Sleeping Dogs

Vergangenen Monat war ich in Hong Kong und habe einige aufregende Dinge erlebt, die ich in Form einfacher Tagebucheinträge festgehalten habe und an dieser Stelle mit euch teilen möchte. Die wunderschöne Halbinsel beherbergt eine faszinierende, nie schlafende Metropole, bietet zahlreiche Sehenswürdigkeiten, eine atemberaubende Küste und ist Heimat eines zugleich rätselhaften, aber sehr anziehendem Volkes. Außerdem gibt es dort Martial Arts. Und Schießereien. Und Autodiebstahl. Und Explosionen. Garniert mit Sex, Drogen und Gewalt. Aber lest doch einfach selbst.

01. August – 02:45 Uhr

Ankunft in Hong Kong. Es ist schon spät als ich in den Mietwagen steige, mit dem ich zur Wohnung meines Freundes Wei Shen fahren möchte. Ich bin müde. Die 21 Stunden Flugzeit, die ich meinem Economy-Spar-Ticket zu verdanken habe, zerren an meinen Kräften. Möglicherweise war diese Erschöpfung auch der Grund dafür, dass mich der in Hong Kong herrschende Linksverkehr (ein Überbleibsel der britischen Kolonialzeit) zuweilen irritierte und auf halber Strecke in einen Unfall resultierte. Zum Glück war es finster und das Auto, welches ich in einer Seitengasse gerammt hatte, scheinbar unbemannt. Also beging ich Fahrerflucht.

Wei war nicht zu Hause. So begrüßte mich ein bulliger, zutätowierter Chinese in gebrochenem Englisch und geleitete mich in die Wohnung. Ich wusste nicht, dass mein Freund Leibwächter hatte!? Ich war jedoch zu müde, um darüber nachzudenken und fiel wenige Minuten später in das für mich hergerichtete Bett.

02. August – 10:00 Uhr

Wei war immer noch nicht da, sein Bett unberührt und der Bulle bestätigte mir seine Abwesenheit. Er sei wohl gerade sehr beschäftigt. Ich solle mich doch etwas in der Stadt umgucken, ein fahrbarer Untersatz stehe für mich bereit und hier ist noch etwas Geld. Ich schaute ungläubig auf das Bündel Scheine in meiner Hand, war jedoch zu überrascht, um etwas zu erwidern und trat hinaus auf den großen Parkplatz vor der Wohnung. Erst jetzt fiel mir langsam der Reichtum auf, der mich umgab. Das Penthouse von Wei war beeindruckend, der Fuhrpark vor meinen Füßen muss ein Vermögen gekostet haben. Der Bulle trat hinter mich und schüttelte den Kopf.

“Nicht Auto, Motorrad.”
“Aber ich habe gar keinen Motorrad-Führerschein.”
“Egal. Lernst du. Hier. Schlüssel. Die Rote da drüben.”
“Öhm. Danke. Und der Helm?”

Lachend ging der Bulle zurück in das Haus.

Mit dem Motorrad kam ich erstaunlich gut zurecht. Etwas übersensibel, aber beherrschbar. Schon nach kürzester Zeit ‘übersah’ ich die ein oder andere Verkehrsregel, jagte an den zahlreichen Verkehrsteilnehmern vorbei, überfuhr rote Ampeln und machte mich auf zum Tempel in North Point, von dem ich in meinem Reiseführer gelesen hatte.

Als ich mit Höchstgeschwindigkeit am ersten Polizeiwagen vorbeiraste, war ich fest davon überzeugt, dass die Angestellten des HKPD (Hong Kong Police Department) mich einfach übersehen hatten. Doch auch ihre Kollegen machten sich scheinbar nichts aus meinen Verkehrsvergehen. Ich übertrat die Geschwindigkeitsbegrenzung mit hartnäckiger Regelmäßigkeit, ignorierte Ampeln, Vorfahrtsregeln und wechselte auch mal auf die Gegenfahrbahn – auf dem Highway. Doch anstatt mich mit heulenden Sirenen zum Anhalten zu bewegen, folgten die Beamten dem alltäglichen Verkehrsfluss. Entweder machte ich etwas falsch oder verdammt richtig. Ich hatte zumindest Narrenfreiheit.

