Re: Tiny Tower
Mit Tiny Tower (iTunes-Direktlink) schuf die App-Schmiede NimbleBit einen schrecklich-schönen Hit für iPhone und iPad. Laut der Seite TouchAcade wandere das Spiel bereits weit über eine Million Mal durch die Internetzleitung auf iOS-Systeme.
“Over 18 million sessions have been played with an average length of 9.3 minutes. In all, players have played just under 320 years of Tiny Tower.”
Inzwischen dürften es deutlich höhere Zahlen sein. Auch ich gehörte zu den Spielern, doch soeben löschte ich die App von meinem iPhone und im Zuge dessen möchte ich ein paar Gedanken mit euch teilen. Die Ungeduldigen unter euch dürfen sich mit folgender symbolischen, komprimierten Motivationskurve begnügen und den Rest des Artikels ignorieren: ∩
Machen wir uns nichts vor — jeder Mensch ist anfällig für Süchte. Ich persönlich machte damit Bekanntschaft, als ich kurz nach der Veröffentlichung von World of Warcraft für den Zeitraum von knapp einem Jahr der virtuellen Welt von Blizzard verfiel. Das änderte alles. Zum Schlechten, auch wenn ich es im Rausch der Raids und digitalen Schulterklopfer nur selten eingestand. In einem Moment geistiger Klarheit zog ich den Stecker und seitdem mache ich konsequent einen weiten Bogen um Spiele, die gezielt den Jäger und Sammler im Menschen erwecken. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich nicht aktiv mit Farmville, Minecraft und sonstigen Endlosgeschichten beschäftige.
Die Grenze zwischen “Ich spiele ein Spiel” und “Das Spiel spielt mit mir” ist gerade bei diesem Genre hauchdünn und ehe man sich versieht, steckt man bis zum Hals in einem Sumpf aus irrelevanten Micro-Verpflichtungen. Die Suche nach kurzweiliger Zerstreuung und Bestätigung führt unter Umständen zur phasenweisen Abschaltung des Verstands.
“Tiny Tower” greift das Prinzip von FarmVille auf, kommt aber deutlich charmanter daher und ist im Gegensatz zum großen Bruder noch relativ unbelastet. Es gilt Stockwerk für Stockwerk einen Wolkenkratzer zu errichten, Wohneinheiten und Geschäfte mit Leben und die Kasse mit Coins zu füllen. Damit die Spirale in Bewegung bleibt, sind stetige Mini-Handlungen vonseiten des Spielers vonnöten. In 3 Minuten können die Erdnüsse in der Bar bestellt, in 30 Minuten die Sandalen in der Boutique ausgepackt und in 3 Stunden die Wohnung im 51. Stock bezogen werden. Auch wenn das Spiel im Hintergrund weiterläuft und Bewegung suggeriert, bedeutet das unter dem Strich: Ruht der Spieler, ruht das Spiel. Die Formel für den “Erfolg” des Spielers findet sich nicht im strategischen Können, der Weitsicht oder einer Führungsqualität. Nein, prinzipiell könnte ein Schimpanse “Tiny Tower” meistern, sofern es einen kompatiblen Anreiz gäbe.
Sobald eine gewisse Grenze überschritten wurde, sorgt der Spieltrieb gegebenenfalls für einen weiteren Stressfaktor, schön verpackt in kaugummifarbene Pixel und Metahumor, für den man die Entwickler in manch einsamer Stunde herzlich umarmen könnte. Ja, wirklich, NimbleBit zeigt sehr viel Liebe zum Detail und ich nehme den Jungs ihre Passion für den Pixel bedenkenlos ab. Und allein schon deswegen war ich bereit, kurzerhand EUR 3,99 für einen In-App-Kauf springen zu lassen. Die Rechnung geht auf. Für wen auch immer.
Nun ist “Tiny Tower” nicht Hitler, ihr schon groß und ich ein bekennender Freund der Theatralik — deswegen solltet ihr meine Worte nicht auf die Goldwaage legen. Dennoch rate ich zur Vorsicht und lege euch nahe, an diesen Artikel zu denken, wenn ihr verdächtig häufig am Tage auf Knopfdruck reagiert. Womöglich spielt dann nämlich jemand mit euch.