The Wolf Among Us
Der größte Unterschied zwischen der ersten Episode von Telltales neuem Adventure The Wolf Among Us und dem Comicbuch Fables, auf dem es basiert, ist einfach: Fables hält seine Leser für dumm. The Wolf Among Us nicht.
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Im Gegensatz zum Comic versteht The Wolf Among Us, wie man eine fiktive Welt aufbaut. Fables, ein Comic über Märchenfiguren, die als verarmte Expats im modernen New York leben, steckt irgendwo zwischen DreamWorks Shrek und Neil Gaimans Pop-Interpretation der Literatur des Magical Realism, setzt die Einflüsse aber so elegant um, wie ein besoffener Oger im Lebkuchenhaus.
“Na, in letzter Zeit auf irgendwelche Bohnenstangen geklettert, Jack?” begrüßt Held und Sheriff Bigby Wolf die britische Märchenfigur. Einige Seiten später spricht Schneewittchen Klartext: “Unser Bürgermeister wird sich Eure Sorgen anhören, aber sobald Ihr aus der Tür raus seid, dann wird er mich fragen, was zu tun ist. Er schmeißt die Zeremonien, ich halte unsere kleine Community am Leben.” Nichts bleibt ungesagt im ersten Fables-Buch, nichts wird einem etwas zu langen Schweigen überlassen, einem Blick, einem Seufzen, einem kryptischen Insider-Witz. Schneewittchens wütende Reaktion darauf, wenn die Sieben Zwerge erwähnt werden, bekommt ein augenzwinkerndes “Sprecht sie bloß nicht DARAUF an!” Fables, das Comicbuch, ist wie ein schummriges, kleines Café in der Altstadt, auf das ein Flutlicht gerichtet wurde.
The Wolf Among Us macht all das nicht. Im wahrscheinlich besten Moment der Episode schlurft Wolf durch seine ranzige Wohnung, durchsucht den leeren Kühlschrank — und findet dann ein schlafendes Schwein auf seinem Sessel. The Wolf Among Us unterbricht das Spielgeschehen nicht, Wolf hat keinen witzigen Spruch auf den Lippen, das Spiel läuft weiter wie bisher, das Schwein bleibt auf dem Lieblingssessel, als wäre das etwas Alltägliches. Dass das Schwein Colin heißt, eines der drei Schweinchen ist und ständig bei Wolf pennt, wird erst nach und nach in einem Gespräch verraten, das so klingt, als würden sich zwei alte Freunde unterhalten — keine Spielfiguren, die die Geschichte vorantreiben sollen.
Mit simplen Mitteln lässt Telltale so die Welt von Fables wahnsinnig detailliert wirken. Vieles bleibt ungesagt, Konzepte werden nicht erklärt, Figuren nicht mit Namen angesprochen. Spieler haben so Raum, sich selbst Gedanken zu machen. Wer erhöht die Preise für die Glamour-Zaubersprüche, die monströse Sagengestalten menschlich wirken lassen? Welche alten Feindschaften aus dem Märchenreich wurden nach New York gebracht? The Wolf Among Us macht das so clever, dass es völlig egal ist, dass Telltale hier das Konzept von The Walking Dead wiederholt. Es ist wieder ein interaktiver Film, ein Adventure ohne Rätsel — aber mit Dialogen, die Spielern “Entscheidungen” abverlangen, die sich höchstwahrscheinlich wenig auf den Fortgang der Geschichte auswirken werden, jedoch den persönlichen Umgang mit ihr beeinflussen. Es gibt schicke Action-Sequenzen, in denen gelegentlich Knöpfe gedrückt werden müssen, die auf dem Bildschirm aufblinken. Das ist weder neu noch spannend.
Was The Wolf Among Us zu Telltales Glanzstück macht ist, wie es mit der Spielwelt umgeht, wie es erzählt. Bei The Walking Dead war mir die Welt egal — es ist halt die Zombie-Apokalpyse, da ist alles durchdekliniert — aber die Struktur des Spiels und die Charaktere fand ich hochspannend. Bei The Wolf Among Us ist mir die Struktur egal — es ist eben Telltale, da ist alles durchdekliniert — aber die Art wie mir die Welt gezeigt wird, will mich nicht loslassen. Sie übertrifft die eigene Vorlage.