Am Tempel angekommen, nahmen mich sofort die zahlreichen Mönche mit ihrer konzentrierten und trotzdem sehr friedlichen Miene in ihren Bann gefangen. Ich nutzte die Ruhe für eine kurze Auszeit, stieg die zahlreichen Stufen empor und genoss die Aussicht vom höchsten Punkt der Tempelanlage. Während ich einige Mönche bei ihren meditativen Übungen beobachtete, fiel ein heller Lichtschein in regelmäßigen Abständen auf die Rückseite meines rechten Brillenglases. Etwas geblendet drehte ich mich um und suchte nach der Ursache. Ich ging wenige Schritte über den rustikalen Steinboden, bis ich die Rückseite des Tempels erreichte. Dort lag ein blauer Koffer, hell erleuchtet. Ich trat näher … und zögerte. Sollte ich ihn öffnen? Gehörte das Gepäckstück zum Tempel oder hatte es hier jemand verloren? Ich dachte nicht weiter drüber nach und meine Finger glitten über das blaue Metallgehäuse, fanden den Verschluss und öffneten ihn. Ich verließ die Anlage mit einem weiteren Bündel Geldscheine in meiner Hosentasche.

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02. August – 19:00 Uhr

Das Penthouse war abgeschlossen, von dem Bullen keine Spur, geschweige denn von Wei. Etwas genervt schritt ich zurück zur Maschine. Ich hatte Hunger. Also fuhr ich zum Night Market, kaufte mir Nudeln, etwas Ente, ein Eis und rundete das ganze mit einem Softdrink ab, den mir irgendwelche tanzenden Mädchen verkauften.

Überall standen Einheimische, winkten mir zu, riefen nach mir und versuchten mir ihre Ware anzudrehen. Hier gab es quasi alles. Raubkopien aktueller Filme, Videospiele und Musik, Klamotten, Elektronik, Matratzen (ja, wirklich) und vieles mehr. Ich ließ mich zu einem neuem Oberteil überreden und kaufte direkt noch eine passende Hose, als laute Rufe meine Aufmerksamkeit auf das Spektakel hinter mir lenkten.

Da war er, Wei Shen, mein asiatischer Freund, und prügelte auf einen am Boden liegenden Typen ein. Ich schritt langsam näher und erkannte den Bullen wieder, der mich heute morgen noch ausgelacht hatte. Auch jetzt war er bester Laune, als er Wei mit kräftigen Tritten bei seiner Arbeit unterstützte.

“Wei?”
“Oh, hi!”

Wei Shen schritt grinsend auf mich zu, während sich sein Opfer auf dem Boden krümmte. Kleine Blutspritzer zierten sein bis vor wenigen Minuten makelloses weißes Hemd.

“Conroy erwähnte schon, dass du gut angekommen bist. Hattest du Spaß mit dem Motorrad?”
“Ähh, ja. Ähm, was ist mit dem Typen?”
“Mit dem? Ach, nix. Eine Meinungsverschiedenheit. Hast du schon gegessen?”
“Uhm, ja. Gerade eben, kurz bevor du den Typen verdroschen hast. Ist Conroy dein Leibwächter oder sowas?”
“Haha, nein, er ist Familie.”
“Dein Bruder?”
“So in der Art. Wollen wir zu mir?”
“Ja, klar. Tolle Idee. Was ist eigentlich mit eurer Polizei hier los?”
“Wieso, was soll mit der sein?”
“Ach… Nichts. Lass uns fahren.”

03. August – 08:00 Uhr

Wei musste wieder früh los. Er schläft immer nur ein paar Stunden. Scheint wohl viel beschäftigt zu sein. Doch bevor er ging, empfahl er mir seine alte Martial Arts-Schule und drückt mir eine seltsam leuchtende, grüne Jade-Statue eines Hasen in die Hand.

