Das 15 Jahre alte Outcast zeigt, dass Open-World-Spiele mehr sein können
als eine Einkaufsliste voller Aufgaben.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie geladene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.
Eric Merz treibt sich hauptsächlich auf YouTube herum, wo er der Welt seine Meinung zu neuen Computerspielen mitteilt. Wenn er keine Videos macht, schreibt er entweder zu lange Texte auf seinem Blog oder stellt experimentelle Spiele auf altgamesnotizen vor.
Outcast ist vermutlich allein deshalb ein spezielles Spiel für mich, weil es bis heute der einzige Titel ist, den ich als “Special Edition” erwarb. Es war nicht geplant, doch als ich im Sommer 1999 in der Technik-Abteilung der Wiesbadener Hertie-Filiale stand, um ein Spiel für die Sommerferien zu kaufen und ich unbedingt Outcast haben wollte, gab es nichts anderes.
Die Edition kam mit einem billigen T-Shirt, einem billigen Mousepad und einem Desktop-Hintergrund. Box und Krimskrams entsorgte ich irgendwann, vermutlich als ich von Zuhause auszog. Die CD-ROM ging schon mehrere Jahre vorher in den Händen eines Klassenkameraden verloren. Letzteres führte dazu, dass ich irgendwann im Jahre 2002 nochmals in der gleichen Technikabteilung des inzwischen zu “Karstadt an der Luisenstraße” umbenannten Geschäfts stand, um eine Wühltischversion von Outcast zu kaufen. Diese Version besitze ich noch immer, nebst einer (für moderne Systeme optimierten) GoG-Version. So banal es klingt – ich denke, der Grund, warum ich immer wieder zu diesem Spiel zurückkehre, liegt in diesem Bild:
Ich habe wenige Erinnerungen an meine ersten Schritte in dem Spiel, doch weiß ich ganz genau, dass ich über die Jahre immer und immer wieder an diesen Ort kam. Die Wassereffekte in Outcast waren ihrer Zeit Jahre voraus. Im Gegensatz zu den meisten damaligen und heutigen 3D-Spielen, ist Outcasts 3D-Welt nicht Hardware-gerendert. Als die Arbeiten an Outcast begannen, gab es noch keine separaten 3D-Grafikkarten. Um eine detaillierte dreidimensionale Welt zu kreieren, wurde das gesamte Spiel über die Software gerendert. Was genau das heißt, weiß ich nicht genau, jedoch ermöglichte dieser Weg es den Entwicklern, einige Effekte einzubauen, die in konventionellen 3D-Spielen erst Jahre später möglich waren. Leider führten diese technischen Besonderheiten auch dazu, dass im Jahre 1999 kaum jemand in der Lage war, Outcast in all seiner Pracht spielen zu können. Ich kann mich noch erinnern, wie fasziniert ich auf die Reflexionen in diesem Teich geschaut habe, wie ich meinen Charakter immer und immer wieder durch ihn hindurch bewegte und die Wellen beobachtete. Besagter Teich befindet sich in Motazaar, einer der fünf Regionen von Adelpha. Sie wird von humanoiden Wesen, die sich selbst Talaner nennen, bewohnt. Motazaar ist eine harsche Bergbauregion. Die meisten Talaner arbeiten hier in Minen, in denen ein Stoff namens Helidium abgebaut wird, der hauptsächlich zum Bau von Waffen verwendet wird. Der Teich selbst befindet sich in der Nähe eines Kriegerlagers. Die Krieger dienen Kroax, welcher wiederum Fae Rhan dient. Fae Rhan kam vor langer Zeit nach Adelpha und hat sämtliche Talaner unterjocht.
Würde man von dem Gewässer geradeaus weitergehen, könnte man den Talanern bei der Arbeit zusehen in einer der Minen von Motazaar zusehen und ihnen auch ihrem Gesang lauschen. Ihr Lied handelt von den Strapazen, die Fae Rhans Herrschaft über Adelpha gebracht hat und die Hoffnung, dass ich in meiner Rolle als Ulukai, diese Zeit der Sorgen beenden. Gesungen wird es in der talanischen Sprache. Zwar sprechen die Talaner auch eine menschliche Sprache, doch untereinander kommunizieren sie in ihrer eigenen.
