The Unfinished Swan
Das Teaser-Video der E3 von The Unfinished Swan dürfte neben dem Dead Island-Trailer eines der wohl bekanntesten Spiele-Ankündigungsvideos der letzten paar Jahre sein. Dem Spiel hat dieses Video so einiges an Aufsehen und Vorschusslorbeeren eingebracht. Der Trailer, in dem man die ersten Minuten des Spiels erlebt, faszinierte mich von der ersten Sekunde an. Das dort gezeigte Spielprinzip ist so simpel wie erfrischend: Aus der Ego-Perspektive steht man in einem komplett weißen Raum. Ohne eine einzige Orientierungsmöglichkeit, ohne Schattenwurf – komplett weiß. Erst durch das Werfen von schwarzen Farbbällen, die beim Aufprall auf ein Hindernis zerplatzen und pechschwarze Farbkleckse hinterlassen, gewinnt der Raum an Tiefe. Durch die damit gewonnene visuelle Information ist sofort eine Orientierung im Raum möglich, selbst wenn man das getroffene Objekt stets nur fragmentarisch erkennt. Eine geniale Idee. Und wie so oft bei den richtig guten Ideen fragt man sich, warum auf dieses Prinzip noch niemand früher gekommen ist. Ganz, ganz wunderbar:
Ich wollte dem Spieler dieses Videos sofort und auf der Stelle den Controller entreißen. Ich wollte selber klecksen und erleben, wie sich das anfühlt, sich in dieser schwarz/weißen Welt zu orientieren. Und vor allem wollte ich wissen: Wie schafft es Giant Sparrow, aus diesem einfachen Prinzip ein über Stunden tragendes Spiel zu kreieren? Ist das möglich?
Das Spiel ist nun fertig und wie aus den Trailern erwartet, starte ich nach einem kleinen Story-Intro in dem besagtem weißen Raum. Natürlich werfe ich sofort mit den schwarzen Farbbällen um mich und ja: diese ersten 20 Minuten sind im eigenen Erleben sogar noch faszinierender, als ich es auf Grund des Videos erwartet hatte.
Vorsichtig taste ich mich Ball für Ball durch den Raum und entdecke einen Gang aufgrund einer scharfen Kante, die den Farbball entzweit. Kurz darauf fliegt der Ball durch die löchrige Lehne einer Parkbank und auch ein Frosch hüpft wenige Momente später bedröppelt und vollgekleckert in das für mich bis dahin unsichtbar gewesene Wasser.
Es ist schwer zu vergleichen und unmöglich abzuschätzen, wenn man gesunde Augen hat und sehen kann. Aber so stelle ich es mir vor, wie es sich anfühlen muss, als nicht-sehender Mensch einen Raum zu ertasten. Wenn sich Stück für Stück Umrisse und Kanten zu einem Gesamtbild zusammenfügen und die eigene Erfahrung und Abstraktion die weißen, unbekannten Stellen dazwischen auffüllen. Ich bin fasziniert und voller Liebe für dieses Medium, dass mir solch ungewohnte und neue Erfahrungen zu geben vermag.
So einzigartig der Start in das Spiel auch ist, die Geschichte um den kleinen Königssohn, der auszog, den aus dem Gemälde seiner verstorbenen Mutter entstiegenen Schwan zu finden, berührt mich bis zum Ende dagegen überhaupt nicht und wird für mein Empfinden viel zu schwammig und ohne richtigen Faden erzählt. The Unfinished Swan hängt hier genau zwischen Journey und Papo y Yo und verebbt leider im Vergleich zu den beiden Spielen kläglich. Journey gibt dem Spieler noch viel, viel weniger an die Hand und eröffnet damit unzählige eigene Interpretationsmöglichkeiten, während Papo y Yo eine sehr direkte biographische Geschichte erzählt, die als Reflexionsfläche dient. The Unfinished Swan kann sich zwischen diesen beiden Polen nicht entscheiden und verläuft sich leider in nichtssagenden schwurbeligen Metaphern und völlig austauschbaren Bildern.
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass The Unfinished Swan seinem Namen leider etwas zu gerecht wird: Das Spiel fühlt sich an wie das namensgebende, unvollständige Gemälde seiner eigenen Geschichte. Die spielerischen Ideen, die der im Trailer gezeigten Hauptmechanik folgen, sind zwar durchaus charmant, aber können das große Versprechen des Trailers nicht konsequent aufrecht erhalten. Dennoch: Sony hat mit dem Einkauf der Köpfe von Giant Sparrow ein paar sehr kreative Konzepte und eine hoffentlich noch lange weiter sprudelnde Quelle an Ideen eingekauft. Ich bin froh, dass es große Studios und Publisher gibt, die diese kleinen Perlen finden und fördern. Ich glaube, dass The Unfinished Swan in einigen Jahren als die Geburtsstunde eines großartigen Spieles gelten wird, ähnlich wie Narbacular Drop sie für Portal war.