Call of Juarez: Gunslinger
Der ergraute Haudegen Silas Greaves blickt auf ein bewegtes und vor allem bleihaltiges Leben zurück. Als Kopfgeldjäger zog er mit flinker Hand durch den Wilden Westen der 1880er, kämpfte unter anderem an der Seite von Billy the Kid und machte zahlreichen Halunken den gar aus. Männer wie Silas Greaves sind dafür prädestiniert, mit geölter Kehle in geselliger Runde von ihren Taten zu erzählen. So sei es. Willkomen bei Call of Juarez: Gunslinger.
Bull’s Head Saloon in Abilene, Kansas. Silas Greaves, seit Jahren im Ruhestand, genehmigt sich auf Kosten seiner Zuhörer diverse Alkoholika. Das lockert Zunge und Geist. Sobald das Rauhbein mit seiner Geschichte beginnt, wird der Spieler in die 3D-Welt geworfen und schlüpft ins jüngere Ego des Erzählers. Das Spielgeschehen findet parallel zu den Schilderungen statt, wie man es bereits von Bastion kennt und mag — oder zumindest mögen sollte, wenn man auch nur über einen Funken Geschmack verfügt.
Bereits nach wenigen Minuten in Gunslinger fühlte ich mich wohl. Ich lauschte der rauchigen Stimme von John Cygan, betrachtete meinen glänzenden Revolver und sehnte mich insgeheim nach einem Whiskey, der in Wellen gegen meinen trockenen Gaumen schlägt. Doch der nächste Saloon lag in weiter Ferne. Außerdem musste ich meiner Bestimmung folgen und mittels Waffengewalt Schurken dezimieren. Silas Greaves — getrieben vom Wunsch nach Rache am Mörder seiner Brüder — machte unmissverständlich klar, wohin die Reise geht.
Die Erzählweise von Gunslinger erweist sich nicht nur als Bestandteil des Spiels, sondern ist maßgeblich für die stimmungsvolle Kulisse verantwortlich. Wenn sich beispielweise eine Schilderung von Silas Greaves im Dialog mit den Zuhörern als unwahr oder übertrieben herausstellt, spult das Szenario wie in einem Film zurück und muss in abgeänderter Form erneut erlebt werden.
Im Kern bleibt Gunslinger ein Shooter. Es gilt Waffen zu finden und zu wechseln, mit der Munition hauszuhalten, Deckung zu suchen und im Akkord Kopfschüsse zu verteilen. Das ist, nicht zuletzt wegen der strunzdummen KI, keine besonders große Herausforderung, macht dennoch sehr viel Spaß und wirkt sich nicht negativ auf den Spielfluss aus. Selbst das merklich schlauchartige Levelsdesign stört nur selten. Und zwar dann, wenn man manch schönes oder interessantes Örtchen in Gunslinger näher begutachten möchte, (un)sichtbare Barrieren den Erkundungstrieb jedoch unterbinden. (In solchen Momenten sehnt man sich etwas nach Red Dead Redemption zurück.)
Selten bleibt aber überhaupt viel Zeit, über solche Dinge nachzudenken, denn schon im nächsten Moment fliegen einem Kugeln von Feinden und schnippische Bemerkungen von Silas Greaves um die Ohren. Gunslinger wirkt erwachsen. Es gibt sich humorvoll, ohne ins Alberne abzudriften.
Eine manuelle Speicherfunktion ist nicht vorhanden. Die 14 Levels beinhalten diverse Checkpoints, die zum Großteil fair gelegt sind und einen schnellen Wiedereinstieg ins Geschehen ermöglichen, sollte man das Zeitliche gesegnet haben oder das Spiel zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen möchten. Generell ist Gunslinger herrlich unkompliziert, was dabei hilft, sich in die Welt fallen und die unterhaltsame Action auf sich wirken zu lassen.
Überstandene Abenteuer werden abhängig vom Grad der Fähigkeit mit Dollars belohnt, die wiederum als Erfahrungspunkte herhalten und den Protagonisten im Rang aufsteigen lassen. Das Erreichen neuer Stufen wirft Punkte ab, die in neue Talente oder Fähigkeiten investiert werden können.
Neben der Kampagne bietet Gunslinger zwei weitere Modi: Im Arcade-Modus müssen gewisse Passagen in möglichst kurzer Zeit absolviert werden. Während man sich in den Missionen durchaus entspannt hinter einem Felsen verschanzen kann, um sich in aller Ruhe ein, zwei oder 50 Cowboyzigaretten zu drehen, gilt es hier, besonders rasch die Gegner auszuschalten und die Ziellinie zu überschreiten. Im Duell-Modus kann man sich mit Westerngrößen wie Jesse James, Butch Cassidy und Sundance Kid messen. Diese und weitere bekannte Charaktere wurden in die Geschichte verwoben, was immer wieder den Verdacht aufwirft, dass der ehemalige Kopfgeldjäger zum Fabulieren neigt, um seine Erzählung spannender zu gestalten. Aber bei guten Geschichten wie dieser hier spielt der Wahrheitsgehalt eh nur eine unbedeutende Nebenrolle.
Kocht euch einen Cowboykaffee, klemmt einen Zahnstocher in den Mundwinkel und sattelt die Konsole oder den PC. Der polnische Entwickler Techland liefert mit Gunslinger eine gelungene Überraschung ab, die euch für eine Handvoll Stunden an den Bildschirm fesselt — inklusive einem respektablen Ende, das mit Aha-Effekten aufwartet. Hut auf!