“Geh damit zu meinem Sifu. Du wirst es brauchen.”
“Die Statue oder den Unterricht?”
“Beides.”
“Oh. Wann macht die Schule denn auf?”
“Die haben immer geöffnet.”
“Toller Service. Und zu welcher Zeit ist dein Lehrer anwesend?”
“Immer.”
“Immer? Muss der nicht auch mal schlafen oder essen oder…”
“Arne, du stellst seltsame Fragen. Ich muss jetzt los.”

Beim Kampfsport-Dojo angekommen, begrüßte mich ein drahtiger, älterer Herr, der sich klar als Besitzer der Schule zu erkennen gab. Er nahm mir die Jade-Statue aus der Hand, stellte sie in ein Regal und drosch mit irgendwelchen Lebensweisheiten auf mich ein. Dann fragte er mich plötzlich, was ich lernen möchte. Einfach so. Etwas perplex antwortete ich:

“Öhm. Irgendwas mit springen und treten? So wie Bruce Lee?”
“Ahhh. Den Flying Jump Kick. So sei es.”

Er schubste mich auf die Übungsmatten, stellte mir einen seiner Schüler gegenüber und gab mir ein paar grobe Anweisungen. Laufen, springen, treten. Klingt einfach, und das war es erstaunlicherweise auch. Schon beim ersten Anlauf trat ich den Schüler von der Matte. Und noch einmal. Und noch einmal. Dann trainierten wir noch ein wenig Blocken und Schlagen und noch etwas mehr Treten und nach wenigen Minuten beherrschte ich die Grundlagen von Martial Arts. Total easy.

Den Rest des Nachmittages verbrachte ich damit, nichts ahnende Fußgänger mit meinem Flying Jump Kick in den Rücken zu treten. Oder direkt ins Gesicht. Herrlich.

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03. August – 17:45 Uhr

Auf dem Rückweg zu Weis Apartment bemerkte ich eine Gruppe drei finster dreinblickender Gestalten, die um einen Koffer herumstanden. Das Gepäckstück war identisch mit dem leuchtenden, blauen Koffer, den ich gestern beim Tempel gefunden hatte. Möglicherweise hatten sie ihn verloren und schauten deshalb so schlecht gelaunt aus der Wäsche. Ich entschloss mich dazu, ihnen von meinem Fund zu erzählen. Nächstenliebe, und so.

“Hey Jungs, ich glaube ihr habt da…” BÄM.

Bevor ich den Satz beenden konnte, traf mich eine Faust mitten ins Gesicht. Das kam unerwartet. Ehe ich mich versah, hatten die Drei mich umzingelt. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mein neu erworbenes Wissen vom Vormittag anzuwenden. Binnen weniger Minuten lagen meine Widersacher regungslos auf dem Boden und ich machte mich an dem Koffer zu schaffen. Das hatten sie nun davon. In ihm befand sich erneut ein Bündel Geldscheine. Ich beschloss die Augen nach diesen blauen, leuchtenden Koffern offenzuhalten.

 
03. August – 23:00 Uhr

Habe ich schon erwähnt, dass Wei immer in voller Bekleidung schläft? Er behält sogar seine Sonnenbrille auf. Hallo?!

04. August – 12:00 Uhr

Wei hatte sich heute extra freigenommen, um mir ein wenig die Stadt zu zeigen. Cool. Wir stiegen in einen seiner Sportwagen und fuhren los. North Point, Kennedy Town, Aberdeen. Wir fuhren vorbei an Stränden, schlängelten uns die wenigen Berge hoch, rasten durch wunderschöne Vegetation, statteten dem Hafengebiet einen Besuch ab und durchquerten die zahlreichen, stets überfüllten Stadtgebiete. An einigen Stellen stieg Wei aus, um an so seltsamen Schreinen zu beten. Einmal ging er in ein Geschäft und kam mit einer dieser Jade-Statuen zurück, die scheinbar seinem Sifu gehörten und mittlerweile über die ganze Stadt verteilt sind.

