Gefangen im kunterbunten Kugelhagel.
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Shit, Piss, Fuck, Cunt, Cocksucker, Motherfucker, Tits – 1972 zeigt der US-amerikanische Komiker George Carlin dem Establishment mit seinen “Seven Words You Can Never Say On Television” den sprichwörtlichen, wenn auch nicht tatsächlichen Mittelfinger. Mit den anzüglichen Wörtern, die man damals im US-amerikanischen Fernsehen nicht gerne hörte, will Carlin natürlich nur eines: bewusst polarisieren. 1978 verbietet der Oberste Gerichtshof die Benutzung dieser Wörter in Film und Fernsehen, erst 2010 wird das Verbot aufgehoben. Dass der Genuss von Videospielen meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ist ebenso vorteilhaft wie der Fakt, dass Roguelikes erst in den vergangenen Jahren mit Titeln wie The Binding Of Isaac, Spelunky, Crawl, FTL oder Rogue Legacy stärker in den öffentlichen Fokus rückten. Denn wer kann sich schon den ein oder anderen Schimpfwortwasserfall bei Titeln verkneifen, bei denen prozedural generierte Spielwelten und der Verlust nahezu sämtlichen Fortschritts beim Tod des Spielers an der Tagesordnung sind? Auch Enter The Gungeon fällt in das Raster der unnachgiebigen Spielerquäler – auch wenn das Spiel seine Hartherzigkeit mit einer ordentlichen Dosis Humor aufwertet.
Denn schon ein paar Minuten nach meinem ersten Ausflug in das titelgebende Gungeon, ein in fünf Ebenen aufgeteiltes Verlies, wird klar, dass sich die Entwickler von Dodgeroll selbst nicht so ganz ernst nehmen. Zum Beispiel entspringen nahezu sämtliche Gegner des Shmup-Roguelikes den feuchten Fantasien von Schusswaffenfetischisten. Von simplen, anthropomorphen Patronen, die mit Revolvern und Maschinengewehren auf mich feuern, über geflügelte Vampir-Geschosse, bis hin zu Bossgegnern wie dem an den ikonischen Betrachter angelehnten Beholster, der an seinen Tentakeln noch mehr Feuerwaffen statt weitere Augen trägt. Letzterem begegnet man jedoch potenziell erst nach dem Absolvieren der zweiten von fünf Ebenen, was für Neulinge oder Wiedereinsteiger wie mich schon eine Hürde darstellt. Immerhin wurde diese mittlerweile aufgrund zahlreicher, beinahe täglicher Patches ein wenig abgesenkt. Dennoch ist das Gungeon in seiner optischen Umsetzung und den Hintergrundgeschichten zu den einzelnen Gegnern, Lokalitäten und Figuren zwar übertrieben irrwitzig, aber hinter der charmanten Pixeloptik-Fassade steckt ein knallharter Kern.
Anhand der vier wählbaren Charaktere, dem Piloten, der Jägerin, dem Ex-Knacki und dem Weltraumsoldaten, kann ich dem Spiel aber zumindest kleine Vorteile abtrotzen. Der Pilot kann beispielsweise die durch das Erlegen von Gegnern erbeuteten Patronenhülsen bei dem auf jeder Ebene versteckten Händler effektiver einsetzen. Die Kugeln des Soldaten hingegen treffen präziser und den Schild, den andere Charaktere kaufen müssen und der einen zusätzlichen Treffer aushält, hat der Kriegsveteran von Anfang an mit im Gepäck. Selbst diese Vorteile helfen allerdings nicht, wenn die in den Levels verteilten Kisten zwar amüsante, einfallsreiche Knarren wie die Holzfasskanone oder eine zum Gewehr umfunktionierte Ameise bereithalten können, mir jedoch viel häufiger aktiv einsetzbare oder passiv wirkende Gegenstände und Verbesserungen vorsetzen. Hinzu kommt, dass das Timing bei der Ausweichrolle, sinnvollerweise neben der einen Schuss auslösenden linken auf die rechte Maustaste gelegt, oftmals ungenau wirkt und so mehr als einmal zu unerwarteten Toden führt.
Ich will ehrlich sein: innerhalb der knapp zweistelligen Stundenzahl, die ich in Enter The Gungeon investiert habe, kam ich nie über die dritte Kammer hinaus. Viele Geheimnisse des Gungeons, inklusive dem, was es nun mit der Pistole auf sich hat, die das Leben meiner Spielfigur wieder gerade rücken kann, konnte ich also nie enthüllen. Trotzdem zog es mich regelmäßig wieder unter die Erde. Denn obwohl ich bei jedem Neustart meinen Fortschritt verliere, bleiben einige Errungenschaften erhalten. Befreie ich beispielsweise ein junges Mädchen und ihren Golem-Freund aus einer Zelle, kann ich bei ihnen fortan für von Bossgegnern erhaltene Sonderwährung mehr Waffen und Gegenstände freischalten, die dann häufiger in Truhen zu finden sind. Auch weitere Händler und die Möglichkeit, eine Abkürzung auf tiefere Ebenen des Gungeons freizuschalten, sorgen dafür, dass ich trotz Toden in mindestens dreistelliger Zahl nie ganz die Lust an dem sympathisch-überdrehten Roguelike verloren habe – und außerdem haben die Fluchtiraden, die das Spiel in mir auslöst, auch eine katharthische Wirkung. Der viel zu früh verstorbene Carlin hätte sicher seine Freude am Roguelike-Revival gehabt, der beschissene Ficker.