Sie zu suchen, kann eine Qual sein.
Da helfen nur Drogen.
Von alten Giraffen.
Als ich noch Student war, hatte ich mit einem Mitbewohner mal eine küchenphilosophische Diskussion über die Frage, ob wir einige unserer Erinnerungen löschen oder durch andere austauschen würden, wenn wir könnten. Ich tendierte zu einem Nein, weil ich, abgesehen von den üblichen Schicksals- und Rückschlägen, keine wirklich schlimmen Dramen erlebt habe, von denen ich behaupten könnte, sie hätten mir mein Leben versaut. Er war da anderer Meinung. Aus Gründen, die ich nicht kenne. Wir kamen aber überein, dass es bei Erinnerungsmodifikationen ganz wichtig ist, Leute um sich zu haben, die darauf achten, niemals zu erzählen, dass es da mal Erinnerungen gab, die jetzt nicht mehr da sind. Dann nämlich wäre die Neugierde groß und kaum jemand könnte sich davon frei machen, nach den verlorenen Erinnerungen zu suchen.
Um ebendieses Phänomen geht es im Point-and-Click-Adventure Void and Meddler – zumindest habe ich das episodische Spiel verstanden, von dem gerade die erste Episode erhältlich ist. Es basiert lose auf einem Beitrag zum Point and Click Jam. Mit dieser Vorlage gemein hat es eine dystopische Cyberpunk-Welt, in der Erinnerungen eine Ware sind, die wie Drogen verscherbelt werden und in der sich Geschlechter und sogar Spezies auf seltsame Art und Weise ineinander verschmolzen haben. Es ist ein esoterischer Alptraum: Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Protagonistin Fyn trifft auf ihrem Weg durch die in bunten Farben erleuchtete britische Hauptstadt Katzenmenschen, Cyborgs und alternde Giraffen – stets auf der Suche nach Erinnerungen und ohne zu wissen, was sie eigentlich sucht.
Eines der Probleme des Spiels ist, dass Fyn kein allzu guter Mensch ist. Sie schert sich einen Dreck um das Leben ihrer Mitmenschen und wenn sie über Leichen gehen muss, ist das für sie kein Problem – auch bei niedrigen Beweggründen nicht. Das wiederum ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Fyn eigentlich eine Psychopathin ist, was sich gut begründen lässt: Denn wenn Erinnerungen auslösch- und austauschbar sind und Fyn mit ihrem schlechten Gewissen daher gar nicht leben muss, gibt es für sie auch keinen Grund, zu irgendjemandem nett zu sein. Sie ist nun wirklich keine Altruistin.
Dumm nur, dass dieser Umstand dafür sorgt, dass der Spieler sich nicht allzu gut mit Fyn identifizieren kann. Sie mault ja nicht nur die anderen Figuren im Spiel an, sie ist auch schnoddrig und unfreundlich zur Person vor dem Bildschirm. Wenn andere Spielfiguren Gegenstände im Adventure nur dann nicht aufheben wollen, wenn sie gefährlich für sie wären, hat Fyn einfach manchmal keine Lust darauf. Das frustriert natürlich, weil es doch schön wäre, wenn der Spieler sich darauf konzentrieren könnte, die Rätsel des Adventures zu lösen, nicht darauf, herauszufinden, was der Protagonistin gefällt und was nicht. Spritzen oder Medikamente – das sind Dinge, die in Adventures nützlich sein können, aber die Gute hat einfach keine Lust, sie in ihren Taschen zu haben. Manchmal wirkt Fyn wie ein schwer erziehbares Emo-Mädchen, das auf nichts Lust hat, weil die Welt um sie herum so furchtbar böse ist.
Schön allerdings, dass das Spiel zu großen Teilen von seiner Atmosphäre lebt. Entwickler Mi-Clos Studio postuliert mit Void and Meddler ein so hell leuchtendes wie verdorbenes London, in dem es scheinbar keine Ordnung mehr gibt. Es blinkt an allen Ecken, wirklich Tag wird es nicht. Pink und Schwarz dominieren, so als käme jeden Moment Bret Hart um die Ecke und würde einer der Giraffenfrauen seine Brille schenken. Ein bisschen wahnsinnig macht Void and Meddler schon. Nach einer halben Stunde lümmelte ich gelangweilt vor dem Monitor, klickte mich von Bildschirm zu Bildschirm und neigte dazu, Nirvana zu rezitieren. Fyn färbt ab.
Die zweite Episode von Void and Meddler soll erst Ende nächsten Jahres erscheinen. Bis dahin bleiben diverse Fragezeichen. Es ist nicht klar, wer Fyn eigentlich ist und was genau sie sucht. Das Spiel beschreibt sein Szenario voller Leidenschaft und passender Elektro-Musik, vergisst aber, Zusammenhänge und Hintergründe zu beleuchten. So ist Void and Meddler, zumindest in seiner ersten Episode, ein bloßes in medias res – nur ohne medias. Der Spieler wird mitten in eine Handlung geworfen, deren Hintergründe bis zum Ende der Episode nicht klar werden. Für kommende Episoden ist da viel Luft nach oben.