Gabriel Knight: Sins of the Fathers — 20th Anniversary Edition
Was für ein Moment: Ein vermodertes Skelett wackelt auf mich zu, streckt seine Arme nach mir aus. Ich bin unsicher, was ich tun soll. Weglaufen? Attackieren? Ich versuche, den gruseligen Angreifer mit irgendeinem spitzen Gegenstand aus dem Inventar abzuwehren. Vergeblich: Der Knochenmann holt aus und … dann passiert etwas ganz furchtbares, das ich nicht spoilern will. Am Ende ist Gabriel Knight tot und ich sitze einige Zeit schockiert vor dem Bildschirm, bevor ich einen neuen Versuch unternehme.
Meine Zeit mit Sierra-Spielen liegt so lange zurück, dass ich vergessen hatte, wie gerne sie ihre Protagonisten sterben ließen. So blutig wie in der Neuauflage von Gabriel Knight – Sins of the Fathers habe ich das allerdings auch damals nie erlebt. Ja, ich habe das Original nicht gespielt und schreibe trotzdem über das Remake. Fans der Serie mögen mich dafür steinigen, aber ich glaube das geht. Vermutlich erspart mir das sogar die ein oder andere Enttäuschung, denn selbst herausragende Remakes wie die Monkey Island-Special Editions konnten bei mir nicht die gleiche Begeisterung hervorrufen wie die Originale. Das Glücksgefühl von damals lässt sich nicht so einfach verlustfrei in die Gegenwart übertragen.
Umso überraschender beginnt das Spiel für mich mit einem Déjà-vu-Effekt: Da ist dieser eitle, ziemlich anstrengende Typ in seinem Laden, eine genervte Mitarbeiterin hinter ihrem Schreibtisch. Woher kenne ich das nur? Es ist offensichtlich, dass sich Adventure-Legende Jane Jensen für Moebius vor allem von Jane Jensen inspirieren ließ. Leider setzt Gabriel Knight auch auf die gleiche grafische Lösung wie Moebius. Die Qualität der Hintergründe reicht von etwas lieblos bis entzückend, die Cut Scenes sind sehr gelungen, die Licht- und Partikeleffekte ebenfalls. Das größte Problem sind die animierten 3D-Charaktere, die sich ungelenk und immer einen Tick zu langsam durch die zweidimensionale Landschaft quälen, als wäre jeder Schritt eine Tortur. Lustige Glitches wie ein Protagonist, der rückwärts durch den Raum geht oder sich zielsicher neben dem Stuhl niederlässt, sind da noch das kleinste Problem. Gerade in den liebevolleren Kulissen stört diese Diskrepanz atmospährisch besonders. Der Vergleich mit der stimmigen Pixelgrafik des Originals dürfte für Fans schmerzhaft sein.
Auch die Musik überzeugt mich nicht gänzlich. Fans des Originals werden den modernisierten Soundtrack vielleicht zu schätzen wissen, mir ist da allerdings zu viel repetitives, seichtes Gedudel und stellenweise nervt er sogar ein wenig. Das gilt ebenso für die Sprachausgabe: Trotz der professionellen Synchronisierung verleiten die sehr ausführlichen Dialoge manchmal dazu, sie schnell wegzuklicken – insbesondere die Erzählerin spricht zwar in schönstem New Orleans-Dialekt, aber so langsam, dass das Zuhören zur Geduldsprobe wird. Das ist schade, weil kaum ein anderes Adventure so viele Informationen über seine Charaktere, die Hintergründe der Geschichte und den Ort des Geschehens liefert. Wer sich darauf einlässt und die Sprachausgabe deaktiviert, kann die interessanten Exkurse in Geschichte, Kulturgeographie und Religionswissenschaft in Ruhe nachlesen.
Diese Hintergründe sind es auch, die der Geschichte um die brutalen Voodoo-Morde in New Orleans Tiefgang verleihen. Wer darauf verzichten will, verpasst einiges, darf sich aber immer noch über einen spannenden und relativ blutigen Mystery-Thriller freuen, in dem der erfolglose Schriftsteller und Antiquar Gabriel Knight zum Ermittler wider Willen wird und dabei tief in die eigene Familienhistorie eintauchen muss. Für eher amüsante Momente sorgen dabei die Querbezüge nach Deutschland, etwa wenn der Protagonist aus dem Gedichtband „Das Lyrik“ rezitiert. Die Rätsel sind, in meiner Erinnerung ein typisches Sierra-Feature, nicht allzu schwierig, aber gelegentlich wenig plausibel. Ein mehrstufiges Hint-System und ein Tagebuch, das die Geschehnisse ständig zusammenfasst, helfen hier gut weiter. Leider sind es oft nicht die Lösungen, die den Spielfluss aufhalten, sondern die umständlichen Aufgaben, zu denen das Spiel zwingt – etwa wenn ich zwölfmal von einer Szene in die nächste laufen muss, um in jeder davon die gleiche Aktion auszuführen. An solchen Stellen merke ich Gabriel Knight sein Alter deutlich an, heute wäre diese Art des Rätseldesigns für halbwegs ambitionierte Entwickler undenkbar. Eine sanfte Aktualisierung der Rätsel wäre dem Spielerlebnis zuträglich gewesen.
Die historische Bedeutung der Gabriel Knight-Reihe für das Genre ist trotzdem auch nach 20 Jahren nachvollziehbar: Dieses erwachsene, düstere Adventure ist in Würde gealtert, die Geschichte funktioniert heute so gut wie damals. Dass ich über die zweifelhafte Optik des Spiels gerade so hinwegsehen kann, weil ich keine nostalgischen Gefühle für das Original hege, ist für mich allerdings ein großer Segen. Alle, die sich ihre kostbaren Erinnerungen nicht ruinieren lassen möchten, sollten abwägen, ob sie mit der modernisierten Grafik und speziell mit den etwas ungelenken 3D-Charakteren leben können, bevor sie sich an das Remake wagen.