XCOM: Enemy Unknown

Die Geschichte, die man sich derzeit über den Status Quo in Videospielen erzählt, lautet folgendermaßen: Große Publisher scheuen Risiken, huldigen Zynga und Zuckerberg statt Sid Meier oder Warren Spector und trauen Spielern keine Herausforderungen zu, sondern nur glatzköpfige Militärmachos und 87 Bazillionen unterschiedliche Waffen. Dann kommt XCOM: Enemy Unknown, verwickelt dich in rundenbasierte, anspruchsvolle Taktikgefechte zwischen Marines und Aliens und wirft dieses Weltbild um. XCOM ist klassisches Gamedesign, so spannend, packend und faszinierend wie nichts, was sonst dieses Jahr bisher erschienen ist.

Dennis

Die Frage, die mir aber persönlich auf der Seele brennt, hat gar nicht so viel mit XCOM zu tun, als mit dir, Manu. Gezwungenermaßen hast du XCOM auf dem PC gespielt bzw. mit Mac und Bootcamp. Und du hast es durchgespielt. Ohne Konsole. Du! Wie das?

Manu

Na toll, Ruf ruiniert. Danke, Dennis. Ich hatte einfach keine andere Wahl. Die Preview-Version des von mir mit größter Hoffnung erwartete Spiel von den Firaxis Studios gab es einfach nur als Steam-Key. Auch wenn ich kurz überlegt hatte zu warten, war die fast zeitgleiche Ankündigung des Big Picture-Modus auf Steam (der die Bedienung via Gamepad erlaubt und das Interface in eine für den Sofa-TV-Abstand angemessene Größe anpasst) das letzte Zünglein an der Waage, um in den sauren Apfel zu beißen.

Valve Box Comic

So schmerzhaft war es aber dann auch gar nicht, wenn ich ehrlich bin: HDMI-Kabel von Mac zum TV, Xbox-Gamepad an den Rechner und schon war das Konsolen-Feeling fast perfekt, da das Spiel das Xbox-Gamepad nativ unterstützt. Der Big-Picture-Modus von Steam war dann quasi noch das Sahnehäubchen und ein guter Vorgeschmack auf die sicherlich bald erscheinende Valve-Box im Companion-Cube-Look. (Lass mich doch träumen!)

Außerdem liebe ich das alte UFO (und seine Nachfolger im Geiste wie Incubation oder das PBEM-Spiel Laser Squad Nemesis) bis heute und hoffe schon seit Jahren auf ein ähnlich gutes Rundenstrategie-Spiel auf der Konsole in SciFi-Kulisse.

Aber Dennis, vielleicht gibt es ja Leser, die das Original X-COM aka UFO: Enemy Unknown gar nicht kennen und/oder gespielt haben?

Dennis

Zu meiner Schande muss ich zugeben: Ich gehöre auch noch dazu (der Artikel hier wird zum Rufmord für uns beide, oder?). Dabei ist X-COM vermutlich eines der wichtigsten Spiele der letzten 30 Jahre. In X-COM leiten Spieler eine internationale Militär-Organisation, die die Erde vor einer Alien-Invasion beschützen muss. Das Spiel ist dabei in zwei Hälften geteilt. In einer Makro-Ansicht müssen X-COM Stützpunkte ausgebaut, Forschung betrieben und Soldaten rekrutiert werden. Das wird ergänzt um den Kampfmodus, den Battlescape, in dem die eigenen Truppen rundenbasiert gegen Aliens kämpfen und dabei elendig verenden.

Im Vergleich zu X-COM macht XCOM aber einiges anders. Im Original hatte jeder Soldat eine bestimmte Anzahl an Aktionspunkten und jede Aktion (ein Feld laufen, ein Alien anschießen etc.) hat eine bestimmte Anzahl Punkte gekostet. Im neuen XCOM hat jeder Soldat nur zwei Aktionen pro Runde, die zudem zu Beginn noch relativ beschränkt sind. Man kann Figuren bewegen, sie angreifen lassen oder bestimmte Sonderaktionen einsetzen, also zum Beispiel ein Medkit benutzen, um den verblutenden Seargant zu retten. Ein Angriff beendet aber den Zug des jeweiligen Soldaten. Das führt zu überraschend dynamischen Kämpfen, in denen Einheiten von Deckung zu Deckung geschickt werden müssen, um die meist zahlenmäßig und technologisch überlegenen Aliens zu übertrumpfen. Deckung wird übrigens auch noch in regelmäßigen Abständen von Blindgängern zerschossen, was dann wirklich dazu führt, dass sehr viel Bewegung in die Kämpfe kommt und jeder einzelne Schuss wichtig wird. Die zwei Aktionen klingen also nur im ersten Moment nach Vereinfachung. Es ist aber ein elegantes System, das viel Nachdenken und viele schwierige Entscheidungen vom Spieler abverlangt. Mit dem Kampfsystem vom Original hat das aber wenig gemein. Fühlst du dich da überhaupt noch ans alte X-COM erinnert, Manu?

