Organ Trail: Director's Cut
Hurra, hurra, der Frühling ist endlich da! Es wird wieder warm, die ersten Knospen sprießen und deswegen wird’s Zeit für einen großen Superlevel-Betriebsausflug! Fabu, Dom, Marcus, Dennis und ich haben uns in Washington D.C. getroffen, ein abgewracktes Auto sowie das übliche Dutzend Schrotflinten gemietet und fahren nun seit einigen Tagen auf dem berüchtigten Organ Trail durch die United States of Zombieapocalyptica umher. Also… Eigentlich nur noch ich.
“Organ Trail was an edutainment game developed in 1971. Schools across America used this game as a teaching tool to prepare children for the impending zombie apocolypse and dysentery.”
– The Men Who Wear Many Hats
Eine äußerst unglückliche Verkettung von noch unglücklicheren Zufällen hatte dieses Endresultat herbeibeschworen. Gerade als wir die ersten 100 Meter fuhren, krächzte uns schon eine panisch vorgetragene Nachrichtenmeldung aus den Radio-Lautsprechern entgegen: “The government has declared a class 3 biohazard in the area. KRZZZRZZZ… …Commencing a nuclear strike within a few short hou-KKKZZZRZZKRZ… Get out whi-KRZRZZZRRRZZZZZ! The city is-…”
Biohazard. Genauer gesagt: Zombies. Es war klar, dass wir so schnell wie nur möglich fort mussten. Wir schnappten uns sämtliche halbwegs brauchbar scheinende Gegenstände — beispielsweise kaum angeschimmelte Lebensmittelrationen, nur halb aufgebrauchte Munitionspäckchen oder angebrochene Benzinkanister –, welche die aufgebrachte Menschenmenge bei ihrem hektischen Aufbruch zurückließ.
Doch dieser Grundstock an Waren konnte keine vernünftige Reiseausstattung ersetzen. So versuchten wir, nachdem wir die ersten fünfzig Kilometer zurücklegten, mit anderen Zivilisationsflüchtlingen mal mehr und mal weniger erfolgreich zu verhandeln. Manche Angebote waren jedoch so dreist, dass ich am liebsten den Fremden anstatt den Untoten eine Kugel zwischen die Augen verpasst hätte. Wer konnte auch schon so wahnsinnig sein, einen formidabel funktionierenden Auspuff für zehn Konservendosen gebackene Bohnen zu verlangen? Die Apokalypse schien die menschliche Vernunft zu vernebeln.
“Name your party after your friends and watch them die slowly”
– The Men Who Wear Many Hats
Es ging jedoch noch wesentlich schlimmer. Unser materieller Wohlstand in Zeiten der Zombie-Übernahme war überragend, da wir durch sechs Tage beharrlicher Tauschgeschäfte und Plünderungsfeldzüge nun 18 Autobatterien, 3.295 Essensrationen, 25 Tankkanister, 243 Altmetallteilchen sowie 375 US-Dollar unser Eigen nennen durften. Dieser Umstand lockte zwangsläufig Banditen an. Obwohl sie meist leicht zu überlisten waren, war da noch der eine. Der heimtückische, der uns knapp vor Chicago überraschte. Der, der Dennis während einer kurzen Rast urplötzlich aus den Wagen riss und ihn eine Waffe an den Schädel hielt. Ich, ich…
Nein, es gelang mir nicht, ihn zu retten. Dennis war tot. Es war wie ein Stich ins Herz für die gesamte Truppe. Insbesondere dem armen Dom schien die ganze Angelegenheit auf den Magen zu schlagen. Immer häufiger erkrankte er an den verschiedensten Dingen — mal hatte er Typhus, mal die Masern, manchmal war er aber auch einfach nur dehydriert. Doch nicht nur sein Immunsystem war geschwächt, sondern auch seine Psyche. Unter dem Vorwand, noch ein wenig frische Luft schnappen zu wollen, verließ Dom mitten in der Nacht den Wagen. Ich hätte aber schon bei seinem apathisch abwesenden Blick wissen sollen, dass er nie wieder zurückkommen würde. Fabu, Marcus und ich fuhren am nächsten Morgen alleine weiter.
Nach Gesprächen mit ein paar Fremden erhielten wir die Information, dass sich weit hinter Las Vegas ein zombiesicherer Militärplatz namens Safe Haven befindet. Doch bis dahin hatten wir noch einiges zu erdulden, insbesondere den schlimmsten Hunger unseres Lebens. Die Essensrationen wurden immer knapper. Wir mussten einiges wegschmeißen, da viele Lebensmittel bereits verdorben rochen. Während Fabus und mein Magen bereits verkrampften, versuchte Marcus mit einem Pfeifen unsere Stimmung zu verbessern. Es half nichts. Nachdem wir durch Dallas fuhren, fand Marcus ein Kätzchen auf der Straße. Wir nahmen es zu Marcus’ Freude mit, doch er wurde unachtsam. Als er verträumt mit seinem neuen Reisekameraden spielte, biss ihn hinterrücks ein Zombie mitten in die Schulter, dann in den Nacken hinein, danach flüchtet dieser. Ohne zu zögern nahm ich die Flinte und erschoss zuerst Marcus, danach die Katze. Die Essensrationen reichten wieder. Fabu schwieg. Ich auch.
Diese Reise wurde vermehrt zu einem wahren Höllenritt. Es erschien mir so, als würde der Wahnsinn versuchen, in meinen Schädel einzumarschieren. Die minuziöse Planung bezüglich der Ressourcenbeschaffung und -verteilung, die schlagartigen Krankheits- sowie Todesfälle, aber auch durch diverse dramatische Kurzereignisse raubten mir meine Kräfte. Fabu hingegen war weiterhin ein erstaunlich ruhiger Kompagnon. Doch auch ihm sollte, durch ein tragisches Schicksal bedingt, der Eintritt zur sicheren Zuflucht verwehrt bleiben.
“Herr Fabu has dysentery.”