Alles neu macht der Mais: In diesem angenehm hirnlosen
Abenteuer werdet ihr Dinge tun, die ihr so noch nie in einem
Spiel tatet. Aus gutem Grund.
Humor ist nicht nur sehr subjektiv, sondern auch stark abhängig von Ort und Zeit. Als ich vier Jahre alt war, forderte mich mein Vater auf Familienfesten oft auf, “Schaschlikspieß” zu sagen, und dass allein reichte aus, um allgemeines Schenkelklopfen auszulösen. Aber schon zwei Jahre später fand das niemand mehr witzig. Was war geschehen? War meine Routine schal geworden? Ließ ich die kleinkindliche Überschwänglichkeit vermissen, war ich mit sechs schon zu alt für den Act? Oder lag es daran, dass ich in der Zwischenzeit beim Logopäden war und nun nicht mehr lispelte? Ich weiß es nicht, aber daran sieht man gut, wie subjektiv Humor ist.
Gerade in Videospielen ist Humor ein schwieriges Thema, vor allem, wenn er als Alleinstellungsmerkmal dienen soll und nicht nur ein Nebeneffekt guter Skripte oder Physikengines ist. Oft wirkt das angestrengt und bemüht, wie der arme Kerl, der gelesen hat, dass Frauen auf Männer mit Humor stehen und deshalb eifrig Witze auswendig lernt. Die schlimmsten mir bekannten Beispiele sind Point’n’Click-Adventures, die es für den Gipfel des Komikolymps halten, wenn der Protagonist eine witzige Stimme (oder gar einen Dialekt!) hat und WIRKLICH JEDE AKTION mit einem pfiffigen Sprüchlein begleitet. Über schlechtes Drama oder behämmerte, markige Sprüche kann man sich ja wenigstens noch lustig machen, aber eine miserable Komödie erlaubt nicht mal das.
Maize, das erste richtige Spiel meiner neuen Lieblingsentwickler Finish Line Games, umschifft diese Klippen teilweise, indem es den Protagonisten stumm macht. Andererseits brettert es ansonsten mit Volldampf gen Schiffbruch, denn fast alle Sprecher haben einen bewussten Akzent oder Sprachfehler, und jeder mitnehmbare Gegenstand hat eine längere, optional einblendbare Beschreibung in Textform. Im letzten Moment per Heliumballon dem nassen Tod entkommen kann Maize lediglich dadurch, und meine Herren, hab ich diese anfangs so unscheinbare Metapher ausgereizt, dass ich drüber lachen kann. Doll.
Das Schöne an Maize ist nämlich, dass es sich von den Allgemeinplätzen des Spielehumors fernhält und sich nicht an Parodien, Popkulturzitaten oder Memegags versucht, sondern einen eigenen Ton findet, den es konsequent hält und der bei mir Widerhall findet. Das Audioäquivalent wäre zugegebenermaßen vermutlich sowas wie das Lachen des Wettermanns – keinerlei Anspruch, aber lachen muss ich trotzdem jedes Mal. Übrigens hängt das Klebeband links an der Tafel.
Professionelle Spielekritiker beschreiben Maize vielleicht als First-Person-Adventure mit simplen Rätseln und Fokus auf Erkundung oder als Walking Simulator mit Inventar, aber ich pfeife auf leidlich deskriptive Worthülsen und nenne die Dinge beim Namen: Maize ist ein dummes Spiel mit und über Idioten, Trottel und Strohköpfe, für Dussel, Simpel und Deppen (danke, Dudensynonymliste). Und das ist im positivstmöglichen Sinn gemeint.
Jeder und alles in diesem Spiel ist dumm: Die Prämisse über den Mais, der Bewusstsein erlangt, seine Erschaffer, deren Kommunikationsmethode eines der Highlights des Spiels darstellt, der Protagonist selbst, bedenkt man, was er – und damit ihr – im Laufe des Spiels anstellt, ja selbst die Personenerkennungssicherheitssysteme sind blöder, als Personenerkennungssicherheitssysteme es je in irgendeinem Medium waren. Aber das ist halt alles so schön konsequent und ehrlich, ohne dieses eklige Zwinkern in die Kamera, mit dem Kacke sich immer zu legitimisieren versucht.
Gleichzeitig schämt sich Maize auch in keiner Sekunde, ein Spiel zu sein, ein leichtes dazu. Die begehbaren Areale werden stets übersichtlich gehalten, indem ungewünschte Ausgänge mit Stapeln orangener Boxen verbarrikadiert werden, und Texteinblendungen weisen dich stets darauf hin, wenn deine Aktionen irgendwas in der Welt verändert haben, ohne einen kausalen Zusammenhang herbeizureden. Doch Maize hält dich für noch dümmer, daher erzählt dir die Objektbeschreibung oft schon, wo der Gegenstand gebraucht wird, nötige Objekte werden als schemenhafte Umrisse am Ort ihrer Benutzung angezeigt, und damit man ja nichts übersieht, hat alles Benutzbare eine deutlich sichtbare weiße Umrandung. Zumindest deutlich sichtbar, wenn Objekt und Hintergrund nicht auch weiß sind, wie zum Beispiel ein durchsichtiges Klebeband auf einem Whiteboard.
Was euch so in den grob vier Spielstunden erwartet: Gleich zwei bekloppte Geschichten, ein polarisierender Sidekick, (Environ)mental Storytelling ohne Audiotagebücher, trotz der allumfassenden Dämlichkeit clevere Rätsel ganz ohne Physik, ein furioses Finale und blöde Wortspiele. Genaueres will ich gar nicht verraten, und rate daher auch davon ab, die Steambeschreibung zu lesen oder den unten verlinkten Trailer zu schauen. Ich wusste nämlich auch nicht mehr, als dass es sich um sprechenden Mais dreht, und das Herausfinden der Wies, Wos, und Warums war eine sehr angenehme Erfahrung, die euch nicht vorenthalten werden sollte (außerdem hab ich doch so einiges gespoilert, aber das erkennt man erst im Nachhinein – Reviews nach dem Spielen erneut lesen ist das neue New Game+).
Das Problem dabei ist natürlich, dass ich nichtsahnend und gratis Maize begegnete, während ihr 20€ löhnen müsstet und dann natürlich mit entsprechender Erwartungshaltung, gesteigert noch von meinem Geschwärme, dem Ganzen begegnet. Ich fürchte, dass dies dem Genuss stark abträglich wäre, vollkommen unabhängig vom eingangs erwähnten Humorsubjektivismus. Daher folgender Vorschlag: Wir vergessen jetzt fast alles, was ich hier geschrieben habe, und irgendwann ist Maize vielleicht in einem Sale oder Bundle dabei, und hoffentlich fällt dir dann wieder ein, dass da mal jemand wohlwollend drüber schrieb.
Und idealerweise erinnerst du dich dann auch an das Klebeband an der Tafel.