Ein buntes Weltraumabenteuer über Erwerbsarmut
und die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Dass auch im Weltraum jemand sauber machen muss, ist eigentlich schon seit Space Quest oder spätestens seit dem Indiespiel Viscera Cleanup Detail von 2014 bekannt. Wie gut extraterrestrische Putzkräfte von ihrer Arbeit leben können, thematisierten diese Spiele allerdings nicht. Anders Diaries of a Spaceport Janitor: Hier geht es weniger um das Saubermachen selbst, als vielmehr darum, wie sich der Alltag einer prekär beschäftigten Arbeitskraft anfühlt. Das klingt zum Glück viel trister, als es tatsächlich ist, denn Diaries kleidet seine Sozialkritik in bunte Farben und unbändige Kreativität.
Unsere Aufgabe ist es, die Straßen des Weltraumhafens auf dem Planeten Xabran’s Rock sauber zu halten. Der Weltraumhafen hat dabei in etwa die gleiche Funktion wie ein Bahnhof bei uns auf der Erde: Es herrscht ständiges Kommen und Gehen, es wird flaniert, gefeiert und gekotzt, der Handel mit Legalem und Illegalem floriert. Natürlich bleibt das alles nicht ohne Folgen für die öffentliche Sauberkeit. Mit einer winzigen Müllverbrennungsanlage auf dem Rücken macht sich die blauhaarige Protagonistin deshalb Tag für Tag auf, um zu beseitigen, was andere achtlos wegwerfen oder verlieren: Essensreste, Elektroschrott, Reliquien, kaputtes Spielzeug und Alienkotze – kurz: außerirdischen Wohlstandsmüll. Geregelte Arbeitszeiten gibt es nicht, Feierabend ist erst, wenn die Batterie des mobilen Müllofens schlappmacht. Bezahlt wird auch nicht nach Stunden, sondern entsprechend der Menge an verbranntem Müll – und das eher schlecht als recht. Diaries ist ein spielbarer Armutskreislauf: Trotz einer durchgearbeiteten Woche reicht das Einkommen meist gerade so für überteuertes Automaten-Fastfood und den alle paar Tage nötigen Gender-Wechsel, der übrigens eine so interessante Idee ist, dass ich hier nicht viel darüber verraten möchte.
Weil das Einkommen also zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist, wird der Handel mit dem, was herumliegt, zu einem wichtigen Nebenverdienst. Doch es ist schwierig, Wertloses von Wertvollem zu unterscheiden: Gibt es wirklich irgendwo einen Abnehmer für einen fettigen Stofflappen, die tote Weltraumschabe oder den Wirbel einer unbekannten Alienart? Und wo war nochmal dieser eine Händler, der die ansonsten wertlosen bunten Edelsteine aufkauft? Es ist eine der nervigeren Herausforderungen, jedenfalls mit einem Gedächtnis wie meinem, die richtigen Käufer für die richtige Ware zu finden, zumal sich Nachfrage und Preise täglich ändern. Außerdem ist wenig Platz im Inventar und die Jagd nach Käufern kostet wertvolle Zeit, die eigentlich für die Straßenreinigung benötigt wird. Wenn sich dann doch mal ein winziges Vermögen angesammelt hat, kann es passieren, dass man einem der fiesen bewaffneten Aufseher in die Arme läuft, der einem die Hälfte seiner hart erarbeiteten Municipal Credits wieder abnimmt. Am Ende eines langen Arbeitstages ging ich deshalb oft genauso arm schlafen wie ich morgens aufgewacht war – oder sogar ärmer.
Aufstehen, sammeln, verbrennen und verkaufen, essen, schlafen: Diaries ist gerade wegen seiner gelegentlich frustrierenden Routine ein ziemlich überzeugender Working-Poor-Simulator. Doch das ist nur die eine Seite des Spiels. Denn es ist auch ein Abenteuer voller Atmosphäre und Geheimnisse mit einer wundervollen kleinen Welt. Die bunte Low-Poly-Grafik des Spiels verleiht der Kulisse des Weltraumhafens unglaublich viel Charme, und trotz seiner überschaubaren Größe atmet er das Flair einer offenen Welt, die mit ihren Plätzen, Straßen und Gassen zum ziellosen Erkunden anregt. Vom orientalisch anmutenden Basar über die futuristische Hafenarchitektur bis hin zur gigantischen Tempelpyramide im Zentrum ist Xabran’s Rock eine wilde Mischung von Einflüssen und Stilen.
Diese Mischung spiegelt sich auch im öffentlichen Leben wider. Wie es sich für ein Weltraumdrehkreuz gehört, tummelt sich auf den Straßen eine Vielzahl an skurrilen Lebewesen: Bärtige Zauberer mit Schmetterlingsflügeln, Spiegelei-Wesen, gallertartige Blobs und funkelnde, fast körperlose Clustergebilde ziehen durch die Straßen, beten an den Schreinen, erledigen Bankgeschäfte oder bieten als Händler die unterschiedlichsten Waren feil. Durch die Straßen schweben riesige, behäbige Raumfähren, die aussehen wie eine Kreuzung aus Stachelrochen und Ausflugsboot. Wenn die Sonne untergegangen ist, geben einige Aussichtspunkte den Blick frei auf die wunderschöne Kulisse der nächtlichen Siedlung, vor der Raumschiffe bunte Kondensstreifen auf den Himmel zeichnen. Mit seiner extremen Farbigkeit und der bizarren Vielfalt der Charaktere wirkt Diaries wie Star Wars in bunt. Und als wäre das alles nicht schön genug, überzeugt das Spiel auch noch mit einem Sounddesign, in dem jede Alienart ihr eigenes Konversationsgeräusch hat, und einem fabelhaften, mal düsteren, mal fröhlichen Soundtrack, den die Entwickler passend als „Alienfolk“ bezeichnen.
