Shadowgate: Ein Remake, sie zu knechten!

1994

Shadowgate. Die schicke Packung aus schwerem Karton und mit glatt-glänzender Oberfläche ist keine der üblichen Low-Budget-Neuauflagen in garstig grau-buntem Ramsch-Look und sticht gerade deshalb unter ihnen so hervor, leuchtet geradezu. Es ist das originale Release, das wohl etwa ein Jahr zuvor auf den Markt kam und verspricht hochauflösende SVGA-Grafik unter Windows 3.1. Ein tolles, stimmungsvolles Fantasy-Abenteuer mit Point’n’Click-Interface in der “lebenden Festung” Shadowgate. Als Held gefeiert werden oder in der Finsternis des Vergessens verloren sein – als stolzer Bezwinger des Hexenmeisters vom Flammenden Berg ist es nur gut und richtig, nun auch den Bewohnern von Kal Zathynn zur Hilfe zu eilen.

Shadowgate 1993

Zwanzig Mark später stelle ich fest, dass die angepriesene SVGA-Grafik je nach Raum vielleicht ein Viertel des Bildschirms ausfüllt und vor allem aus Standbildern besteht, alle andere Fenster wie Inventar oder Verben-Leiste fliegen irgendwo auf dem Bildschirm umher und können sogar frei platziert werden. Zusätzlich ist im Hintergrund der Desktop sichtbar. Auch ansonsten wirkt das Spiel eigenartig umständlich, geradezu unhandlich. Kurzum: mir wird klar das meine Annahme hier einen Dungeon Crawler im Stil von Eye of the Beholder zu bekommen sehr weit daneben liegt. Shadowgate entpuppt sich stattdessen als Text-Adventure mit “Point & Click”-Steuerung. Statt Parser darf man allerdings direkt in den spärlich animierten Grafiken rumklicken und Verben mit Gegenständen kombinieren. Bevor mir jedoch wirklich bewusst wird, dass ich Streitaxt-Action und wundgeklickte Finger vergessen kann, bin ich bereits tot.

Ob ich mittels “GO”-Befehl in die Grube des zweiten Raumes gestürzt bin oder zuerst meine Fackel ausging weiß ich nicht mehr. Sehr wohl aber, dass ich dieser Prozess einige Male wiederholt und ich recht schnell meinen zwanzig Mark hinterhertrauere – sonderlich beeindruckend sind meine Taten nicht. Um beispielsweise den für das weitere Vorankommen notwendigen Hammer aus dem Drachenverlies zu holen, bedarf es genau zwei Aktionen. Zuerst greife ich das auf dem Boden liegende Schild (jede andere Aktion hätte zum sofortigen Tod geführt), woraufhin der Drache seinen Feuerodem entfacht, den ich nur entsprechend gerüstet überlebe. Im zweiten Schritt greife ich nun den Hammer und verlasse den Raum. That’s it! Den Hammer selbst benötige ich an anderen Stellen im Spiel um Wände zu durchbrechen, Spiegel einzuschlagen und das legendäre Platinhorn freizulegen.

Nur wenige Rätsel verlangen aufwändigere Aktionen, die wirkliche Schwierigkeit von Shadowgate liegt darin rauszubekommen was das Spiel überhaupt von mir möchte und welche Gegenstände wo gebraucht werden. Hier bahnt sich also eine Trial & Error-Orgie an, die eine andere Philosophie fährt, als meine geliebten LucasArts-Adventures. Jene Perlen, die eine Tugend daraus machten, auch ungewöhnliche und verquere Dinge ausprobieren zu lassen und diesen Forscherdrang auch noch zu belohnen. Der Warlock “Lord Talimar” ist halt ein verbitterter, alter Mann und hält nichts von diesem neumodischen Schnickschnack.

Shadowgate

2014

Zeitsprung. Shadowgate, das alte Adventure-Spielchen von ICOM Simulations, ist wieder da. Zurückgeholt aus dem Abgrund des Gesterns, heraufbeschworen durch eine Schar Zahlungswilliger, die den Jungs von Zojoi via Kickstarter die notwendigen Goldmünzen zukommen ließen, verzaubert es mich wieder mit den Versprechungen eines fantastischen Abenteuers. Gestählt durch meine blutigen Abenteuer in Lordran und Drangleic wird es mir nun ja wohl ein Leichtes sein, ein zwanzig Jahre altes Point’n’Click-Adventure zu lösen. Und guck mal an, es kostet zwanzig Euro.

