A MAZE 2014 Interview: Marcel-André Casasola Merkle über »Rules«

A Maze ist nicht nur der ideale Ort, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Indie-Spiele auszuprobieren. Es ist auch ein Ereignis, bei dem viele Spieleentwickler zusammenkommen und sich über ihre aktuellen Projekte austauschen und über die Arbeit anderer informieren. Ideale Bedingungen also, um dem einen oder der anderen ein paar Informationen über ihre supergeheimen Spielprojekte zu entlocken. Zum Beispiel dem (Brett-)Spieleentwickler Marcel-André Casasola Merkle, auch bekannt als @zeitweise, der auf dem Festival ein neues iOS-Spiel im Gepäck hatte.

Marcel-André Casasola Merkle

Marcel, du hast zu A Maze die Alphaversion deines neuen Spiels Rules mitgebracht. Rules ist ein iOS-Spiel, wie dein letztes Spiel 2Dreams, über das du ja auch bei Insert Moin berichtet hast. 2Dreams war eher experimentell und sehr narrativ. In welche Richtung geht Rules?

Marcel-André Casasola Merkle Ich habe beschlossen, diesmal etwas ganz anderes zu machen. Mich interessieren immer wieder neue Genres. Rules ist ein Reaktionsspiel ohne Narration, das sich eher mit dem menschlichen Lernen beschäftigt. Das klingt jetzt sehr trocken …

… nach Serious Game.

Marcel-André Das ist es aber überhaupt nicht! Rules ist ein Spiel auf Geschwindigkeit, mit dem ich erkunden wollte, wie sich ein Mensch in einem abstrusen Regelsystem verhält – deshalb „Rules“. Spieler müssen in Rules verschiedene Regeln befolgen, und mich hat interessiert, wie schnell sich Leute an dieses System anpassen. Wenn du jemandem die App in die Hand drückst, kannst du live erleben, wie dieser Lernprozess stattfindet. Ich finde, dafür hat es sich schon gelohnt, das Spiel zu schreiben – danebenzustehen und zu beobachten: Wie gehen Spieler mit diesem Spiel um? Wie gehen sie beim ersten Versuch damit um, wie beim zweiten, beim dritten, beim vierten?

Also ist Rules gleichzeitig ein Spiel und eine Art Experiment?

Marcel-André Ja – aber ich glaube, für den Spieler ist es tatsächlich ein reines Spiel. Aber auch eine Herausforderung, weil der Lerneffekt so wahnsinnig schnell eintritt. Beim ersten Mal denken viele noch: „Das ist unschaffbar, da komme ich niemals übers erste Level hinaus!“. Aber schon beim zweiten Versuch schaffen es die meisten ins zweite Level. Alles baut stetig aufeinander auf und du kannst plötzlich Ziele erreichen, von denen du zuerst denkst, soweit würdest du nie kommen.

Ist Rules, wie 2Dreams, wieder eine komplette Eigenproduktion?

Marcel-André Bis jetzt war es das und zum großen Teil mache ich auch hier wieder alles selbst. Allerdings werde ich mir diesmal an bestimmten Punkten Hilfe holen. The Coding Monkeys, für die ich seit einigen Jahren freiberuflich arbeite, werden das Spiel publishen und während ich die Illustrationen wieder selbst zeichne, ist geplant, dass meine Freundin Agnes Lison das Grafikdesign übernehmen wird. Dann ist noch offen, ob das Spiel Musik braucht oder nicht. Da müsste ich mir wohl auch noch jemanden dazuholen. Programmierung, Leveldesign, Spielstruktur: Das mache ich alles selbst.

Das ist ein sehr interessanter Aspekt deiner Arbeit. Du hast Film studiert, bist aber vor allem für deine langjährige Arbeit als Brettspieldesigner bekannt – 2Dreams war ja dein erster eigener Ausflug in die digitale Spielwelt. Nebenbei hast du mit deiner Freundin zusammen mit dem „Smartbook“ noch ein Buchprojekt veröffentlicht. Gerade hier auf dem A Maze-Festival fällt wieder auf, dass es im Bereich Indie viele solcher Generalisten wie dich gibt, die ein Spielprojekt von Anfang bis Ende allein oder fast allein durchziehen – vom Konzept über das Programmieren, die Grafik bis hin zum Sound. Die klassische Spieleproduktion im AAA-Bereich sieht völlig anders aus – das sind extrem arbeitsteilige Prozesse, in denen riesige Teams an winzigen Aspekten eines Spiels arbeiten. Ist das etwas, das dich am Indie-Bereich besonders reizt – dass du ein komplettes Projekt quasi als Einzelkünstler von Anfang bis Ende entwickeln und umsetzen kannst?

