Baldur's Gate: Enhanced Edition

1999 — du bist im besten Alter für den Scheiß: Kein Geld, aber alle Zeit der Welt, milde angepisst vom Dorf, in dem du seit Menschengedenken wohnst und dem zu entfliehen du jede Gelegenheit dankend wahrnimmst, aufgeweckt und trotzbereit und wild entschlossen, deine oft gepriesene Wachheit an das möglichst Obskure zu vergeuden. Deine Eltern, weniger technophob als uninteressiert, kaufen Computer aus Prinzip nur zweiter Hand, und du, du hast das Beste aus deinem Platz am hinteren Ende des Innovationsrattenschwanzes gemacht: Du hast deine verstreuten Interessen und Widerstände zusammengerafft und sie auf das Unzeitgemässe gelenkt, auf alte Spiele, Bestseller Games, die zwischen groben Einzelbildern, verdeckt verzahnten Zahlenschiebereien und ellenlangen Textpassagen betäubend komplexe Welten erschufen, wie gemacht, um sich in ihnen zu verlieren: Du hast die Inseln von Terra entdeckt, nachdem sie längst kein Neuland mehr waren, du hast den Norden Aventuriens erforscht und einen Scheiß darauf gegeben, dass längst andere vor dir da waren.

Und irgendwann hast du bemerkt, bei der Lektüre der damals noch druckfrischen Gamestar, dass deine Verspätung kein Zufall war: Solche Spiele, wird dir gesagt, werden nicht mehr gemacht. Das Rollenspiel, wie du es kanntest, ist greise geworden, vom Aussterben bedroht.

Doch jetzt ist 1999. Und du schiebst die zweite von fünf CDs in das Laufwerk des ersten halbwegs aktuellen Computers unter deinem Dach. Dein Hypercolor-Shirt verfärbt sich dunkel, als die Installation endlich abgeschlossen ist und eine Melodie den batteriebetriebenen Lautsprechern auf deinem Tisch wagnerschen Geist eintreibt. Du triffst, das Handbuch aufgeschlagen auf den Knien, Dutzende von Entscheidungen, die dir ein Alter Ego verschaffen sollen, das dieses in aller Vertrautheit fremd anmutende System in die Knie zwingen wird.

Und dann beginnt das Spiel, und straft sofort alle Schwanengesänge auf das Genre Lügen: Eine neue Welt, eine neue Perspektive, eine neue Steuerung, mit der dich Nullmodem-Gefechte in Warcraft II und Age of Empires im Haus von Freunden längst vertraut gemacht haben. Ziehend, klickend, manövrierend, erwanderst du eine Welt von handgemachter Robustheit und triffst auf Gefährten, die in ihrem Anschein von Eigenleben alles in Frage stellen, was du über das Genre zu wissen meintest. Du versenkst dich in ein aufregend wucherndes Geflecht von Zaubersprüchen, Ausrüstungsgegenständen und Fertigkeiten, die dir die Mittel an die Hand geben, die immer ausufernderen Gefechte auszustehen. Und die Welt, sie scheint endlos, mit immer neuen aufscheinenden Aufgaben und Nebenschauplätzen, die, wie alle guten Rollenspiele davor, die eine zentrale Geschichte um Rache und Götter und Wirtschaftskrisen zur Nebensache werden lassen. Du bist vollkommen bezaubert, aber wach genug um zu verstehen: This Baldur’s Gate shit is history in the making. Und du, du bist so was von bereit, an dieser Geschichte teilzuhaben.

…das Jahr ist 2012 und du, du erinnerst dich an all das, als du Baldur’s Gate: Enhanced Edition auf deinen Computer herunterlädst. Unzählige Stunden an der Schwertküste haben sich deinem Gedächtnis so unauslöschbar eingebrannt, dass du einen Reiseführer aus der Erinnerung heraus schreiben könntest, fällt dir mit einer Mischung aus Stolz und Bedauern plötzlich auf. Eine Melodie ertönt aus der 5.1-Anlage, die dich umgibt, sie ist dir nicht vertraut. Du blickst auf einen unangenehm überstellten Schirm und fragst dich, wo du anfangen sollst, lässt den Mauszeiger über dem „Baldur’s Gate“-Knopf schweben, doch die Fülle der Erinnerungen lässt dich innehalten; stattdessen entscheidest du dich dafür, nicht wissen zu wollen, was dich erwartet.

Du klickst auf „The Black Pits“, und findest dich in einer seltsamen Mischung aus Unbekanntem und Vertrautem wieder: Diese Geschichte, von einer widerwillig in endlose Arenakämpfe geworfenen Abenteuergruppe, sie ist neu; die Mittel, mit denen sie erzählt wird, sind es nicht: Ziehend, klickend, manövrierend, steigst du mal um mal siegreich aus der Arena, als wärst du nie weg gewesen. Stunden vergehen wie im Flug, doch mit dem wachsenden Widerstand, der deiner Gruppe entgegengeworfen wird, regt sich auch in dir mehr und mehr der Widerstand: Du siehst dich in Kämpfe verwickelt, die nur mit dem esoterischsten aller in Monsterkompendien verfügbare Geheimwissen gewonnen werden können. Du bemerkst verstimmt, wie verdrängte Erinnerungen an längst vergessene Bugs wiedererweckt werden, als dieselben Bugs bei dir unverändert wieder vorstellig werden.

Du beginnst nach und nach die Geduld zu verlieren. Nicht mit dem Spiel, das ist, wie es ist, wie es immer war. Sondern mit dem neu Hinzugefügten, das durch alle Ritzen und Spalten einen Mangel an Sorgfalt erkennen lässt, den du nicht ohne Weiteres zu vergeben bereit bist – nicht, weil dies 2012 ist, nicht, weil wir Anderes und Besseres gewohnt sind mittlerweile. Sondern weil dies Baldur’s Gate ist, dasselbe Baldur’s Gate, das du kennst, wie nur ein faszinierter Teenager eine solche Sache kennen kann. Dasselbe Baldur’s Gate, das, wenn du dies gewollt hättest, immer in Reichweite geblieben ist; wer etwas dazu beitragen will, muss sich mehr Mühe geben, denkst du, als du aufhörst zu spielen und dich fragst, wann du zurückkehren wirst.

Das Jahr wird nicht 2012 sein, vermutest du.