Manu

Es fühlt sich definitiv anders an, aber es ist ja nach wie vor klassische Rundenstrategie. Zug um Zug und mit soviel Zeit zum Grübeln und Planen, wie man möchte. Man merkt den Produzenten von Firaxis außerdem mit jeder Spielminute an, mit welchem Respekt sie an das schwere Erbe dieses Klassikers herangegangen sind. Der Neustart ist meiner Meinung nach perfekt gelungen, weil er keinerlei Grundkenntnisse des Originals benötigt und sich nicht auf den Nostalgie-Charme alleine beruft, wie zum Beispiel viele lieblos hingeschraubte HD-Remakes dieser Tage. Aber natürlich hat man als Veteran auch viele “Ahhh! Wie früher”-Momente (und Nörgler finden ebenfalls genug Änderungen, an denen sie lauthals “Hey, früher konnte man aber dies und das” monieren können). Das neue XCOM vereint gekonnt die Bedienbarkeit und Komfort-Funktionen moderner Spiele (leider nicht unbedingt die Grafik) mit der soliden, rundenbasierten Grundmechanik und dem unwiderstehlichen Charme des Settings des Originals.

Dennis

Wenn ich einen bestimmten Moment aus meinen etwa 25 Stunden mit der Kampagne auswählen müsste, um die Großartigkeit dieses Spiels zu verdeutlichen, es wäre der zweite Monat als XCOM-Leiter. Mein erster Monat lief wunderbar, ich fuhr Siege ein, machte Fortschritte in der Forschung, wertete meine Soldaten auf. Kurz: Ich wurde übermutig. XCOM hat mir bloß eine Gnadenfrist gegeben. Dann griffen all die Mechanismen, die im Hintergrund laufen, ineinander, um mir das Leben zur Hölle zu machen.

Andauernde Gefechte gegen Aliens setzten meine besten Truppen außer Gefecht und zwangen mich, weniger gefährliche Missionen anzunehmen, die nichts gegen die steigende Panik in bedrohteren Staaten ausrichteten. Meine Abfangjäger wurden in sinnlosen Scharmützeln mit UFOs beschädigt und meine Ressourcen waren komplett aufgebraucht, um ein neues Satellitennetzwerk an den Start zu bringen, das mir hoffentlich im nächsten Monat ein bisschen mehr Budget und Sicherheit bringen würde. Dann kommt ein UFO und schießt den neuen Satelliten über Russland ab, die angestaute Angst in den Staaten, die ich aus Sorge um die Gesundheit meiner unerfahrenen Rekruten links liegen gelassen habe, explodiert in Massenpanik. Fünf Staaten streichen dem XCOM-Programm die Unterstützung. Noch drei weitere und das Spiel ist vorbei. Mein dritter Monat beginnt ohne Geld, dafür mit verletzten Soldaten, die der Technologie der Aliens hoffnungslos unterlegen sind. Was in den meisten Spielen das Ende wäre, ist hier eine Steilvorlage für Heldentaten. Ich habe den Schwarzmarkt mit erbeuteter Alien-Technologie geflutet, mich auf Waffenforschung konzentriert, Kräfte gesammelt und mit einem verzweifelten Angriff zurückgeschlagen. XCOM hat mir die Kehrtwende einer vernichtenden, völlig selbstverschuldeten und durch Spielmechaniken entstandenen Niederlage erlaubt.

Wie war das bei dir? Hast du einen Lieblingsmoment?

