Vom Lieben und Loslassen.
Licht und Schatten, Traum und Wirklichkeit, Liebe und Leid. Das mit dem RPG Maker erstellte Spiel von Komponistin Laura Shigihara, die schon To The Moon und Plants vs. Zombies mit Musik versorgt hat, jongliert mit Gegensätzen. Das beginnt schon mit dem Kontrast zwischen der Grundprämisse und der Knuddel-Optik.
Denn obwohl die hübsche 16-Bit-Japano-Grafik selbst in den dunkelsten Momenten des Spiels eher knuffig wirkt, ist die Ausgangslage für den namenlosen Jungen, den ich in Rakuen spiele, mehr als trist. Eine bis zum Ende unbekannte Krankheit fesselt mich an ein Krankenhausbett und die Flure, die ich zu Spielbeginn erkunden darf, sind gefüllt mit gestressten Schwestern und ratlosen Ärzten. Einziger Lichtblick für den Jungen: Die Besuche durch seine Mutter, die ihm regelmäßig aus dem Märchen Rakuen vorliest – einer Geschichte von einem heldenhaften jungen Krieger, der seinen verschwundenen Stamm durch die Hilfe der mystischen Gottheit Morizora wiederfindet. Für den Jungen wird diese Märchenwelt bald Realität, als er zusammen mit seiner Mutter in den abgesperrten Bereichen des Krankenhauses ein Portal in den von anthropomorphen Pflanzen und Tieren bewohnten Wald Morizoras findet und ihm, ebenso wie der Krieger in der Geschichte, einen Wunsch abringen will.
Vorher muss er allerdings vier Lieder zusammentragen, die mit der Geschichte der Patienten im Krankenhaus und ihren Märchen-Gegenstücken verknüpft sind. Der grummelige Tony beispielsweise ist von Schuldgefühlen zerfressen, während die junge Patientin Sue sich damit quält, sich nicht von ihrem einzigen Freund verabschiedet zu haben, bevor sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Um die Stücke zu lernen, muss ich mich durch das Lösen kleinerer Umgebungs- und Gegenstandsrätsel und viel Dialogarbeit in die Lage der Patienten versetzen, ihre Geschichte am eigenen Leib erfahren und ihnen dabei helfen, ihre Probleme zu überwinden.
Das Besondere an Rakuen ist, wie es mit den Schicksalen seiner Charaktere umgeht und wie diese präsentiert werden. Jedes einzelne ist derart herzzerreißend geschildert, dass mir beim Spielen des Öfteren ein Kloß im Hals stecken bleibt und beispielsweise bei der Zusammenführung getrennt geglaubter Familien die ein oder andere Träne die Wange herunterkullert. Erträglich wird das nur durch den Gegenpol des beinahe schon kindlich-quatschigen Humors, wenn mich beispielsweise die aus einem Leeble genannten Waldtier, einer Sonnenblume und einer Blumenknospe bestehende Rockband No Hold’s Bard mit Gitarrensoli überfällt oder ich völlig unvermittelt über eine Pen-and-Paper-RPG-Gruppe stolpere.
Laura Shigihara gelingt es in ihrem Entwicklerinnendebüt, mich mit den einfachsten Mitteln in den Bann ihrer farbenfrohen Welt zu ziehen. Dabei lässt mich das Spiel aber auch nie vergessen, dass viel Licht auch bedeutet, dass es Schatten geben muss. Diese Erkenntnis stellt sich spätestens im letzten Abschnitt des Spiels ein, der einem beinahe das Herz aus der Brust reißt – weil es gleichzeitig ein bitteres Ende wie auch ein hoffnungsvoller Neuanfang ist. Hermann Hesse wäre stolz auf Rakuen.