Blast from the Past: Overblood
Es begab sich an einem grauen Tag im Jahr 1998. Das Leben war selbst aus dem letzten Blatt gewichen und das Dunkel des Winters legte sich langsam über Felder und Gemüter. Ich hingegen legte an diesem Tag im zarten Alter von 12 Jahren das erste Mal Overblood in die Playstation. Overblood, von Riverhillsoft entwickelt und 1996 von Electronic Arts herausgegeben, ist ein typisches Spiel aus dem „Golden Age“ der Horror-Survival-Spiele, was, wenn man so will, mit der Veröffentlichung von Resident Evil im selben Jahr begann. Für mich war es das erste Spiel des Genres und dank meiner ausgesprochen niedrigen Angstschwelle – ich bin da wohl ein Sonderfall, da ich mich selbst vor verschimmeltem Obst erschrecke – hat sich Overblood in meine Erinnerungen gebrannt.
Ich weiß noch, dass ich direkt zu Beginn von der Geschichte und dem Sci-Fi-Setting angetan war. Im Intro wird man Zeuge eines Störfalls in einem Forschungskomplex. Zu bedrohlicher Musik huschen Szenen der Zerstörung über den Bildschirm. Was genau geschieht, wird im Dunkeln gehalten und so startet man recht ahnungslos ins Spiel. Im Zentrum des Geschehens steht ein männlicher Protagonist, der amnesisch und orientierungslos aus dem Kälteschlaf erwacht und den es fortan durch die Gefilde zu steuern gilt. Das Ziel: Einen Weg aus dem scheinbar riesigen Gebäude zu finden und dabei das Rätsel um die eigene Identität lösen. Der Raum, in dem man erwacht, ist derart frostig, dass der Kältetod droht. Um nicht das Zeitliche zu segnen, macht man sich also direkt auf die Suche nach sinnvollen Hinweisen. Ein naheliegender Computer ist schnell gefunden und der verrät einem zumindest, dass man Raz Karsey heißt. Die zusätzliche Information, die der Rechner preisgibt, ist dann weniger erfreulich: Eigentlich hätte man nie wieder erwachen sollen.
Von der Neugier getrieben wollte ich, allen Ängsten zum Trotz, unbedingt die Mysterien um Raz und das Gebäude, in dem er sich befand, aufklären. Um Voranzukommen, gilt es diverse Räume zu erkunden und genretypische Rätsel zu lösen. Schalter müssen umgelegt, Kisten verschoben und Gegenstände gefunden und kombiniert werden. Bereits nach wenigen Spielminuten erhält man glücklicherweise auch einen praktischen Begleiter für das Rätselraten: Pipo, den piepsenden Laborroboter. Figurenwechsel sei dank, kann man in diesen hereinschlüpfen und erhält ganz neue Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung. Ich schloss den kleinen Verwandten R2D2s wegen seiner Putzigkeit direkt ins Herz. Später folgt dann auch die Begegnung mit der spielbaren Milly Azrey. Sie ist als weibliche Hauptdarstellerin – so viel sei noch verraten – natürlich auf mysteriöse Weise in die Story verwickelt und ebenfalls beim Vorankommen dienlich.
Zwischen den Rästeln blieb mir dann genug Zeit, um die gruselige Stimmung von Overblood zu genießen. Die großen, leeren Weiten des Settings trugen dazu bei, dass ich mich herrlich in meine Angst hineinsteigern konnte. Das diffuse Gefühl, nicht alleine in den Räumlichkeiten zu sein, war damals mein ständiger Begleiter und ich befand mich in einem permanenten Alarmzustand. Tatsächlich erfährt man erst relativ spät, was noch so in den Gängen unterwegs ist, wenn das erste Mal ein mutiertes Unwesen Raz’ Weg kreuzt. Gegnerbegegnungen, die man in Overblood kämpferisch mit Fäusten oder Waffen bewältigen muss, sind jedoch rar gesäht, was den subtilen Horror unterstützt. Sowieso baut sich die Spannung ganz langsam auf und gab damit meiner kindlichen Fantasie genug Zeit, um vorhandene Leerstellen mit schlimmsten Horrorszenarien zu füllen. Auch der Umgebung wird damit eine andere Aufmerksamkeit zuteil. Variierende Schauplätze, wie ein überdimensionierter Generatorenraum, riesige Lüftungsanlagen inklusive enger Lüftungsschächte, Kommandozentralen und Laboratorien, sorgen für das richtige Sci-Fi-Feeling. Sich grafisch wiederholende Gänge und Türen lassen die Szenerie beinahe kafkaesk erscheinen und das dominierende Grau der Umgebung sorgt für eine Prise Tristesse.