Marcel-André Naja, ich bin es in gewisser Weise von den Brettspielen gewöhnt, fast alles selbst zu machen. Ich habe viele meiner Spiele auch selbst illustriert. Aber natürlich gibt es im Spielebereich immer noch eine Redaktion, mit der man sich auseinandersetzen muss. Mich reizt es schon, alles im Blick haben zu können – auf der anderen Seite kann ich mir aber auch gut Kollaborationen vorstellen. Im Grunde gibt es zwei Gründe, warum ich momentan alleine arbeite: Zum einen die Schnelligkeit. Dadurch, dass ich mich nicht mit anderen absprechen muss, kann ich schnell mal umschwenken, vielleicht eine ganz andere Richtung oder verrückte Ideen ausprobieren. Das zweite ist der finanzielle Aspekt. Ich kann im Moment einfach niemanden bezahlen, um etwas beizutragen. Aber diese Zwänge sind auch das Schöne am Indie-Bereich: Aus der Not entstehen dann eben wieder interessante Workarounds, auf die vielleicht AAA-Studios nie kommen würden.

Rules

Weil du die Brettspiele angesprochen hast: Du konzentrierst dich ja gerade auf deine Computerspiele. Worin besteht für dich der Unterschied und vielleicht auch der Reiz im Vergleich zur Brettspielproduktion, mit der du ja schon viel mehr Erfahrung hast?

Marcel-André Ich habe den Eindruck, dass die Brettspiele gerade so ein bisschen eine Ruhe- oder Konsolidierungsphase eingelegt haben, da passiert gerade aus meiner Sicht recht wenig Innovation. An den Rändern schon, aber im Kernbereich eher weniger. Da finde ich Computerspiele im Moment spannender, weil du eigentlich völlige Freiheit hast, alles zu machen, was du willst. Da einfach jede Idee ausprobieren zu können, das so komplett in der Hand zu haben und den ganzen Prozess frei gestalten zu können finde ich toll. Bei Brettspielen hast du eben doch immer noch den Verlag als zweite Instanz.

So wie sich das anhört, wird Rules also auch nicht dein letztes Computerspiel gewesen sein?

Marcel-André Ganz sicher wird das nicht mein letztes Spiel gewesen sein! Natürlich hängt das auch davon ab, wie ein Spiel ankommt, das beeinflusst die Zukunft auf jeden Fall ganz stark. Aber selbst wenn Rules erfolgreich sein wird, werde ich nicht nur diese Art Spiel machen. Das ist noch ganz offen: Bleibe ich bei Computerspielen, oder wird das nächste Projekt wieder ein Brettspiel oder probiere ich nochmal ein ganz anderes Medium aus – vielleicht nochmal sowas wie ein Buch? Das haben die Spieler natürlich auch indirekt in der Hand. Das ist sozusagen das Metaspiel: Spieler beeinflussen mit ihren Kaufentscheidungen den Designer immer auch darin, was er als nächstes machen wird.

Ich konnte ja gestern die Alpha von Rules schon einmal ausprobieren, das sieht auf den ersten Blick schon sehr fortgeschritten aus und macht unglaublich Spaß. Hast du schon eine Vorstellung, wann du das Spiel in den AppStore bringen wirst?

Marcel-André Naja, sobald ich jetzt was Konkretes sage, wird es vermutlich doppelt so lange dauern … Meine ursprüngliche Schätzung ist jetzt bereits abgelaufen. Meine momentane Schätzung ist: im Sommer. Tatsächlich sagen viele, die das Spiel ausprobieren, das sei doch eigentlich schon fertig. Aber man vergisst dabei gerne die ganz vielen Details. Also den grafischen Feinschliff, den Sound, die Animationen. Das ist zum Beispiel ganz interessant: Ich habe jetzt eine Animation eingebaut, in der ein Wal mit den Augen blinzelt. Das ist nur eine von vielen, die ich noch umsetzen muss, aber den meisten fällt anfangs gar nicht auf, dass die anderen Animationen noch fehlen. Wenn man ein Spiel aber oft spielt, sind solche Kleinigkeiten wichtig. Man merkt bei so einfachen Apps wie Threes, wie wichtig diese Details sind, damit es eine runde Sache wird.

Zumal dann doch die Gefahr besteht, dass man Spieler irritiert, oder? Wenn nur ein Charakter animiert ist, wirkt das schnell so, als hätte das eine spielmechanische Bedeutung.

Marcel-André Ja, solche spielmechanischen Details sind aber etwas, das man tatsächlich als Brettspielentwickler schon sehr früh lernt. Auf jeden Fall will ich mir bei Rules genügend Zeit nehmen, dass alles aus meiner Sicht passt. Auch wenn das für einen Indie-Entwickler ziemlich hart ist, denn eigentlich hat man natürlich weder die Zeit noch das Geld dafür …

Ich war, wie gesagt, von der Alpha-Version extrem angetan – eine Android-Umsetzung ist aber bislang nicht geplant, ich muss also hoffen und bangen, richtig?

Marcel-André Genau. Es ist natürlich immer ziemlich bitter für Android-Nutzer, dass sie immer abhängig davon sind, dass iOS-Nutzer das Spiel kaufen. Aber bei der Gelegenheit kann ich ja mal direkt zu den Android-Nutzern sprechen: Ihr habt es in der Hand! Wenn ihr über das Spiel redet und eure iOS-Freunde überzeugt, dann steigen die Chancen, dass es auch für Android kommt. Ihr müsst also gar nicht so untätig bleiben, wenn ihr es spielen wollt!

Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche dir – nicht nur aus Eigennutz als Android-Userin – viel Erfolg mit Rules!