Mond Cards

Mond Cards

Wer im deutschsprachigen Raum aufwächst, wird früher oder später mit Kartenspielen konfrontiert. Es gibt sie für alle Altersklassen: Mau-Mau für die Kleinsten und Skat für die Zecher. Dort wo ich herkomme, spielen die Zecher nicht Skat, sondern Schafkopf – eine der vielen seltsamen Besonderheiten Bayerns. Unter den Eingeborenen hier ist es Usus, dass ein männlicher Nachkomme irgendwann von seinem Vater Schafkopf zu lernen hat. Und so hat auch mein Vater versucht, mir das Spiel beizubringen. Leider stieß er dabei auf ein schreckliches Geheimnis, das ich bis dato gut zu verheimlichen vermochte, wie andere verborgene Ängste oder Süchte: Ich bin bei Kartenspielen maßlos untalentiert. Das geht soweit, dass ich sie gar nicht erst begreife.

Kartenspiele sind der schwarze Fleck meiner Spielleidenschaft. So gern ich Brett- und Videospiele mag, so wenig kapiere ich das gemeinschaftliche Spiel mit Karten. Mond Cards ist für mich daher ein überraschend normales Spiel. Indie-Entwickler Ryan Melmoth zeigt ein Cthulhu-artiges Insektenmonster, das permanent Blut spuckt, einen Elefanten mit spiralförmigen Augen und einen gänzlich augenlosen alten Mann, der mit mir Karten spielen will. Mond Cards natürlich, ein Spiel, dessen Regeln ich nicht verstehe. Genauso wenig wie die von Mau-Mau oder Schafkopf eben. Trotzdem werde ich in diesem Fall das Gefühl nicht los, dass ich die Regeln zunächst auch gar nicht kapieren soll.

Leider ist Mond Cards nicht nur einfach ein Kartenspiel, das zum Spaß gespielt wird. Der von sich schwer überzeugte Mann ohne Augen will um nicht weniger spielen, als um mich. Gewinne ich, darf ich gehen, verliere ich, stehe ich für immer im Dienst dieser Gesellschaft irrer Kartenspielliebhaber. Vielleicht werde ich die nächste Ergänzung im Horrorkabinett der Spielkommentatoren, das zwischen den drei Spielgängen mit mir spricht. Mal macht mich das blutkotzende Insektenwesen darauf aufmerksam, wie erregt es ist, mal lästert der bekiffte Elefant über den Kartenspieler. Kein Wunder, schließlich hat er Augen, interpretiere ich die Szene.

Dazwischen wird Karten gespielt. Ich kann dabei nur die Auswahl zwischen verschiedenen Karten treffen, die anschließend auf den Tisch gelegt werden, sich zusammen mit denen des Gegners irgendwie anordnen und dann dazu führen, dass der Gegner gewinnt. Trotzdem: Irgendeine Regel scheint es zu geben, irgendetwas geschieht offenbar nach einem gewissen System. Ich beginne zu ahnen, dass Mond Cards mehr ist als nur surreales Erbrechen von Blut und drogeninduzierter Augenneid. Was genau, muss ich noch herausfinden. Zunächst muss ich mit einem alten Schafkopf-Trauma fertig werden, das Mond Cards unangenehm offensiv wieder aus den Tiefen meines Unterbewusstseins zu Tage gefördert hat.