XCOM raus, du bist umzingelt!
Ich glaube, ich würde mich mit den Entwicklern des erfolgreich auf Kickstarter finanzierten Hard West gut verstehen, denn wir haben so viele gemeinsame Interessen. Rundenbasierte Taktikspiele waren das Genre, welches mir zuerst vor Augen führte, dass ich diesem Hobby vielleicht doch deutlicher verfallen war als ich dachte. Der Wilde Westen ist seit jeher mein Lieblingsspielesetting, und es schmerzt mich ungemein, dass die wenigen Settingnutzer größtenteils Shooter sind (was ja zugegebenermaßen recht naheliegend ist). Garniert man das ganze noch mit einer Prise Übernatürlichkeit, rutscht man angenehm nahe an Deadlands heran, mein Lieblings-Pen-&-Paper-Rollenspiel auf der ganzen Welt. Sie setzen sogar noch die fruchtige Kirsche auf diesen “Wie für dich gemacht, Hendrik”-Kuchen, indem sie einen der spielbaren Charaktere nach meiner Lieblingsoldschoolspielewebsite benannten. Wie könnte ich dieses Spiel nicht lieben? Offenkundig, indem ich es spiele.
Die Geschichte um einen jungen Draufgänger, der im Augenblick seines Todes seine Seele dem Teufel verspricht, um danach mit dämonischen Kräften vom Tode aufzuerstehen, hat Potential und wird zudem von einer Reihe weiterer Randgeschichten mit anderen Hauptfiguren umringt. Das Problem ist aber, dass man keine dieser Figuren wirklich kennenlernt, da das gesamte Geschehen vom Tod erzählt wird, der ja gemeinhin nicht zu Gefühlsduseligkeit neigt. Eine in der zweiten Person erzählte Geschichte funktioniert nicht, wenn “die Liebe meines Lebens” nur der Name einer meiner Spielfiguren ist, ohne nennenswerte spielmechanische Unterschiede, ohne Charakter. Mit dem Spannungsaufbau einer IKEA-Bauanleitung verkommt die Schilderung der Abenteuer meiner Antihelden zu wegklickbarem Beiwerk mit ab und an ganz hübschen Zeichnungen. Aber wen interessiert schon die Story, nicht wahr? Hauptsache, die Spielmechaniken sind super!
Sind sie aber dooferweise nicht. Schon das erste Szenario stieß mich nach dramatischem Anfangstutorial mit Mudderns Kopf inner Kiste und rachenehmendem Vadder auf ein karges Spielbrett, auf dem ich eine Rinderschädelspielfigur auf verschiedene Minenfelder ziehen darf, um da Gold abzubauen, das ich investieren kann, um besser im Goldabbauen zu werden, um… Hm, irgendwie war ich in einem Free-to-Play-Titel gelandet? Gut, irgendwann darf man dann auch mal schießen, und in den anderen Szenarien wird geforscht oder gebrandschatzt statt gegoldgräbert, aber dieses seltsam lustlose Spielsteinverrücken, nur um Upgrades und Extrawaffen zu kaufen, die jetzt spielerisch nicht so richtig einen dollen Unterschied machen, war nicht das, was ich mir von Hard West erhofft hatte. Aber was soll’s, solange der Kern, die taktischen Shootouts, das Herz zum Springen bringen, nicht wahr?
Lieber, bis zuletzt optimistischer Leser: Du musst jetzt stark sein. Optisch erinnert das Ganze stark an XCOM: Halbe und volle Deckung, zwei Aktionspunkte pro Nase, verschiedene Höhenlevel. Das Beste an Hard Wests Spielsystem ist sicherlich die Glücksmechanik: Wenn ein Schurke auf dich schießt (oder andersrum), verfehlt er (sofern es keine 100% Trefferchance gab), aber du verlierst soviel Glück, wie seine Trefferwahrscheinlichkeit war. Je öfter man also beschossen wird, umso eher wird man getroffen – sobald dies passiert, steigt das eigene Glück wieder an, und das Spiel beginnt von Neuem. Da kaum eine Figur mehr als zwei gute Treffer aushält, ist diese Mechanik ein cleveres Eingeständnis an die Spielbarkeit, ohne die todbringende Durchschlagskraft der Schusswaffen abzuschwächen.