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Auf dem Rückweg – es wurde schon dunkel – begann es zu regnen. Das Unwetter addierte eine ganz neue Facette zur Schönheit dieser Halbinsel. Die mannigfaltige Leuchtreklame reflektierte auf dem nassen Asphalt, unsere Scheinwerfer reihten sich ein in ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten. Es sah alles ein wenig zu gut aus, um wahr zu sein.

Auf dem Highway, den wir nahmen, um den innerstädtischen Verkehr zu umfahren, blickte Wei öfter als üblich in den Rückspiegel.

“Ist was?”
“Mir gefallen die Motorrad-Fahrer da hinter uns nicht.”

Ehe ich ihn fragen konnte, was er damit denn genau meine, prasselten auch schon die ersten Geschosse auf seinen Sportwagen ein. Er zog etwas aus seinem Handschuhfach und drückte es mir in die Hand.

“WAS IST DAS?”
“Eine MP7, du Idiot! Was sonst?”
“ABER DIE IST RIESIG!”
“Hör auf so einen Mist zu erzählen und schieß’. Am besten auf die Reifen.”
“HÄ?!”

Die Scheibe auf der Beifahrerseite zersplitterte. Einer der Biker hatte sich neben uns gesetzt und zielte mit seiner Waffe genau in unser Auto. Wie aus Reflex hob ich das Maschinengewehr und drückte ab. Eine Salve Kugeln durchbohrte das Bike und seinen Fahrer, der augenblicklich die Kontrolle verlor und in einer leuchtenden Explosion aus dem Leben schied.

“Sehr gut. Und jetzt die anderen. Aus dem Fenster mit dir!”

Bevor ich etwas erwidern konnte, schob mich Wei aus dem zerborstenen Beifahrerfenster und schrie erneut:

“DIE REIFEN, ZERSCHIEß’ DIE REIFEN!”

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Ich tat wie mir geheißen, schoss auf die Gummilegierungen der Motorräder und Autos unserer Widersacher und beobachtete fasziniert, wie die Fahrzeuge durch die Luft flogen und nicht selten in roten Feuerbällen aufgingen. Das wirkte alles etwas surreal.

Natürlich zog die ganze Schießerei auch die Aufmerksamkeit der Cops auf uns. Ich kroch zurück in den Wagen und Wei drückte das Gaspedal durch, während wir auf eine Brücke zurasten. Doch anstatt der Auffahrt zu folgen, hielt mein asiatischer Freund stur auf eine Absperrung zu. Ich riss die Arme vor mein Gesicht, als der Wagen durch die Luft schnellte, umgeben von zerborstenen Stoppschildern und Warnlampen. Hart schlug das Sportauto auf dem Untergrund auf. Doch anstatt als Totalschaden zu enden, schien das Fahrzeug nur ein paar kosmetische Defizite davonzutragen. Hervorragende asiatische Qualität, mutmaßte ich. Die Sirenen wurden leiser.

“Haben wir sie abgehängt?”, fragte ich.
“Ja, die werden uns nicht mehr belästigen. Sind nicht die Hellsten.”
“Aber die werden uns doch sicherlich suchen!?”
“Und wonach sollen die bitte schön Ausschau halten?”
“Wie wär’s mit einem grell-orangenen Sportwagen, der so teuer ist, dass er überall auffällt? ODER DEIN NUMMERNSCHILD?!”
“Ihr Europäer seid schon ein seltsames Volk. Nach uns wird gar keiner suchen.”
“…”

 
04. August – 21:00 Uhr

Ich hatte nicht viel Zeit, um über die letzten Minuten nachzudenken. Als wir den zerbeulten Wagen am Straßenrand abstellten, um in Weis Apartment auf der gegenüberliegenden Straßenseite einzutreten, wurden wir von einem Dieb überrascht, der Wei im Vorbeilaufen die Jade-Statue aus der Hand riss.