DIE GÖTTER GEBEN MIR EIN ZEICHEN!

Gleich zu Beginn des Spiels fällt die starke Verherrderringlichung auf. War das Original ein kauziges Stück Sword & Sorcery im Stile des grauen Mauslings, dreht das Remake den EPISCH!-Regler erst einmal ordentlich auf. Die Festung ist gigantisch, schon die Reise dort hin gespickt mit monströsen Kreaturen, die in der Dunkelheit lauern und ein stimmungsvoller Fantasy-Soundtrack lässt mich bereits gedanklich Band-Shirt gegen Kettenhemd tauschen. Die Optik erinnert mit schnellem Strich und wenig Details eher an Concept Art, schafft es aber gut, die visuelle Seite des Spiels an moderne Fantasy anzugleichen. Wer kitschigen Achtziger Jahre “Dungeons & Dragons”-Flair sucht, wird enttäuscht.

Die ersten Neuerungen fallen direkt auf, Schwierigkeitswahl und Tutorials in Form des sprechenden Schädels Yorrick (hier bitte müdes Lächeln einfügen). So casualisiert sollte dem Sieg über Lord Talimar nun wirklich nichts mehr im Weg stehen. Ansonsten hat sich wenig getan. Auch Shadowgate 2014 ist im Kern noch immer Shadowgate — und dementsprechend Spieldesign von 1987. Zwar komme ich auf Anhieb einige Räume weit, erkenne sie sogar wieder und kann mich an diverse Puzzles erinnern – aber so richtig will der Funke nicht überspringen. Alles, was damals frustriert hat, ist – wenn auch teilweise abgeschwächt – noch immer vorhanden. Das mag Puristen erfreuen, und davon scheint es einige zu geben, aber ob Shadowgate viele neue Fans anziehen wird, ist fraglich.

Was stört mich? Nun, die Fackelmechanik ist damals wie heute einfach nur nervig. Es muss konstant dafür gesorgt werden, dass das Licht nicht erlischt, ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit, von einem Grue gefressen zu werden sehr hoch. Daraus ergeben sich wiederum zwei Probleme. Zum einen hat man den unmittelbaren Zeitdruck – die Fackel erlischt irgendwann und muss rechtzeitig getauscht werden (dies wird nun wenigstens durch dramatische Musik angekündigt, und erspart somit das ständige Überprüfen mittels “LOOK”-Befehl). Zum anderen gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Fackeln in Shadowgate. Wer bei einem Rätsel nicht weiterkommt, verringert erheblich seine Chancen, überhaupt in die finalen Räume vorzudringen. Hier hätte ich mir doch ein optionales Feature gewünscht, unbegrenzt Zeit zur Verfügung zu haben, denn Shadowgate ist verdammt groß und bietet viel zum anklicken, überprüfen, lesen und sterben. Der Zeitdruck durch die Fackel ist unnötig, und heutzutage auch nicht mehr zeitgemäß.

Dann haben wir die unendlichen Tode in Kombination mit gar keinen oder nur kryptischen Hinweisen. Shadowgate 2014 hat eine Trial & Error-Komponente, wie sie Spiele heutzutage (aus gutem Grund) nicht mehr bieten. Am Anfang des Spiels einen wichtigen Gegenstand nicht aufgenommen oder irgendwas kaputt gemacht? Mach nochmal. Beim Rumprobieren gestorben? Mach nochmal. Verflucht worden und das gar nicht bemerkt? Mach nochmal. Das Spiel bietet zwar eine Art Auto-Save kurz vor dem Tod (auch in der höchsten Schwierigkeitsstufe), dennoch ist es häufig sinnvoller, eher von vorne zu beginnen. Das sorgt natürlich dafür, dass gerade der Beginn des Spiels nach kurzer Zeit nervtötend wird. Auch welche Taten was für Auswirkungen haben, wird nicht immer ersichtlich, was wiederum für viel Backtracking sorgt.