Glück wird auch für einige der Spezialeigenschaften genutzt, die die Charaktere nutzen können. Die Eigenschaften sind einem Pokerblatt zugeordnet: So man einem Charakter Fähigkeiten gibt, die ein gültiges Pokerblatt ergeben, gibt es zusätzliche Boni. Feine Idee, aber hier fängt jetzt leider das Gemecker schon wieder an. Denn so cool es auch ist, die Fähigkeiten meiner Figuren selbst zu bestimmen, macht es die eigentlichen Charaktere natürlich ziemlich austauschbar, weil sie dadurch nurmehr aus einigen wenigen Stats und einem Polygonmodell bestehen – im harten Westen waren offenbar alle sehr schweigsam, denn auf Bestätigungen oder Freudesbekundungen ob bestandener Missionen lauscht man hier vergeblich.
Normalerweise bin ich keiner, der über ludonarrative Dissonanz jammert, aber da man über viele der Fähigkeiten verfügen kann, bevor man den Pakt mit dem Teufel eingeht, kann das zu merkwürdigen Szenen führen. Also MEINER Beziehung zur Liebe meines Lebens würde es sicherlich einen Dämpfer verpassen, wenn sie sich mitten im Schusswechsel, den wir anzettelten, um sie aus dem Verlies des schurkischen Mexikaners zu befreien, am Leichnam ihres Peinigers labt. Kannibalismus mag zu dämonischen Untoten und meinetwegen zu deinem Fallout-Charakter passen, aber in diesem Fall machte mich das schon etwas stutzig.
Doch auch ansonsten werde ich mit dem Kampfsystem nicht glücklich. Das Interface will zu viel Platz auf dem Monitor und ist merkwürdig umständlich. Manchmal schießen Gegner auf mich, wenn ich an ihnen vorbeilaufe (erkennbar an einem rotem Umkreis, der aber nur erscheint, wenn man den Cursor über den Gegner bewegt), manchmal aber auch nicht. Sollte ich auch so etwas ähnliches können, wurde mir das weder in der Hilfe noch im Tutorial erzählt. Praktisch wär’s, da so Gegner einfach um die Ecke, hinter der ich mich verschanzt habe, herumrennen, um mir aus nächster Nähe ins Gesicht zu schießen. In einem Spiel, das auf Deckung und flankieren basiert, keine Option zu lassen, so etwas zu verhindern (wie etwa “Overwatch” in XCOM), erscheint mir befremdlich.
Weiterhin find ich’s ziemlich schwer zu erkennen, ob mein Gegner auch aus der Position, in die ich mich begeben will, noch Deckung hat. Oder ob ich dann in der Sonne stehe, was für einige der Eigenschaften wichtig ist. Da es kein Undo oder Schnellspeichern gibt, kann ein falscher Klick den Neustart des Levels bedeuten.
Es gibt diverse Schießeisen, aber zumindest in den ersten Szenarien stirbt das Gros der Schurken eh durch einen Schuss – dann ist es auch egal, mit welcher der zahlreichen Pistolen das geschah. Abgesehen von einigen Wurfgeschossen war’s das dann auch mit Waffen – Nahkampf oder Flitzebögen gibt es nicht.
Zugegeben: Ich hab nur die ersten beiden Szenarien durch- und das dritte angespielt. Vielleicht gibt es später noch spannende Kämpfe mit um die Wagenburg galoppierenden Indianern, von ängstlichen Bewohnern beobachtete Showdown-Duelle auf der Hauptstraße um 12 Uhr mittags oder haarsträubende Action auf dem Dach eines fahrenden Zuges. Oder vielleicht fällt wenigstens jemand tot von einem Dach in den Pferdetrog. Aber bis hierher begegneten mir stets schurkische Cowboys und -girls in statischen Missionen, die selten mehr Charme versprühten als Opas Schuppen. Auch vom übernatürlichen Element hab ich mir mehr versprochen als Upgrades und ein paar Dämonen-Desperados. Aber solange sie das hier nie lesen, können die Entwickler und ich ja vielleicht trotzdem noch Freunde werden.