“HINTERHER!”, schrie Wei und rannte los. Ich folgte ihm so gut ich konnte.

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Kennt ihr dieses Videospiel, “Assassins Creed”? So in etwa müsst ihr euch das vorstellen. Wir liefen durch irgendwelche Seitengassen, vorbei an zahlreichen Passanten, sprangen über Hindernisse und kletterten auf Häuserdächer, um dort die Verfolgung fortzusetzen. Ich lernte dabei, dass es vor allem auf das passende Timing ankam. Im richtigen Moment abzuspringen resultierte nicht nur in einer sicheren Landung, sondern brachte mich entscheidende Meter näher heran an unseren Dieb. Als ich nah genug war, sprang ich ab und nutze den Schub für meinen, auf den Bürgersteigen von Hong Kong mittlerweile gefürchteten Flying Jump Kick, um den Kleinganoven zur Strecke zu bringen. Das Umtreten von Passanten hatte sich also gelohnt. Wei, der nur knapp hinter mir war, klopfte mir auf die Schulter.

“Sehr gut, sehr gut. Aus dir könnte noch ein richtiger Sun Yee On werden.”
“Ein was?”
“Ach, nichts. Lass uns zurück ins Apartment. Ich habe da etwas, was ich dir geben möchte.”

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04. August – 22:30 Uhr

Wei drückt mir ein Smartphone in die Hand.

“Das gehört jetzt dir. Neueste Technik.”
“Fantastisch, danke! Kann man damit auch Videotelefonate führen?”
“Huh? Nein, so ein Quatsch. Aber du kannst Tresore knacken, Kameras hacken und Wanzen kalibrieren. Ach, und die Lokalisierung deines Gesprächspartners ist auch recht einfach, zeig’ ich dir dann alles mal.”
“Du verarschst mich.”
“Nein, überhaupt nicht. Probier’s aus.”
“Ich soll da jetzt rausgehen und eine Kamera hacken?”
“Zum Beispiel. Apropos Kameras: Ich kenne da jemanden, der dir das zeigen könnte. Sie heißt nicht Ping.”
“Hä? Sondern?”
“Nicht Ping.”
“Ich glaube, ich geh’ dann mal ins Bett.”

Die Zeit vergeht wie im Fluge und ich komm’ mit dem Aufschreiben nicht mehr hinterher. Ich versuche, die vergangenen Tage anhand meiner Notizen zu rekonstruieren.

 
05. August

Zuerst habe ich mich mit Nicht Ping getroffen (die will wirklich so genannt werden!?) und wir sind etwas durch die Stadt gezogen. Süß. Ein wenig verrückt, aber ganz süß. Sie brachte mir dann auch bei, wie ich mich in das System einer Überwachungskamera einlogge. Und dann hatten wir Sex. Das geht hier in Hong Kong scheinbar alles etwas schneller.

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06. August

An den darauffolgenden Tagen habe ich mir ein Schnellboot ‘geliehen’ (Wei meinte, ich solle einfach eins nehmen, das mir gefällt und losfahren) und die Insel etwas von der Wasserseite aus erkundet. Mein Gastgeber verriet mir außerdem noch die Position einer ehemaligen Ölplattform, die nun Treffpunkt für illegale Glücksspiele ist. Direkt mal $1.000 auf den Kopf gehauen.

07. August

Heute wieder Passanten mit meinem Flying Jump Kick beglückt. Wenn ich jemanden umgetreten habe, warte ich immer noch ein wenig, bis der Krankenwagen auftaucht. Ich posiere dann noch für die Passanten, die mich mit ihren Handys fotografieren und lausche den Gesprächen der Notärzte. Oh, und ich habe gelernt, wie ich jemandem das Bein breche. Das funktioniert aber scheinbar nicht immer, manchmal stehen die Leute trotzdem wieder auf. Werde mehr üben müssen.

