Alphalevel: Plague Inc Evolved
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl. Während ich die täglich steigende Hysterie um den erneuten Ebola-Ausbruch in Westafrika verfolge, züchte ich im Hintergrund meinen eigenen Virus heran, mit dem einzigen Ziel, sämtliches menschliches Leben vom Planeten zu tilgen. Diesem zweifelhaften Vorhaben durften iOS– und Android-Nutzer bereits seit nunmehr zwei Jahren nachgehen, seit diesem Jahr steht mit Plague Inc: Evolved eine erweiterte Vorab-Fassung der Seuchen-Simulation auch stubenhockenden PC-Recken zur Verfügung. Und nicht nur durch den aktuellen Bezug übt dieses Spiel schon in seinem unvollständigen Zustand eine seltsame Faszination aus. Denn was unter der erschreckend unhinterfragten Freude am Zusammenbasteln der tödlichsten Krankheiten verborgen liegt, lässt über so manch moralisches Fragezeichen überraschend leicht hinwegsehen.
Zu Beginn des Spiels sucht man sich aus, ob man eine eigene Seuche erschaffen oder einer vordefinierten beim Ausradieren alles Menschlichen behilflich sein möchte. Die vorgegebenen Keimzellen erstrecken sich nicht nur über bekannte Erreger, wie etwa die Pest oder die Schweinegrippe, sie bieten auch die Möglichkeit fiktive Szenarien durchzuspielen, die weit über physische Krankheitsbilder hinausgehen. Da wäre die nur noch von wenigen Scheuklappenträgern als fiktiv bezeichnete Globale Erwärmung, der ebenfalls immer greifbarere, reihenweise Staatsbankrott, sowie die äußerst delikaten Auswüchse von Dummheit verbreitendem Reality-TV. Da kann jeder für sich selbst entscheiden, wie angebracht der Begriff „fiktiv“ in diesem Fall wirklich ist. Seit der neuesten Version des Spiels ist es zudem möglich, die aus dem gerade angelaufenen 207. „Planet der Affen“-Films bekannte Affengrippe zu verbreiten, damit es Charly seinen Peinigern vom ZDF nach all den Jahren doch noch heimzahlen kann. Als kleine Hilfestellung kann man im Spiel den Trailer zum Film anschauen und anschließend, auch direkt aus dem Spiel heraus, die passenden Kinotickets bestellen. Denn das Cross-Promotion-Siechtum hat die Menschheit offenkundig noch lange nicht ausgestanden.
Hat man sich schließlich für ein Szenario entschieden, wählt man ein Ausbruchsland, von dem aus sich der Erreger verbreiten soll. Und schon in diesem Moment wird die unscheinbare Komplexität dieser Simulation spürbar, denn die Wahl beeinflusst den Verlauf des Spiels enorm. Klimatische und wirtschaftliche Bedingungen, urbane oder ländliche Gegenden, Bevölkerungsdichte und Infrastruktur, all das sind Faktoren, die eine Ausbreitung und Entdeckung der Krankheit mitbestimmen können. Verfolgen kann man diese über eine permanent eingeblendete Weltkarte, die im Prinzip auch die komplette grafische Oberfläche des Spiels darstellt. Von hieraus kann man den Status einzelner Länder anhand zahlreicher Graphen und Statistiken näher betrachten und die gelegentlich aufploppenden Infizierungs- und Genblasen anklicken, welche eine raschere Ausbreitung und die Gewinnung verteilbarer DNS-Punkte ermöglichen.
Mit letzteren kann man seinen Erreger modifizieren, um ihn effizienter zu machen. Hier gilt es, strategisch geschickt vorzugehen und auf die aktuellen Rahmenbedingungen Rücksicht zu nehmen. Wer in Grönland startet und ein Resistenzgen gegen Hitzeeinwirkung ausbaut, der sollte keine sonderlich beeindruckenden Resultate erwarten. Während man nach und nach neue Symptome und Übertragungswege freischaltet, wird die Seuche stetig gefährlicher und die Weltöffentlichkeit beginnt Notiz von ihr zu nehmen. Ab diesem Moment beginnt der Kampf gegen die Uhr, wenn zunächst Verkehrswege geschlossen und in der Folge ein Heilmittel entwickelt wird. Nur die vollständige Vernichtung der Menschheit führt zum Sieg und schaltet neue Szenarien und Erreger frei, so dass schon das Überleben einer Handvoll eingebunkerter Endzeitphobiker das vollständige Scheitern bedeutet.
Das Besondere an Plague Inc: Evolved ist aber, dass auch der Weg in eine Niederlage ein sehr aufschlussreicher sein kann. Das morbide Fundament lädt nun einmal zum Reflektieren ein und so lernt man beim Aus- und Aufbau seiner Krankheit nicht nur reale Zusammenhänge der unterschiedlichen Verbreitungs- und Mortalitätsfaktoren einer Seuche kennen, sondern wird auch mit der Irrationalität und Verzweiflung jener Menschen konfrontiert, die am Abgrund der Auslöschung stehen. Regierungsstürze, Straßenschlachten, der Abriss internationaler Beziehungen bis hin zur angeordneten Tötung mutmaßlich infizierter Mitbürger, all diese Dinge wirken im Kontext zu keinem Zeitpunkt an den Haaren herbeigezogen und regen zum Nachdenken darüber an, wie die tatsächlichen Auswirkungen einer vergleichbaren Gefahrensituation aussehen könnten. Auch die Implementierung von sozialen Katastrophen, wie etwa die Verbreitung von Xenophobie, muss man den Entwicklern hoch anrechnen, weil die Spielenden die selbstzerstörerische Kraft des Menschen in einer bisher ungekannten Art aktiv beobachten und mitverfolgen können. Und auch wenn vieles davon der Zugänglichkeit halber vereinfacht und nur anhand von kurzen Texteinblendungen dargestellt wird, haben mich die Geschehnisse auf dem Bildschirm in eine länger nachhallende Unruhe versetzt, die ich in ähnlicher Form sonst nur bei deutlich drastischeren Darstellungen erlebt habe.
Aufgrund der Schwere der Thematik, habe ich für meinen Durchlauf dann lieber eine halbwegs harmlose Seuche ausgesucht, mit der ich in diesem Sommer selbst infiziert wurde. Mein von Deutschland ausgehendes WM-Fieber hat es jedoch glücklicherweise am Ende nicht geschafft, die Menschheit komplett auszurotten und konnte überwunden werden. Irgendwie hat man ja bisher immer eine Möglichkeit gefunden, dem Exodus zu entkommen, auch wenn man sich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren kann, es werde förmlich um die eigene Ausmerzung gebettelt. Plague Inc: Evolved verschweigt diese unangenehmen Fakten nicht und ist auch in seiner noch unfertigen Form lehrreich und spannend. Im Laufe des Jahres wird es neben den erwähnten Einzelspielerkampagnen auch die Möglichkeit geben, in Mehrspielerpartien um die schnellere Auslöschung der Erdbevölkerung zu wetteifern. Bei diesem Ausblick kann man sich dann auch die Frage stellen, ob der bisherige Realitätsbezug des Spiels nicht bereits ausreichend gewesen wäre.