Dank fehlendem Schnellreisen gibt es natürlich auch die volle Ladung unnötige Klickerei. Die immer sichtbare Karte ist ein Punkt, der bereits unter Window 3.1 besser gelöst war und die Orientierung und Navigation erleichterte. Denn, und ich erwähnte es bereits, das Spiel ist ziemlich groß und es gibt eine Unmenge oft auch vollkommen nutzloser Gegenstände. Durch Rätsel, die in ganz anderen Räumen Dinge bewerkstelligen, kommt man nicht umhin, sich früher oder später Notizen zu machen. Und diese Notizen darf man natürlich weiterpflegen und ergänzen, sollte man bemerken, dass etwas zwar möglich ist, aber vielleicht Wege versperrt. Es ist löblich, dass Shadowgate mehrere Ansätze bietet, Räume zu lösen und es dementsprechend auch möglich ist, diverse Stellen im Spiel auszulassen – aber bis man darüber einen Überblick hat, vergeht viel Zeit. Auch hier hätte ich mir etwas mehr Überarbeitung im Design gewünscht, die “Hinweise” von Yorrick ergaben für mich meistens erst Sinn, nachdem ich wusste, was zu tun ist – Finde Lakmir bringt mich ohne weitere Anhaltspunkte eben nicht unbedingt weiter.

Shadowgate

Das Remake ergänzt die alten Probleme von Shadowgate leider auch noch um den Faktor der Unübersichtlichkeit. So manches wichtige Item habe ich nur durch Zufall als solches wahrgenommen, was dem teilweise groben Grafikstil geschuldet ist. Die alten Versionen waren tatsächlich deutlicher gestaltet. Auch gibt es keine Option, sich den Rauminhalt beschreiben zu lassen, wie man es von Text-Adventures kennt. Das Interface an sich ist bestenfalls umständlich, hier hätte eine Entschlackung der Verben gut getan. Das Inventar nebst Zaubersprüchen in separate Fenster auszulagern, halte ich sogar für eine glatte Fehlentscheidung und einen Rückschritt zum alten UI. Sicherlich ein Kompromiss für ein Tablet-Release, doch trägt das Rumgefuchtel in den verschiedenen Fenstern nicht gerade zum Spielfluß oder der Atmosphäre bei? Was nützt die schönste Grafik, wenn sie die Hälfte der Zeit verdeckt ist?

Nun kann natürlich jeder selbst entscheiden, inwiefern eine latente Unfairness, undurchsichtiges Puzzle-Design und ein stümperhaftes Interface ein K.O.-Kriterium sind — oder eher eine Herausforderung. Shadowgate ist auf jeden Fall ein atmosphärisches Spielchen. Die allgegenwärtige Kryptik ist gleichermaßen Flowkiller wie grundlegender Baustein für den Charme des Spiels. Die Stimmung einer gediegenen Runde Pen & Paper wird durchaus erreicht, während man durch dieses unheimliche Zauberschloss stolpert. Ich behaupte aber, dass letztlich nur sehr geduldige Spieler bis zum Ende dabei bleiben. Die notwendige Frustresistenz und Toleranz für das im Grunde archaische Spieldesign mitzubringen, ist hier das Zünglein an der Waage. Ob gute Musik, grobe Optik mit spärlichen Animationen und relativ dünne Fantasy-Handlung aber ausreichen, um Nicht-Fanboys von Shadowgate zu überzeugen, darf bezweifelt werden.

Für den geneigten Fan würde ich die Shadowgate-Erfahrung als intakt bezeichnen, die Chiptunes vom NES und alte Überblend-Effekte können auf Wunsch zugeschaltet werden. Ein netter, aber stilistisch vollkommen unpassender Gag – eventuell sehen wir aber noch “echte” Retrografik. Ansonsten sind ein paar Räume und Puzzles verändert worden, wodurch auch Experten einen Grund haben, einmal mehr in die “Lebende Festung” hinabzusteigen.

Shadowgate

Für mich selbst ist das Remake eine vergebene Chance, ein atmosphärisch dichtes Spiel von den Ketten seines Uralt-Designs zu befreien und spielbarer zu gestalten. Wenn ich zwischen Shadowgate 2014 und den alten Legend-Entertainment-Titeln Death Gate und Shannara wählen müsste, so würde ich mich doch glatt für letztere entscheiden. Beide hatten knapp zehn Jahre nach dem originalen Shadowgate das Spielprinzip perfektioniert und waren unglaublich unterhaltsam. Eine Eigenschaft, die ich Shadowgate nur bedingt zuschreiben würde. Allzu bald muss ich jedenfalls nicht nach Kal Zathynn zurückkehren, auch wenn mich noch jede Menge Achievements zu einem mehrmaligen Durchspielen animieren wollen. Mein Bedarf an neu aufgelegten Billo-Todesfallen aus Kindertagen ist gedeckt.


Es handelt sich hierbei um einen Gastartikel von Maik „Aulbath“ Wiechmann. Er bloggt für Shodannews und twittert unter dem Pseudonym @InsertDiskII.