08. August

Ich war erst beim Masseur, dort habe ich mich von ein paar leicht bekleideten Mädchen verwöhnen lassen. Danach mit Nicht Ping zum Karaoke-Singen getroffen. War noch total blutig von einer vorangegangenen Schlägerei. Hat sie aber scheinbar nicht gestört. Hoffentlich findet sie nicht heraus, dass ich noch zwei andere Mädchen treffe. Eigentlich finde ich sie ja ganz süß.

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Auf dem Rückweg ein Auto frontal gerammt. Das ist einfach so aus dem Nichts aufgetaucht. Zack, war es da. Wie in diesen schlechten Videospielen, die unter ständigen Pop-Ups leiden.

10. August

ARGH, SCHON WIEDER VERGESSEN, DASS HIER LINKSVERKEHR HERRSCHT UND MEINEN NEUEN SPORTWAGEN ZERLEGT.

Zum Glück scheinen die Parkhäuser in Hong Kong auch Werkstätten zu sein. Zumindest war mein Auto am nächsten Morgen wieder wie neu.

14. August

Ich glaube, ich will hier nicht mehr weg.

16. August

Ich erledige jetzt auch immer öfter kleine Gefälligkeiten für Weis Freunde. Leute verprügeln, Dinge stehlen, den Chauffeur spielen und andere Tätigkeiten. Dadurch ist mein Ansehen in der Stadt merklich gestiegen.

17. August

Zum ersten Mal an illegalen Autorennen teilgenommen. Wei hat mich mit der Szene vertraut gemacht. Und warum auch nicht? Wei stellt das Auto und die Konkurrenz ist geradezu lächerlich schwach. Nur die Motorrad-Rennen bieten etwas Herausforderung. Spaß macht es trotzdem.

18. August

Wieder in ein paar Schlägereien verwickelt gewesen. Doch anstatt mir die Hände schmutzig zu machen, nutzte ich einfach die Gegenstände in meiner unmittelbaren Umgebung. Sägeblätter, Telefonzellen, Müllcontainer, Autotüren, Brennöfen, Fleischerhaken, Metalrollos, Lüftungsanlagen und andere Dinge. Ein bisschen wie Jackie Chan für Erwachsene.

19. August

Heute auf dem Weg durch die Stadt mal nicht auf das GPS gehört. Das Ding sucht manchmal echt unnötig lange Wege raus.

20. August

Zusammen mit Wei einen Transporter überfallen. Deutlich einfacher, als es sich im ersten Moment anhört. Einfach nah genug heranfahren, aus dem Wagen springen, am Zielwagen festhalten, langsam zum Fahrerhaus hangeln, Fahrer rauswerfen, Polizei abhängen, Transporter bei der nächsten Garage abgeben, Geld kassieren. Ich mache das jetzt öfter.

21. August

Schon wieder im Krankenhaus aufgewacht. Das mit dem Transporter lief gestern wohl nicht wie geplant. Naja, Wei ist auch regelmäßiger Besucher des Hospitals, die flicken einen hier immer wieder zusammen. Sterben in Hong Kong ist echt schwer.

23. August

Fuck, von wegen nicht sterben. Letzte Nacht in einer riesigen Schießerei verwickelt gewesen. Hier wird’s langsam echt heiß. Das mit der Deckung hab’ ich noch nicht so ganz raus, dafür scheint mir die Luft hier echt gut getan zu haben. Meine Reaktionsfähigkeit ist deutlich gestiegen, besonders, wenn ich über Deckungen springe. Ein bisschen wie in dieser Spielereihe mit diesem permanent nörgelnden Protagonisten. Nur haarscharf dem nächsten Krankenhaus-Aufenthalt entkommen.

25. August

Vielleicht sollte ich meine Abreise vorziehen. Habe eine Textnachricht von Wei erhalten, während ich durch ein paar der ortsansässigen Fightclubs gezogen bin. Ich solle sofort zu ihm, es wird jeder Mann gebraucht. Dabei wollte ich jetzt eigentlich noch ein wenig Geld bei den zahlreichen Hahnenkämpfen gewinnen. Der Urlaub wandelt sich langsam in Arbeit. Tödliche Arbeit.