Manu

Da gab es so viele! Dieses angespannte Gefühl, wenn man volles Risiko geht, und sehr, sehr nah auf eine verletzte gegnerische Einheit zugeht um diese nur zu betäuben, damit die Forscher in der Basis diese dann “befragen” können. Oder die darauf oft folgenden Momente der Panik, wenn die Betäubung nicht greift. Denn was XCOM verdammt gut hinbekommt: Man will seine Einheiten auf gar keinen Fall verlieren. Und dass, obwohl die Charaktere keine einzige Dialogzeile (von One-Linern im Kampf abgesehen) oder Hintergrundgeschichte haben. Aber das Spiel und man selber als Kommandant dieser Truppe schreibt diese Geschichten mit jeder Entscheidung, die man trifft.

Der Scharfschütze, der die fast hoffnunglose 35-Prozentchance mit einem satten Kopfschuss-Treffer zu nutzen wusste, um seinen Kameraden vor dem sicheren Tod zu retten und der Vollpfosten mit der Minigun, der direkt vor dem Alien steht und nicht trifft. Der Soldat, der mit einem gezielten Granatenwurf eine ganze Wand freilegte, damit der Rest der Truppe die Aliens im Haus flankieren kann. Die Militär-Ärztin, die beim Rettungsversuch selbst schwer verletzt wurde und gerade noch so überleben konnte, weil kurz vor ihrer Verblutung noch die letzte sich versteckende Drone der Karte ausgemerzt werden konnte. Selbst auf meinen tapferen, aber seelenlosen Kampf-Einsatz-Roboter war ich stolz, als er mit seiner eigenen Explosion noch den Feind mit in den Tod riss. Geschichten, die der Krieg schreibt. Und jedes Mal ein wenig anders. Ist dieses Erlebnis in der normalen Kampagne auf “Normal” schon packend, aber durch ständiges Speichern & Laden unterbrochen, gibt es da ja noch den intensiven “Ironman”-Modus, der das Speichern in der Mission unterbindet und nur einen Save-Slot anbietet. Dennis, erzähl mal, du bist in deiner zweiten Runde damit losgezogen, richtig?

Dennis

Genau, ich habe etwa 25 Stunden gebraucht, um auf dem Classic-Schwierigkeitsgrad durchs Spiel zu kommen, aber dann wollte ich nur noch kurz in den “Ironman”-Modus reinschauen und … wie viel besser das Spiel dadurch wird! Wenn der Kerl mit der schweren MG von Plasmasalven aus den Gewehren von schwergepanzerten Alienmonstern zerfetzt wurde, weil ich ihn zu weit in Richtung wütender Aliens geschickt habe und nicht genug auf Deckung geachtet habe — dann habe ich halt im ersten Durchlauf einfach einen alten Spielstand geladen und so gut wie jeden Fehler ungeschehen gemacht.

Wie langweilig das ist! Wenn man einmal weiß, wie die Gegner-KI auf eine bestimmte Aktion vom Spieler reagiert, fällt es sehr leicht, sie mit diesem Wissen auszutricksen. Das ist Betrug an sich selbst. Der “Ironman”-Modus entfernt das Sicheheitsnetz. Das Spiel wird in gewisser Weise fair. Der “Ironman”-Modus ist sicherlich eher als New Game+ zu sehen und für einen direkten Einstieg zu schwer. Im Gegensatz zu Roguelikes (und Roguelikelikes) dauert es einfach zu lange, um nach einer kompletten Niederlage den verlorenen Fortschritt wieder nachzuholen und der Lerneffekt nach den ersten paar Missionen wieder aufgeben zu müssen, würde sich sehr in Grenzen halten.

Wenn man sich aber schon einmal durchs Spiel gekämpft hat, weiß wie eine vernünftige Basis gebaut werden soll, welche Resourcen wichtig sind und welche nicht, dann bringt der Ironman-Modus die besten Eigenschaften dieses Spiels zum Vorschein. Wenn man jede Runde um seine Truppen zittert, wenn jeder Schuss das Ende für einen Soldaten bedeuten könnte, der schon seit Anfang des Spiels dabei ist, kurz: Wenn jede Entscheidung, jede dieser zwei verdammten Aktionen, die man pro Einheit hat, über das Schicksal der Welt entscheiden, dann ist XCOM: Enemy Unknown die bisher beeindruckendste Erfahrung, die ich dieses Jahr in einem Spiel erleben durfte.