Wie viel Wahnsinn steckt in dir?
Als ich im Dezember 2009 stolz meine Wii betrachtete, ahnte ich noch nicht, was ich schlussendlich alles mit ihr anstellen werde. Mit der Veröffentlichung vom Homebrew Channel im Jahre 2012 öffnete Team Twiizers die Konsole für eine Fülle von Modifikationen und hausgebrauter Software, legte damit aber auch den Grundstein für die Piraterie. Ich verfolgte die Szene dennoch mit Interesse, denn ständig konnten neue Errungenschaften verbucht werden, welche nichts oder nur wenig mit den sogenannten “Sicherheitskopien” zu tun hatten. So dauerte es unter anderem nicht lange, bis die eigentlichen Spiele modifiziert wurden. Nebst einfachen Cheats entstanden dabei auch grössere Projekte wie Project M, welche drastische Änderungen vornahmen. Der Prozess, um diese Modifikationen zu spielen, war allerdings aufwändig und benötigte nicht selten die erwähnten Sicherheitskopien, weshalb ich mich oftmals auf Videos beschränkte. Das Release von Riivolution war daher ein großes Ding: Ein Loader, welcher jede Datei eines Spiel, direkt vom originalen Datenträger aus, überschreiben konnte. Noch interessanter war allerdings ein Programm, welches fast zeitgleich mit Riivolution erschien: Reggie!, ein Level Editor für New Super Mario Bros. Wii.
Alleine die Vorstellung, eigene Levels für ein Spiel zu erstellen, welches ich damals bis ins kleinste Detail gespielt habe, faszinierte mich ungemein. Ich installierte das Programm in Windeseile und erstellte ein einfaches Testlevel, das grundsätzlich aus ein paar Goombas und Koopas bestand. Und obwohl oben in der Ecke noch Erdblöcke vom originalen Level schwebten, welche ich vergessen hatte zu entfernen, war der Moment, in dem ich mein eigenes Level auf dem Bildschirm sah, magisch. Da war sie, meine eigene Kreation in einem meiner Lieblingsspiele, auf meinem Fernseher! Spielbar! Ich verlor mein Interesse allerdings schnell wieder, da das testen der Level eine Geduldsprobe war, für welche ich keine Nerven hatte. Die Jahre verstrichen, der PC ersetze die Wii und ich betrachtete freudig den Trend von Spielen wie Super Meat Boy oder Portal 2, die offizielle Editoren bereit stellten und so den Prozess nicht nur vereinfachten, sondern auch vollständig legalisierten. Doch keiner davon sprach mich genug an, um auch wirklich mehrere Levels herzustellen. Entweder war der Editor zu umständlich, das Spiel mir zu wenig vertraut oder ich war schlichtweg nicht fähig, interessante Kreationen herzustellen. Mein letzter Versuch, ein eigenes Level für Kirby’s Dream Course herzustellen, endete in einem Haufen schlechter Ideen und einem neu gewonnenen Respekt für Leveldesigner. Aber diese Zeiten sind nun vorbei, denn jetzt habe ich Super Mario Maker.
Super Mario Maker macht grundsätzlich genau das, was man von einem Editor erwartet. Man kann Super Mario Bros. Level erstellen, speichern, mit anderen teilen und spielen. Wer nach diesem Satz noch immer nicht das geringste Bedürfnis verspürt, sich das Spiel (und, falls noch nicht vorhanden, eine Wii U) zu beschaffen, kann hier getrost aufhören zu lesen. Ich wüsste nicht, wie ich dieses steinere Herz sprengen könnte. Ich meine: Super. Mario. Level. Selbst. Machen. Wer kann dem widerstehen? Besonders, wenn ein Editor so vollgestopft mit Liebe und Charme ist.
Nach den liebevoll animierten Ladebildschirmen wird schnell deutlich, wie durchdacht das Spiel ist. Schritt für Schritt wird der Editor erklärt. Anfangs stehen bewusst nur eine kleine Anzahl von Objekten zur Verfügung. Erst nachdem man sich mehrere Tage am Stück für eine gewisse Zeit eingeloggt hat, schalten sich nach und nach neue Blöcke und Optionen frei. Blutige Anfänger werden so behutsam an das Spiel herangeführt und sollten zu keinem Zeitpunkt überfordert sein, während selbst Experten wie ich eine Anzahl von Tricks und Kniffen des Editors lernen können. Und falls man doch keine Lust oder Zeit hat, jeden Tag für mehr als eine Woche das Spiel zu starten, klatscht man einfach schnell möglichst viele Blöcke ins Level, bis der nächste Teil freigeschaltet wird und stellt die Uhr dann um einen Tag vor. Problem gelöst.