27. August

Wei plante, ein Exempel zu statuieren. Einige der alten Lagerhallen an den östlich gelegenen Docks werden regelmäßig von einer befeindeten Gruppe für Drogenschmuggel und Schwarzmarkthandel missbraucht. Das soll sich morgen Abend ändern. Ich verstehe die ganzen Zusammenhänge nicht, als ich zusammen mit den ganzen finster dreinblickenden Sun Yee On-Mitgliedern an einem alten Holztisch sitze und Weis chinesischen Worten lausche. Hin und wieder trifft mich ein misstrauischer Blick und es wird augenscheinlich über mich getuschelt. Einige der Anwesenden sind über meine Präsenz sichtlich verärgert, beschimpfen mich als Ratte oder so ähnlich. Doch Wei scheint die Gemüter beruhigen zu können, zumindest vorerst.

28. August – 01:00 Uhr

Es war kurz nach Mitternacht, stockdunkel und kühl. Zwei unscheinbare Autos standen am Rande der Hafeneinfahrt. Es regnete Bindfäden. Das Hafengelände war leer, sogar auf den umliegenden Straßen war es bedrohlich ruhig. In den vergangenen 15 Minuten der Hinfahrt hatte ich keinen einzigen Passanten oder andere Autos gesehen. Die sonst so vor Leben pulsierende Stadt wirkte wie ausgestorben, bedrohlich zeichnete sich die enorme Skyline vor dem dunklen Himmel ab. Vereinzelt erhellten Blitze das Szenario, gefolgt von einem fernen Donnern.

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“Es ist soweit.”, brummte Conroy.

Langsam schoben sich eine Handvoll Männer aus den beiden Wagen, eingehüllt in schwarzen Lederjacken und farblosen Regenmäntel. Die entsprechende Lagerhalle war nicht weit von der Zufahrt entfernt, keine fünf Minuten Fußweg. Sie war von zwei Seiten zu erreichen und unsere kleine Gruppe teilte sich auf, um beide Zugänge zu stürmen. Ich schlich nur einen knappen Meter hinter Wei durch die Docks, dicht gefolgt von zwei Sun Yee On-Mitgliedern. Einer der beiden, ein groß gewachsener Hüne mit langen schwarzen Haaren, gehörte zu der Gruppe, die gegen meine Teilnahme an dieser Operation gestimmt hatte. Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken, als wir geduckt am Hafenbecken und den zahlreichen Booten entlangschlichen. Die Lagerhalle schälte sich aus der Dunkelheit.

Wir sahen die andere Gruppe, angeführt von Conroy, am gegenüberliegendem Ende der Lagerhalle verharren. Sie warteten auf ein Signal. Doch im gleichen Moment, als Wei die Hand hob, um Conroy das Zeichen zu geben, sprangen die Türen der Lagerhalle auf. Hinaus liefen zwei Dutzend bewaffnete Chinesen und nur einen Wimpernschlag später prasselte ein Kugelschwarm in unsere Richtung. Notdürftig gingen wir hinter einem der zahlreichen Übersee-Container in Deckung.

“Das ist alles seine Schuld!”, schrie der Langhaarige und deutete auf mich. Ich schluckte.
“Halt die Klappe, Lee.”, erwiderte Wei und zog eine Pistole aus der Innentasche seiner Jacke. Auch die anderen beiden Gangster hielten Schusswaffen in ihren Händen.
“Er ist eine Ratte, Wei, ich rieche das. Wenn er nicht vom HKPD ist, gehört er bestimmt zu 16K. Wir sollten ihn hier und jetzt umlegen!”

Anstatt zu antworten, packte Wei den großen Chinesen am Schopf und drückte sein Gesicht mit voller Wucht gegen den Container. Wei schrie einige Worte auf Chinesisch, Lee verstummte. Sein Blick wich dabei nicht von meinem Gesicht. Die nächsten Minuten waren geprägt von einem wilden Gemisch aus Pistolenschüssen, ständigen Deckungswechseln, Schreien und hartnäckigem Regen.

