Blast from the Past: Doom II

Doom II

Wenn mich jemand fragt, welche Buchstaben meine Kindheit geprägt haben, würde ich wohl ohne mit der Wimper zu zucken diese drei Codes herunterrasseln – dabei hätte ich sie damals eigentlich gar nicht kennen dürfen. Als ich sie mir ins Hirn brannte, war ich nicht nur viel zu jung, um sie überhaupt anwenden zu dürfen, sie waren in Deutschland noch dazu verboten.

Wahrscheinlich war aber es unumgänglich, dass die Buchstaben – die heiligen Codes – und ich aufeinandertreffen mussten. Schließlich war das Zimmer, in dem sie angewendet wurden, gleichzeitig das, das von allen nur liebevoll “das Barbiezimmer” genannt wurde. Während ich umgeben von rosa Plastikbergen Abenteuer mit unzähligen Versionen der blonden Puppe erlebte, rettete mein Vater im winzigen, für den Familiencomputer reservierten Teil hinter mir die Welt oder beendete zumindest das Leben unzähliger Monster. Zu verdanken hatte er das unserem brandneuen Computer:

“486DX2, 66 Hz, 4MB Arbeitsspeicher. Er hat 2500 D-Mark gekostet. Um Doom II spielen zu können, mussten wir noch mal 800 Mark für 4 MB bezahlen. MB, nicht GB!”

Noch heute schwingt der Stolz in seiner Stimme mit, wenn mir mein Vater von unserem ersten PC erzählt. Er muss ebensowenig über das Modell nachdenken, wie ich, wenn jemand nach den Cheatcodes für Doom fragt.

Dass wir Doom und Doom II nicht hätten haben dürfen, war meinem Vater gar nicht richtig bewusst. Die Spiele kamen (wie viele andere, die sich einen Platz in meinen Kindheitserinnerungen sichern konnten) von einem Kollegen, der sie auch nur von einem Kollegen hatte. Schwarze und graue Disketten, auf die jemand mit Bleistift Spieletitel gekritzelt hatte, stammten von derselben fragwürdigen Tauschbörsen wie schlechte Videokassetten, die mit einem zweiten Rekorder kopiert worden waren. Die analoge Kleinstadt-Piratebay der frühen 1990er war ein ebenso munteres wie fragwürdiges Geben und Nehmen. Sie sorgte für einen steten Fluss an neuen Spielen in unserem Haus, an denen ich allerdings nur peripheres Interesse zeigte.

Doom II

Es war eine Mischung aus Unmut, weil mir mein größter Wunsch – ein Game Boy – verwehrt blieb und völliges Entsetzen über das, was ich teilweise auf dem Bildschirm meines Vaters sah: ein brutal auf hohen Stäben aufgespießter Mann, der sich zuvor heroisch über tiefe Schluchten geschwungen und Feinde bezwungen hatte – nur um dann an teuflischen Speren zu scheitern. Lauthals deklarierte ich jedes Mal mein Entsetzen und verschwand, sobald dieses fürchterliche Spiel seinen Weg auf den Monitor fand. Ich weigerte mich, in einem Raum mit dem zum Tode verurteilten Pixelprinzen zu sein, dessen Ableben ich nicht verkraftete. Prince of Persia und ich wurden nie Freunde.


Aber bei Doom bin ich dich einfach nicht mehr los geworden“, sagt mein Vater in der resignierten Stimme eines Mannes, der schon früh aufgegeben hat, Sinn im widersprüchlichen Verhalten seiner Tochter zu suchen.

Warum hast du mich das spielen lassen? Ich war doch eigentlich viel zu jung.

Damals war alles noch anders. Da gab es noch keine Diskussionen darüber, ob Spiele Kinder zu Killern machen.


Dass diese Diskussion sehr wohl existierte und einer der Gründe war, warum Doom (II) in Deutschland nicht erscheinen durfte, bekam er zum Glück nicht mit, was vielleicht einer der glücklichsten Umstände meiner Videospielkindheit ist. Meinem Vater war viel wichtiger, dass ich ohne Scheu zu Computern aufwachse und von klein auf lerne, mit ihnen umzugehen – sei es nun durch Spiele, stundenlange Beschäftigung mit Paint oder Schreibprogrammen. Offenbar hat sich schon früh abgezeichnet, wohin meine Reise gehen sollte. Ein echter Space Marine kennt die eigene Berufung eben schon früh.

Doom 2

Ich bin ehrlich, mittlerweile sind meine Erinnerungen an Doom und Doom II vage und vermischen sich bis zu einem Punkt, an dem ich nicht mehr sagen kann, welche nun zu welchem Spiel gehört. Übrig sind vor allem Fragmente und Situationen, gemischt mit einzelnen Impressionen und dem Gefühl der Nostalgie, die wir nur gegenüber Dingen empfinden können, die wir in unserer Kindheit geliebt haben.

Die Brutalität, mit der ich im Spiel konfrontiert wurde, war abgeschwächt durch die Tatsache, dass mir durch den God Mode selbst nichts passieren konnte. Vielleicht war das die Art meines Vaters, mich ein bisschen vor der dämonischen Welt von Doom II zu schützen, weil er wusste, dass er es nicht schaffen würde, mich von ihr fern zu halten.

Monster, Blut, Gewalt, … all das störte mich nicht. Doom II war für mich einfach nur ein Spiel. Nein, nicht “einfach nur” ein Spiel, DAS Spiel. Das Spiel, zu dem es mich immer zog, wenn ich den PC anschaltete. Das Spiel, dessen Level mir irgendwann so in Fleisch und Blut übergegangen waren, dass ich ohne das Phänomen zu kennen Speedruns vollzog. Das Spiel, das mein erstes Koop-Spiel werden sollte, wenn Tastatur und Maus zwischen meiner besten Freundin und mir hin und her wanderten. Das Spiel, dessen Cheatcodes ich noch Jahre später im Schlaf aufsagen kann. Das Lieblingsspiel meiner Kindheit.

Romero

Heute kenne ich die Geschichte hinter Doom. Ich weiß, wie das Spiel entstanden ist. Was es für die Videospielindustrie bedeutet hat. Warum es auf dem Index stand und warum ich es eigentlich erst seit wenigen Jahren spielen dürfte. Ich habe einen seiner Macher getroffen und sein Haar bewundert, während ich mir einen Vortrag seiner Frau über Außenseiter anhörte und überlegte, ob ich ihm sagen soll, dass sein abgetrennter Kopf zu meinen liebsten Kindheitserinnerungen gehört.

Auch wenn ich mittlerweile weiß, welchen Platz der Egoshooter in der Geschichte der Videospiele einnimmt, ist es mir eigentlich egal. Für mich ist Doom (II) ein Stück Kindheit. Ein wenig Nostalgie, das ich mit ein paar Buchstaben in Verbindung bringe. Ein Spiel, das nicht nur auf schwarzen Disketten hinter mir im Regal liegt, sondern auch in meiner Steam-Bibliothek darauf wartet, wieder einmal gespielt zu werden. Dieses Mal vielleicht sogar ohne Cheatcodes.


In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie geladene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.

Rae Grimm mag Bilder, Worte und Koffein in jeder Kombination. Weil sie als Kind keinen Game Boy von ihren Eltern bekommen hat, widmet sie jetzt aus Trotz ihr Leben unter anderem als Head of Games bei gamespilot dem Schreiben über Videospiele oder twittert über Batman und Zombies. Mittlerweile hat sie einen Game Boy.