Schwierig zu verstehen ist der Editor eh nicht. Man zieht die Objekte in die Kästchen, drückt den grossen “Play”-Knopf um das Level jederzeit zu testen und kann mit zwei Berührungen den gesamten Stil des Spiels ändern. Von Super Mario Bros. zu Super Mario 3 zu Super Mario World (mein persönlicher Favorit) zu New Super Mario Bros.. Jeder Stil kommt dabei mit seiner eigenen Regeln daher. New Super Mario Bros. verfügt so etwa über die Fähigkeit, sich von Wänden abzustoßen, während Super Mario 3 mit dem Tanooki Suit auftrumpft. Aber warum erkläre ich das hier überhaupt? Der gesamte Editor scheint darauf ausgerichtet zu sein, wenig zu erklären und vielmehr zum Erkunden anzuregen. Und er ist mehr als erfolgreich darin.
Hat man sein eigenes Level zusammengeschustert, kann man es direkt ins Internet stellen, sofern man es einmal erfolgreich durchgespielt hat. Jedes Level, welches sich so auf der Plattform finden lässt, ist garantiert machbar. Der eigentliche Schwierigkeitsgrad kann aber variieren. Manche Levels sind einfach und uninteressant, während andere zum Haare raufen sind. Glücklicherweise zeigt Nintendo bei jedem Level schön an, wie viele Leute sich daran versucht haben, wie viele Versuche sie insgesamt benötigten, ob sie das Level beendet haben und wo genau sie gestorben sind. Kommentare lassen sich innerhalb eines Levels anbringen und ermöglichen so, Warnungen an die Spieler zu senden. Man kann Leuten folgen und so ihre neuen Level automatisch erhalten, oder die Level nach Schwierigkeit und Beliebtheit sortieren. Insgesamt ist die eigentliche Suche nach Spielerkreationen aber das größte Manko von Super Mario Maker. So würde eine erweiterte Suche, beispielsweise nach Text oder Spielversion, deutlich helfen. So steht weniger das Durchstöbern im Vordergrund, sondern eher die “100 Mario Challenge”. In diesem Modus wählt man einen von drei Schwierigkeitsgraden und absolviert eine Auswahl von zufälligen Leveln mit 100 Leben. Ist ein Level zu schwierig, lässt sich dieses mit einem Wisch nach links überspringen.
Was Super Mario Maker nun von Editoren wie Reggie! abhebt, ist nicht (nur) die Einfachheit des Editors, die Liebe, die in ihm steckt oder die Möglichkeit, Level mit Freunden zu teilen. Editoren, besonders inoffizielle, können von Grund auf nur mit dem arbeiten, was ihnen zur Verfügung steht. Im Vergleich zu ihrer Basis wird nichts wirklich überraschend sein, denn wer das Original gespielt hat, kennt alle Blöcke und alle Möglichkeiten. Super Mario Maker ist anders, weil es alle bekannten Grundregeln aus dem Fenster wirft. Trampoline folgen den Gleisen, Piranha Plants fliegen mit ihren Flügeln umher, Cheep Cheeps hüpfen durch das Land und schwimmen in der Lava. Nintendo hat ihre geliebte Spielreihe komplett losgelöst und lässt die Spieler nun Dinge damit anstellen, die vorher undenkbar schienen. Und es ist grandios. Das Spiel ist ein wunderbares, geordnetes Chaos, welches immer überrascht. Leute erfinden bereits jetzt komplett neue Mechaniken, basierend auf den neuen Blöcken, und ich kann es kaum erwarten zu sehen, was sonst noch alles auftauchen wird.
Das Spiel ist schlichtweg wunderbar. Ich kann stundenlang an meinen Leveln feilen, weil ich mit dem Spiel vertraut bin. Ich bin limitiert in meinen Möglichkeiten, aber nicht so stark, dass es beengend wirkt. Ich kann leicht experimentieren, ohne dass bei Fehlern viel Zeit vergeht. Ich erhalte Rückmeldungen über Miiverse und versuche diese in meiner nächsten Kreation zu berücksichtigen. Und ich habe eine Unmenge an “Super Mario Bros.”-Leveln zur Verfügung, von welchen ich mich inspirieren lassen kann. Was Super Mario Maker an Fehlern und Limitationen hat, geht schlichtweg in der Menge an Genialität unter. Ich liebe dieses Spiel zu Tode, und werde es auch noch in den kommenden Monaten spielen. Und jedem, der nur im Geringsten an Mario interessiert ist, wird es wohl ähnlich gehen.