Wir kauerten am Fuße eines Anlegers, als wir die Motoren hörten.

“Verdammt. Die haben doch tatsächlich Verstärkung gerufen.”

Wir zögerten nicht lange und eröffneten das Feuer auf die sich schnell nähernden Autos. Wie immer zielten wir auf die Reifen, wie immer riss es die Fahrzeuge in die Höhe, wie immer verendeten diese in einem Feuerball. Meine anfängliche Faszination für das tödliche Spektakel ist schon lange kühler Berechnung gewichen, ja, fast schon Langeweile. Die Explosionen erhellten die Nacht und lockten weitere Besucher an, das vertraute Geräusch der Sirenen ließ nicht lange auf sich warten und schon bald wurde das Orange der lodernden Flammen von tiefen Rot- und Blautönen durchbrochen. Wir suchten nach einem Ausweg, als wir weiter auf den Anleger zurückwichen. Conroys Gruppe war mittlerweile im Rauch verschwunden. Jeder für sich selbst.

Ich deutete auf eines der Boote.

“Warum nehmen wir nicht eines von denen und verschwinden?”
“Ihr geht nirgendwo hin.” erwiderte Lee, der nun hinter uns stand und seine Waffe auf Wei und mich richtete.
“Wei, das ist alles deine Schuld. Du hast zugelassen, dass diese Ratte unsere Kreise durchdringen konnte. Wegen ihm wussten 16K, dass wir kommen. Wegen ihm war die Polizei so schnell hier. Das endet hier.”
“Was hast du vor?” fragte Wei, jeden Muskel angespannt.
Lee lachte.
“Ich lege ihn um. Die Ratte wird keiner vermissen. Und du kannst gucken, wie du mit der Polizei zurechtkommst. Oder ich erschieß’ dich auch. So oder so wird sich bei den Sun Yee On einiges ändern. Ich werde…”

Eine kurze, aber heftige Explosion ließ den alten Holzsteg erzittern, lang genug, um Lees konzentrierten Blick von seinen Opfern zu lenken, lang genug, um eine Waffe zu heben und abzudrücken. Weis Schuss verfehlte sein Opfer nur knapp, doch Conroy traf. Lee kippte nach vorne auf die Planken. Weis engster Vertrauter deutete auf die Lagerhalle, die mittlerweile in Flammen stand. Direkt davor stand ein Polizeiwagen mit laufendem Motor, einer unserer Männer am Steuer. Conroys Gruppe musste es gelungen sein, in dem Getümmel ein Auto des HKPD zu klauen.

Doch Wei schob mich nicht in Richtung Auto, sondern legte den Arm um mich und schritt mit mir auf eines der Fischerboote zu.

“Es wird Zeit für deine Abreise, yǒu.”
“Mit einem Fischerboot? Ich wollte doch den Flieger nehmen.”
“Dieser Weg ist sicherer. Ich kann für deine Sicherheit nicht mehr garantieren. Dafür steckst du jetzt zu tief drin.”
“Oh. Ja, du hast wohl recht. Dann… ähm… danke für alles?”
“Es hat Spaß gemacht.”
“Ja, das hat es. Leider ist die Zeit schon vorbei, am Ende ging alles etwas schnell. Aber ich komme mal wieder vorbei. Bestimmt.”
“Bestimmt. Leb’ wohl, yǒu.”

Wei drehte sich um und ging zügigen Schrittes auf Conroy zu, während ich in das Fischerboot stieg und den Motor anwarf. Ich sah sie noch ins Auto steigen, dann gab ich Gas und der Kahn setzte sich langsam in Bewegung. Hong Kong verschwand im Mantel der Dunkelheit, als ich mich immer weiter von der Küste entfernte. Das Feuer, das Blaulicht, die Leuchtreklame und die ganzen anderen Lichter verblassten langsam.

Doch eine feine Linie am Horizont kündigte bereits den neuen Tag an.