Ich habe gefühlt eine Ewigkeit Overblood-spielend auf unserem ausgebauten Dachboden verbracht, auf dem sich dank winterlicher Dunkelheit ein ganz eigenes Gruselpotenzial ergab. Spannung und Nervenkitzel des Spiels hielten mich bis zuletzt bei bester Laune, doch sind leider mittlerweile 17 Jahre vergangen und diese Zeit ist nicht spurlos am geliebten Spielvorbeigegangen.
Was ich damals als überrangendes und übergruseliges Spielerlebnis empfand, ist in der Gegenwart nur noch schwer erträglich. Overbloods Handlung liefert eine ganz andere Art von Schrecken, weil diese einem schlechten 80er-Jahre-Action-Movie entstammen könnte, dem die Gratwanderung zwischen atemberaubenden Geballer und Selbstironie nicht gelingt. Und in diesem Rahmen wird dann auch noch das Thema der Genmanipulation angeschnitten, mitsamt des Ausbruchs eines fiesen Virus. Diese erzeugen dann nicht nur mutierte Ungeheuer, sondern bedrohen neben dem Protagonisten, gleich die gesamte Menschheit. Auch der boshafte Widersacher fehlt nicht, der ausschließlich von egoistischen Superbösewicht-Motiven getrieben ist. Schlechte Dialoge und ungewollte Komik ziehen die Story ins Lächerliche, die Optik und die Steuerung sind in meiner Erinnerung ebenfalls besser davon gekommen. Über das Fehlen einer Karte und den manchmal unnötig zähen Spielverlauf, zum Beispiel durch optisch nicht kenntlich gemachte Gegenstände, muss ich außerdem damals scheinbar mit Engelsgeduld hinweg gesehen haben.
Obwohl Overblood retrospektiv ein absolut durchschnittliches Horror-Survival-Game ist, weiß ich heute noch, wie erhaben es sich anfühlte, als ich Raz zum ersten Mal zur Freiheit verhalf. Zu gut konnte ich mich in den Horror hineinsteigern und musste bei einigen Momenten immer mal wieder pausieren, um mein pochendes Herz zu beruhigen. Zumindest einem 12-jährigen Mädchen hat Overblood also das Schrecken gelehrt und damit seinem Genre alle Ehre gemacht. Zwischenzeitlich war ich sogar so verängstigt, dass ich in einer der damaligen Nächte aufschrak und für einen Augenblick hinter den rumpelnden Jalousinen nicht den Wind, sondern mutierte Unwesen vermutete. Entsprechend viel Überwindung kostete es mich immer wieder, zum Controller zu greifen. Antrieb zum Weitermachen war damals meine Neugier und der Spaß, die eigenen Grenzen auszutesten. Somit ist Overblood meine erste, durchgestandene Mutprobe und von der erzählt man in gewissen Kreisen schließlich immer gern.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie geladene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.
Seit Katharina Kavermann einen Controller in ihren Händen halten kann, spielt und liebt sie Videospiele. In Zukunft möchte sie andere durchs Schreiben an dieser Begeisterung teilhaben lassen. Im Moment textet sie sich, im Zuge ihres Volontariats, durch die delikaten Weiten der vegetarischen Küche und verdient sich als freiberufliche Schreiberin ein Zubrot.