Re: Lone Survivor
Als ich das erste Mal mit Jasper Byrne sprach, war er am Ende. Geistig, wie auch körperlich. Die Arbeit an seinem Horror-Spiel Lone Survivor hat alles von ihm abverlangt. Er vernachlässigte seine Familie, die letzten Geldreserven waren aufgebraucht, sein Innerstes wurde in surrealen Horror verwandelt und nach Außen gekehrt. Jasper Byrne war durch. Etwa ein Jahr später treffe ich ihn auf der GDC wieder. Byrne trägt einen Mantel, wie er Alex aus Clockwork Orange stehen würde, und demonstriert schüchtern lächelnd den Prototypen seines kommenden Spiels New Game+. Byrne scheint glücklich zu sein, als wäre der Lone Survivor-Crunch nur ein böser Traum. Alles wieder gut? „Ich hasse das Business!“
httpvh://youtu.be/4FHKBJG-w5Q
„Ich… ich sollte das wahrscheinlich nicht in einem Interview sagen, aber fuck it! Ich hasse es, Zeug zu verkaufen. Ich hasse es!“ Vor Lone Survivor war Byrne ein unbekannter Indie-Entwickler unter vielen. Sein Silent Hill-Demake Soundless Mountain II hat ein wenig Aufmerksamkeit auf TIGSource bekommen, das Flashgame Soul Brother konnte er an Adult Swim verkaufen. Lone Survivor ändert das.
Der ehemalige DJ muss sich plötzlich um Käufer kümmern, um Leute, die im Spiel nicht weiterkommen und Rat suchen, Bugs und Inkompatibilitäten ausmerzen. Als Byrne es endlich gelingt, Lone Survivor auch auf Steam zu vertreiben, werden die vorigen Käufer wütend. Sie wollen das Spiel auch auf Steam besitzen und fühlen sich um ihre 10 Dollar betrogen. Weil es dauert, bis er Steam-Keys für alle seine Käufer findet, muss Byrne 5.000 E-Mails mit der aktuellen Version verschicken, damit sich die alten Kunden nicht benachteiligt fühlen. Über Steam wird das Update währenddessen automatisch verteilt.
„Der große Unterschied zu vorher? Geld. Ich hatte nie welches. Und jetzt ist es da und… mein Leben ist nicht wirklich anders, weißt du? Das einzige, was ich mir gekauft habe, war ein besseres Laptop und ein bisschen Soundzeug, um Musik zu machen“, sagt Byrne während auf dem Bildschirm des neuen Notebooks pixelige Fantasyhelden gegen untote Ritter in New Game+ kämpfen. „Alles, was ich haben wollte, war genug Geld, um über die Runden zu kommen. Nichts großes. Kein Haus, kein Auto. Und es ist toll, dass ich mir durch den Erfolg erst mal keine Sorgen mehr machen muss über mein Publikum — außer ich mache ein wirklich beschissenes Spiel. Das andere, was sich verändert hat, ist das Business. Ich bin so viel mehr erschöpft, einfach nur wegen dem Business.“
Ich bin sprachlos. Um 2012 Lone Survivor fertigzustellen, hat Byrne 48 Stunden lang durchgearbeitet und schon davor wochenlang kaum gegessen. Es ist ein Jahr her und jetzt ist er erschöpft. “Jede Mail, die mich von der Arbeit am Spiel abhält… es ist so demoralisierend!”
Anstatt mit Lone Survivor abzuschließen, arbeitet Byrne weiter daran. Heute erschien eine Playstation 3 und Vita-Fassung des Spiels. „Es gibt exklusive Inhalte für Vita und PS3. Ich habe noch nicht entschieden, ob ich diese Inhalte auch auf den PC bringen kann, einfach nur weil ich keine Zeit hatte, das für mich selbst rauszufinden”, sagt Byrne. „Und… natürlich werde ich deswegen fertig gemacht. Ich kriege viele unangenehme Nachrichten und nehme das wirklich persönlich. Jede Nachricht, die mir sagt: ‘Ich bin wirklich enttäuscht’, ‘was ist das für ein Scheiß’, — dieses ganze Zeug. Ich habe das Gefühl, das ich jemanden verärgert habe, dass ich sie irgendwie abgezogen habe. Ich war stets bemüht, niemanden zu verärgern!“, Byrne lacht. „Und ich bin so oft daran gescheitert. Bei jedem Release gibt es irgendwelche Beschwerden.“
Warum dann der ganze Stress? Warum ist Lone Survivor das Spiel, zu dem Byrne immer wieder zurückkehrt, das er nicht loslassen kann? „Ich hätte auch nichts machen können, klar. Es einfach veröffentlichen, genauso wie es ist. Ich wollte aber etwas mehr für die Fans machen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich die Fans sind, an die Byrne denkt. Ein eigenes Spiel auf einer Konsole zu veröffentlichen ist ein Lebenstraum des Briten und es ist verständlich, dass man als Entwickler denkt, ein bereits ein Jahr altes Spiel bräuchte noch etwas Besonderes, um neue und alte Spieler gleichermaßen zu beeindrucken.
Bei Lone Survivor scheint es mir aber um etwas anderes zu gehen. Jasper Byrne ist verzweifelt darum bemüht, so viel wie möglich von sich in dieses Spiel zu stecken. Die neuen Monster, die fiesen neuen Umgebungen im düsteren Keller des Apartmentgebäudes, das ist alles Byrne — alles ein Teil von ihm, der in diesem Spiel ausgedrückt werden soll. Er lässt mich durch einen der neuen Level spielen. Mein Mikrofon ist aus und Byrne gibt mir einen Hinweis auf die Bedeutung des Spiels. Wenige Sekunden später bittet er mich, das Geheimnis niemandem zu verraten. Schon einmal soll ihm ein Spieler auf die Schliche gekommen sein mit einer erschreckend präzisen Interpretation des Spiels. Er bat ihn, den Text wieder offline zu nehmen. Aber wenn es so geheim ist, warum verrät er mir dann die Geheimnisse des Spiels?
Byrnes Spiele sind so spannend, weil sie gleichzeitig versuchen, eine Verbindung mit anderen Menschen herzustellen und sie so fern wie möglich zu halten. Wer würde schließlich darauf kommen, dass jede Essensvorliebe in Lone Survivor nach Byrnes eigenem Geschmack gestaltet ist, oder dass es exzellent als eine Allegorie über den irrsinnigen Entstehungsprozess dieses Spiel funktioniert. Selbst im nächsten Projekt, NewGame+, steckt enorm viel von ihm. Die pixeligen Fantasy-Helden, die durch die Dark und Demon’s Souls-Hommage streifen, sollen nie sichtbare Zahlenwerte für Charakterwerte bekommen. Stattdessen soll das Spiel nur vage Angaben machen wie “Luxor fühlt sich belebt”. Die Inspiration dafür ist Mike Singletons Strategierollenspiel Lords of Midnight. „Es ist das einzige Spiel, das mein Vater je gespielt hat. Er war total davon besessen!“
Mit der heutigen Veröffentlichung von Lone Survivor für Playstation 3 und Vita kann Jasper Byrne vielleicht endlich abschließen mit einem Spiel, in das er inzwischen fünf Jahre seines Lebens investiert hat. Ich zweifel stark daran, dass er je davon wegkommt, Spiele über sich selbst zu machen, und dass es je leichter für ihn werden wird. Aber ich würde lügen, würde ich nicht sagen, dass ich nicht unglaublich dankbar dafür bin.