Laufe der vergangenen Jahre langsam zu alter Form zurückfand, spielten sich an den Schnittstellen von Computerspielen, Kunst, Lifestyle und Musik interessante Entwicklungen ab: Im Indie-Segment entstanden Spiele mit komplexen Themen, anspruchsvoller Gestaltung und experimentellem Spieldesign, deren Erfolg auch auf den AAA-Bereich abfärbte. Zugleich dürstete es erwachsen gewordene Spielerinnen und Spieler nach Rückzugsmöglichkeiten an die virtuellen Orte ihrer Kindheit und Jugend. Fast schon inflationäres Neuauflegen von Klassikern, das Wiederbeleben alter Konsolen, die Popularität von Emulatoren und natürlich die große Zahl aktueller Spiele im Retro-Kleid sind Reaktionen auf die Sehnsucht nach einer nostalgisch verklärten Ära, die für viele von uns prägend war. Es ist wenig überraschend, dass Retro-Späße wie eine Drift Stage-Vinyl-Single in Form des BMW M1 in der Regel schnell ausverkauft sind.
Auch der Erfolg von Data Discs ist ein Beleg dafür, dass die Nachfrage nach Games-Musik auf hochwertigem Vinyl offenbar groß ist. Ganz besonders dann, wenn es um die Klassiker der 80er und 90er Jahre geht, die in vielen Fällen unabhängig vom Tonträger bislang nicht oder nur schwer zu bekommen waren.
Gleichzeitig erhielten auch Soundtracks von Spielen in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit. Die Retro-Welle hat dazu sicher ihren Beitrag geleistet. Musik ist schließlich eine Art Nostalgie-Aktivator: Sie kann uns über Jahrzehnte im Gedächtnis bleiben und ist erstaunlich effektiv darin, Erinnerungen zu wecken und uns emotional anzusprechen. Selbst aktuelle Chiptune-Soundtracks versetzen uns mit Leichtigkeit in eine längst vergangene Zeit zurück. Aber auch jenseits des Retro-Trends spielt elaborierte Musik in aktuellen Spielen oft eine prominente Rolle. Mit ihr werden auch die Protagonistinnen und Protagonisten der Szene zu Stars: Von klassisch ausgebildeten KomponistInnen wie Jessica Curry und Austin Wintory bis hin zu Chiptune-VirtuosInnen wie Disasterpiece oder Chipzel stehen Musiker heute oft ebenso sehr im Fokus wie die Spielentwickler. Sicher, schon früher schafften es Spiele-Komponisten wie Yasunori Mitsuda oder Chris Hülsbeck zu einer gewissen Prominenz. Doch die Beziehung zwischen Spiel und Musik ist heute enger denn je, und Beispiele wie Jessica Curry oder Chris Remo zeigen, dass es nicht mehr ungewöhnlich ist, als KomponistIn und SpielentwicklerIn gleichzeitig tätig zu sein. Ein Soundtrack-Album ist nicht mehr nur etwas für Fans eines Spiels, sondern darf als eigenständiges Kunstwerk neben den Alben der Lieblingsbands im Plattenregal stehen. Nicht umsonst emanzipiert sich an anderer Stelle die Musik bereits vollständig vom Medium: So führt etwa die Chiptune-Szene längst ein musikalisches Eigenleben, das nur noch am Rande mit Spielen zu tun hat.
Im Umfeld anspruchsvoller, retro-orientierter oder manchmal auch nur hipper Spiele und ihrer Musik konnte ein Markt für Merchandising und allgemeines Games-Drumherum gedeihen, das nicht mehr viel mit dem traditionellen Nerd-Kitsch gemeinsam hat und sich auch gut im mehr oder weniger urbanen und hippen Wohnumfeld präsentieren lässt. Und genau dort ist eben auch die Vinyl-Platte gern gesehener Gast. Doch auch wenn man leicht verbittern kann angesichts der teils sehr hohen Preise und des ständigen Spiels mit der künstlichen Verknappung, die sich euphemistisch “limitierte Edition” nennt, ist der Trend zum Vinyl doch mehr als nur eine Hipsterfalle. Er ist im Positiven eben auch eine Anerkennung der Kunst der Games-Komposition und eine Würdigung der Künstlerinnen und Künstler, die Spiele mit ihrer Musik erst wirklich zum Leben erwecken.
Dass der Trend zum Games-Vinyl nicht mehr ganz neu ist, lässt sich auch daran ablesen, wieviele Informationen sich dazu inzwischen im Netz finden lassen. Wer wissen will, welche Soundtracks auf Vinyl erschienen sind (früher wie heute), kann auf etliche hilfreiche Ressourcen zurückgreifen: Der englische Wikipedia-Artikel zum Thema ist im Wesentlichen nur eine Tabelle, gibt aber einen schönen ersten Überblick. In der Plattensammler- und Händler-Community Discogs findet sich eine etwas unübersichtliche, aber umfassende Sammlung der auf Vinyl erschienenen Spiele-Soundtracks. Erstellt wurde sie von den Betreibern von blipblob, einem Blog, das sich ausschließlich, sehr kompetent und aktuell diesem Thema widmet. Und wer noch mehr über das Phänomen wissen möchte, findet bei Vinyl Factory und im Guardian lesenswerte Artikel zum Thema.