Hinzu kommt ein Designtrick, der dieser Spielwelt zusätzliche Dynamik verleiht: unterschiedliche Wochentage und Wetterbedingungen. An manchen Tagen ist fast kein Durchkommen, weil es bei strahlendem Sonnenschein alle nach draußen zieht. An anderen regnet es so stark, dass man keinen Alienhund auf die Straße jagen würde – doch auch dann muss jemand den Müll aufsammeln, es hilft ja nichts. Der Höhepunkt jeder Woche ist „Theday“, ein religiöser Feiertag, an dem der Weltraumhafen zu einer einzigen großen Festmeile wird: An jeder Ecke bilden sich dann schunkelnde Trauben um die kleinen Bühnen, auf denen Bands musizieren, und der ganze Weltraumhafen versinkt in einem Rausch aus Musik und Fröhlichkeit. Natürlich hat diese eruptive Ausgelassenheit eine Kehrseite: Wenn am nächsten Tag das Feiervolk verkatert im Bett bleibt, ziehen wir durch die Straßen und beseitigen die traurigen Reste vom Feste: Papierblumen, Halbgegessenes, leere Flaschen und, natürlich, sehr viel Kotze.
Dank der mit viel Liebe und Intelligenz gestalteten Spielwelt macht es trotz des frustrierenden Arbeitsalltags eine Menge Spaß, die Straßen und Plätze zu erkunden, mit den Händlern zu feilschen und mit anderen Außerirdischen ins Gespräch zu kommen, von denen uns einige mit kleinen Nebenquests beauftragen. Wer möchte, kann es dabei bewenden lassen und das Spiel nach ein, zwei Stunden beiseite legen. Doch Diaries hat auch eine Handlung, die beginnt, sobald SpielerInnen ihrer Neugier nachgeben und sich in die Sewerdungeons wagen, das unterirdische Abwasserlabyrinth, das nur betreten kann, wer zuvor halluzinogene Augäpfel verspeist hat. Dort fängt sich die Protagonistin einen unheilvollen, aber zugleich recht liebenswerten Fluch ein, der sie fortan Tag und Nacht begleitet und den sie nur los wird, wenn sie eine Reihe von Aufgaben erledigt. Ohne zu viel verraten zu wollen: Es lohnt sich auf jeden Fall, diese mitunter etwas anstrengenden Aufgaben zu erledigen – schon allein, um den traurigen Kreislauf zu durchbrechen, in dem die Straßenreinigerin gefangen ist. Mit dem Beginn dieser Hauptquest eröffnet sich der Protagonistin nämlich endlich eine Perspektive auf ein besseres Leben. Ungeachtet dessen liegt die Stärke des Spiels weniger in der Geschichte als in seiner Welt, und die lässt sich in jedem Fall frei erkunden, egal ob man der Handlung folgen möchte oder nicht.
Die Entwickler haben sich mit dem Spiel viel getraut: Es ist ein Kommentar auf die Situation der modernen Arbeiterklasse und zugleich ein quietschbuntes Science-Fiction-Abenteuer. Es ist in Teilen Wirtschaftssimulation und Adventure, Walking Simulator und Rollenspiel. Es motiviert dazu, über Themen wie Armut, Religion oder Geschlechteridentität nachzudenken, ohne Antworten zu servieren. Ein Spiel so zu überladen, kann leicht schief gehen, doch hier funktioniert es erstaunlich gut. Das liegt auch an den vielen klugen Details, die zeigen, wie durchdacht das zunächst so schlicht wirkende Spiel eigentlich ist: Da ist zum Beispiel das titelgebende Tagebuch, in das wir jeden Abend unsere Erlebnisse eintragen müssen, um den Spielstand zu speichern, oder die clevere Idee, die Wege zu den einzelnen Gebieten mit farbigen Pfeilen auf dem Boden anzuzeigen, damit man sich nicht verläuft. Oder das kleine PDF-Handbuch, das bei der Orientierung hilft und zugleich die Neugier weckt auf das, was man noch nicht entdeckt hat. Diaries steckt voller solcher Ideen, die sich längst nicht alle in der ersten Stunde Spielzeit entdecken lassen. Gut 24 Stunden habe ich in Diaries of a Spaceport Janitor verbracht. Ein Bruchteil hätte gereicht, um es durchzuspielen, doch ich hatte es nicht eilig damit, Xabran’s Rock Adieu zu sagen.
Bei allem Liebreiz im Detail ist Diaries of a Spaceport Janitor kein gefälliges Spiel. Besonders sein schlichtes, repetitives Spielprinzip und das eher gemütliche Tempo dürften auf viele abschreckend wirken. Wer sich darauf einlassen kann, auf den wartet ein besonderes Abenteuer, das mit seinem Einfallsreichtum und seiner einzigartigen Atmosphäre zum Nachdenken ebenso anregt wie dazu, sich einfach durch diese merkwürdige kleine Welt treiben zu lassen.