Open-World-Spiele sind heutzutage der letzte Schrei und bei vielen Leuten aufgrund ihrer Schablonenhaftigkeit nicht mehr sonderlich willkommen. Der Satz “eine gewaltige, offene Welt voller Aktivitäten” scheint inzwischen eher abstoßend als erfreulich. Als Outcast erschien und seine Spieler blind in eine fremde Welt, mit fremden Wesen und einer fremder Sprache warf und ihnen sagte, dass sie tun und lassen können, was sie wollen, gab es nichts Vergleichbares weit und breit. Es sollte noch zwei weitere Jahre dauern, bis GTA 3 erschien, was erstmalig Open-World-Gameplay im großen Stile bekannt machte. Outcast bietet uns eine offene Welt voller Gefahren und Abenteuer. Doch wo moderne Open-World-Spiele uns mit Aktivitäten zuschmeißen und das eigentliche Spiel auf der Minimap stattfindet, muss man in Outcast die Welt entdecken. Man muss mit den Talanern sprechen und verstehen, was ihre Sorgen und Wünsche sind. Man muss die Kultur in der man sich bewegt, verstehen und mit ihr interagieren. Geschieht dies, wird die fremde Welt mit ihren fremden Begriffen irgendwann zu einem Ort mit einer Geschichte. Zuvor identisch erscheinende Charaktere werden zu klaren Personen mit Namen, Persönlichkeit und ihren eigenen Problemen. Alles erscheint glaubhaft. Die Elemente des Spiels fühlen sich organisch an und ergeben ein in sich geschlossenes System, das trotz aller Fremdheit logisch aufeinander aufbaut.
Wenn ich Outcast heute spiele, bin ich noch immer überrascht, wie vertraut mir alles und wie gut es gealtert ist. Die Menüs sind noch immer übersichtlich, die Grafik, so eigentümlich sie damals war, hat nichts von ihrem ursprünglichen Charme verloren und die Gewässer sehen nach wie vor grandios aus. Es fühlt sich nicht wie ein “altes” Spiel an. Was nicht heißt, dass es nicht einige Probleme hat. Von den vorhandenen Waffen sind eigentlich nur drei oder vier wirklich von Nutzen. Es gibt lediglich drei Gegnerarten, die zwar mit einer beeindruckenden K.I. ausgestattet sind, sich jedoch trotzdem recht leicht überrumpeln lassen. Protagonist Cutter Slade ist ein furchtbar unsympathischer Zeitgenosse, der den einzig anderen Menschen in diesem Spiel, eine Frau namens Marion Wolfe, wie den letzten Dreck behandelt. Das Spiel selbst gibt sich zudem auch keine wirklich große Mühe, Frau Wolfe in einem besseren Licht darzustellen, sondern verwendet sie ausschließlich, um uns auf irgendwelche Rettungsmissionen zu schicken. Ohnehin gibt’s in Outcast wenige Frauen zu sehen. Talanische Frauen leben nämlich alle auf einer fernen Insel, wo sie sich, wie könnte es auch anders sein, um die Kinder kümmern.
Vieles in Outcast scheint gerade so zu funktionieren. Der Einstieg ist aufgrund der vielen fremden Begriffe äußerst zäh. Die Schwierigkeitskurve verläuft antiproportional zur Spielzeit. Die Gegner werden, falls bestimmte Quests erfüllt werden, mit der Zeit immer schwächer. Der Held jedoch, dank besserer Waffen, immer stärker. Die Entwickler schienen dies erkannt zu haben, denn um das Ende wenigstens moderat herausfordernd zu gestalten, nahmen sie Cutter Slade kurz vor dem Endkampf die gesamte Ausrüstung ab. Ohnehin gibt es in dem Spiel eine ganze Reihe an Gegenständen, die sich total cool anhören (Tarnfelder, Hologramm-Projektoren), die man jedoch kaum benötigt.
Wenn ich nur auf die einzelnen Elemente von Outcast schaue, dann denke ich manchmal, dass ein solches Spiel eigentlich nicht funktionieren kann. Es ist ein Titel, der stets kurz davor ist, unter der Last der eigenen Ambitionen zusammenzubrechen. Es ist ein Open-World-Action-Adventure. Es ist ein First-Person-Shooter. Es will eine spannende Geschichte erzählen, eine glaubhafte Kultur darstellen. Es zeigt etwas, das heutzutage in der AAA-Industrie und auch in großen Teilen der Indie-Szene fehlt, was jedoch in vielen PC-Spielen der späten 90er Jahre vorhanden war: Eine grenzenlose, fast schon irrationale Ambition. An einigen Stellen überhebt sich das Spiel ein wenig, dennoch komme ich seit über 15 Jahren immer wieder zu diesem Spiel zurück. Denn wenn ich in Talanzaar den Gesprächen der Händler zuhöre, in Shamazaar den Bauern auf den Rizifeldern bei der Arbeit zusehe, durch die Wälder von Okaar laufe, vom Leuchturm in Okasankaar ins Meer springe, oder in Motazaar den Gesängen der Bergarbeiter lausche, ist es egal, dass Outcast ein vollkommen nutzloses Scharfschützengewehr hat und Cutter Slade ein Blödeimer ist. Jenseits aller Probleme ist Adelpha eine wunderschöne Welt, die es noch immer wert ist, bereist zu werden.
Ach, und die Musik ist auch nicht schlecht: