Phonopath: Lost and Sound

Leichte Zugänglichkeit ist bei Videospielen eine Tugend. Wie anspruchsvoll und komplex ein Spiel auch sein mag, der Einstieg sollte für alle zu meistern sein, die Lernkurve möglichst gleichmäßig steigen. Phonopath ist von diesem Ideal weiter entfernt als jedes andere Spiel, das ich kenne – und trotzdem ist es außerordentlich bemerkenswert: Phonopath ist ein Special-Interest-Titel, der sich hauptsächlich an Audiophile und SoundbastlerInnen wendet.

Phonopath

In dem kostenlosen Browser-Adventure muss in jedem Level ein Passwort gefunden werden, um voranzukommen. Das Passwort verbirgt sich in einer Audiodatei, die sich im Browser abspielen und herunterladen lässt. Diese Datei gilt es nun nach allen Regeln der Audiokunst zu entschlüsseln: Durch einen einfachen Trick wie das Umkehren der Tonspur oder das Ändern der Geschwindigkeit. Oder eine komplexere Manipulation, für die nach dem Blick ins Spektrogramm der Einsatz eines Filters oder das Zerschneiden und Neukombinieren des Tracks nötig ist. Mal ist das Passwort nach erfolgreicher Bearbeitung in der Datei zu hören, mal taucht das geschriebene Wort in der Analyse auf.

Die Rätsel erfordern weder Geschicklichkeit noch ein außergewöhnlich geschultes Ohr. Die Schwierigkeit von Phonopath liegt vielmehr darin, herauszufinden, was ich mit der jeweiligen Audiodatei anstellen muss, und dies anschließend korrekt umzusetzen. Anhaltspunkte können sich im Levelnamen oder in der Aufnahme selbst verbergen, die übrigens oft sehr unterhaltsam, manchmal auch ein bisschen gruselig ist. Als zusätzliche Unterstützung wird mir ein lässiger Assistent zur Seite gestellt, der mit nützlichen Hinweisen die richtige Richtung vorgibt. In der konsistenten Welt von Phonopath kann ich seine Hinweise nur anhören, aber nicht nachlesen – was das komplett englischsprachige Spiel für Nichtmuttersprachler leider noch ein Stück weniger zugänglich macht.

Eine andere Hürde ist gravierender: Um die Dateien zu entschlüsseln, ist der Einsatz von Audiosoftware unverzichtbar. Wer Musik macht oder Podcasts aufnimmt, wird bereits mindestens ein Freewareprogramm wie Audacity auf dem Rechner haben, alle anderen werden von Phonopath allerdings allein gelassen. Hinzu kommt, dass für mich nicht jede Software für alle Level gleich gut funktioniert. So bin derzeit mit drei Programmen gleichzeitig in Phonopath unterwegs – was nicht zwingend notwendig ist, mir aber das Lösen der Rätsel erleichtert.

Leider konnte ich in der spärlichen Hilfe zu Phonopath keine Hinweise darauf finden, welche Werkzeuge für das Spiel empfohlen werden – es wird offenbar vorausgesetzt, dass sich nur Menschen an das Adventure wagen, die zumindest sporadisch mit DAWs arbeiten. Das ist ein bisschen schade, denn es ist tatsächlich möglich, sich Phonopath auch als Audiolaie zu erarbeiten, selbst wenn dafür Techniken verlangt werden, die einem bislang nicht vertraut sind. Nicht umsonst verkündet der Entwickler und Tontechniker Kevin Regamey auf der Phonopath-Website: „Expect to learn something.“ Ein Hinweis auf geeignete, kostenlose Tools, von denen es gar nicht so wenige gibt, würde den Einstieg für viele sicherlich erleichtern. Deshalb hier stellvertretend mein Service-Tipp: Mit Audacity lässt sich vieles recht komfortabel lösen. Eine recht schöne Spektralanalysefunktion habe ich außerdem bei WavePad gefunden, das es für Privatanwender ebenfalls kostenlos gibt.

Phonopath

Phonopath steht in einer Traditionslinie mit ARGs und weckt Erinnerungen an das berüchtigte Browserrätsel Notpron, das der Entwickler im Interview als eine Inspiration nennt. Als Adventure soll es außerdem eine durchgehende Geschichte erzählen, die sich mir zugegebenermaßen bislang noch nicht erschließt. Ich bin allerdings auch noch weit davon entfernt, das Spiel erfolgreich abzuschließen. Weil ich das möglichst ohne Hilfe bewältigen will, wird Phonopath ein langfristiges Vergnügen werden. Auch, weil ich an manchem Level mehrere Abende über längere Zeitspannen sitze, bis mir endlich klar wird, was zu tun ist. Dafür produziert jedes gefundene Passwort ein Glücksgefühl, das sich in aktuellen Spielen nur noch selten einstellen mag: Die Freude darüber, sich die Lösung durch Nachdenken, Kombinieren und Ausprobieren erarbeitet zu haben, übertrifft jeden erfolgreich bewältigten Geschicklichkeitstest in einem noch so schweren Roguelike.

Phonopath wurde bereits 2012 veröffentlicht und ist in der Audioszene längst ein kleiner Hit, geriet aber erst jetzt in den Fokus einer breiteren öffentlichen Aufmerksamkeit. Das liegt daran, dass Kevin Regamey es bei der diesjährigen IGF Competition eingereicht hat, wo es prompt unter den Finalisten in der Kategorie „Excellence in Audio“ landete. Die Nominierung ist mehr als verdient, schließlich tastet sich Phonopath nicht nur weit an die Grenzen des Mediums Spiel heran, es zeigt auch gleichzeitig, wie stark ein Spiel sein kann, das sich auf ein einziges Element konzentriert, dessen Möglichkeiten bis ins kleinste Detail auslotet und in eine innovative Spielmechanik umsetzt. Sicher: Wer noch nie ein Spektrogramm gesehen hat und bei „notch“ eher an Minecraft denkt als an Filter, wird sich mit Phonopath schwer tun und möglicherweise zu schnell das Interesse verlieren. Trotzdem liefert das Spiel genügend Hinweise, um mit ein bisschen Recherche und Ausprobieren auch ohne eine Tontechnikerausbildung zurechtzukommen – ein gewisses Maß an Geduld und Experimentierfreude vorausgesetzt. Dass Phonopath keine Kompromisse in Sachen Zugänglichkeit eingeht, macht es zu einem Nischentitel, ist zugleich aber auch seine größte Stärke.