Wenn die Zwillingsschwester plötzlich schwarz ist.
Na, auch genervt von den ständigen Minderheitsdebatten rund ums geliebte Hobby? Ist schwierig geworden, sich dem gänzlich zu entziehen, keine Frage. Neuerdings geht es oft um Dinge, die früher auch niemanden gekratzt haben. Da wird der Spielspaß totdiskutiert, wenn man sich auch noch um Hautfarben in einer großen Fantasywelt den Kopf zerbrechen soll. Und bei Ubisoft haben sie es nicht nur geschafft, nun also doch Frauen zu animieren, sondern müssen es direkt übertreiben, indem sie auch noch das Thema Transsexualität in eine Spielreihe einbauen, die bisher auch ganz prima ohne auskam. In einer Zeit, in der sogar bei Videospielen alles politisiert wird, was auch nur im Entferntesten zu politisieren ist, bleibt lediglich die Flucht in ein Genre, in dem man frei von solch zermürbenden Diskussionen einfach abschalten kann. Sportspiele waren vielleicht die letzte Bastion des traditionellen Gamers, bis einer von ihnen in diesem Herbst plötzlich feststellen musste, dass sein selbst erstellter Avatar in NBA 2K16 offenbar nicht von seinen leiblichen Eltern großgezogen wurde.
Moment der Erkenntnis.
Es ist schon eine kuriose Situation, dass ausgerechnet eine winzige Randnotiz in einer Basketballsimulation dazu führt, dass die ansonsten so umgarnte männlich-weiße Spielerschaft sich plötzlich nicht mehr ganz wohl in ihrer Haut fühlt. Und das vermutlich völlig unbeabsichtigt. Im von Spike Lee dirigierten Karriere-Modus der diesjährigen Ausgabe von NBA 2K trifft die eigene Spielfigur im Verlaufe ihres Strebens nach Ruhm und Reichtum auf ihre Familie, die, ungeachtet der selbstgewählten Hautfarbe, grundsätzlich einem dunklen Hauttyp entspricht. Spätestens, wenn das eigene Milchgesicht plötzlich mit dessen schwarzen Zwillingsschwester konfrontiert wird, fällt die Identifikation mit dem eigens kreierten Toptalent in sich zusammen. Auf einmal fühlt man sich fremd. Eine Erfahrung, die andere Menschen bereits zuvor machen mussten. Mit dem kleinen Unterschied, dass diese sich bei nahezu jedem Videospiel so fühlten.
Doch NBA 2K16 ist nicht das einzige Sportspiel, das in diesem Jahr mit dem gewohnten Kernpublikum bricht. Auch Fifa 16 sorgte im Vorfeld mit der Einführung von Frauenmannschaften für Irritationen, obwohl diese letztlich nur halbherzig eingebunden sind. Gerade dieser Umstand lässt erstmal auf reines Marketingkalkül schließen, mit dem Ziel, bei möglichst wenig Aufwand die größtmögliche Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Er ist nichtsdestotrotz aber auch einer politischen Entscheidung geschuldet. Wenn selbst eine Spielreihe, für die ein solcher Schritt hin zu einer vielfältigeren Repräsentation weder spielerisch noch wirtschaftlich nennenswerte Vorteile vermuten lässt, diesen dennoch geht, dann ist das sogar sehr politisch. Es ist aber auch ein Spiegelbild des realen Sports, bei dem zunehmend das Geschehen abseits des Platzes an Bedeutung gewinnt.
Nur ein Teil des Systems.
Nicht zuletzt durch den Einzug sozialer Medien sind Aspekte wie der persönliche Stil, die Haltung und der Lebenswandel eines Sportlers mindestens genauso wichtig geworden wie sein sportlicher Erfolg. Spieler wechseln nicht mehr nur aufgrund von Leistungsdaten und Talent den Verein, sondern vermehrt aus Vermarktungszwecken. Vereine wie Manchester United und Borussia Dortmund sind börsennotierte Unternehmen und so handeln sie auch. Ganz zu schweigen vom Franchise-Charakter der großen US-Ligen. Und deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass Sportspiele mit Anspruch auf Realismus diese Mechanismen aufgreifen.
Während NBA 2K eine klischeebehaftete „Vom Bordstein zur Skyline“-Fabel rund um den eigenen Avatar spinnt, spiegelt Fifa noch viel deutlicher den Marketingirrsinn und den Zustand wider, den Nationalspieler Christoph Kramer einmal leichtfertig als „modernen Menschenhandel“ umschrieb. Es ist ein anderer, ein nahezu komplett unpersönlicher, gar entmenschlichter Ansatz, den Fifa verfolgt, indem man Spieler von einem Verein zum nächsten verschiebt, immer mit dem Streben nach größtmöglicher Effizienz und Ertrag. Jede Fähigkeit, ob physisch oder mental, ist mit einem Zahlenwert versehen, während die Gesichter der Spieler auf dem Platz aussehen wie geschmolzene Fimo-Figuren. Keiner von ihnen hat auch nur den Hauch einer Persönlichkeit, sondern wird allein anhand seiner Leistungsdaten gemessen. Fifa legt in seinen beliebtesten Spielmodi somit den Fokus aufs Unternehmerische, das durchamerikanisierte NBA 2K preist hingegen den Aufstieg des Individualisten, mit einem fiktiven Twitter-Account, lustigen Hosen aus Ballonseide und hinzukaufbaren Spezialbewegungen. Dabei versuchen beide Titel gar nicht erst zu verhüllen, dass die monetäre Bereicherung und die damit einhergehende Steigerung des Ansehens ihre eigentliche Triebfeder darstellen. So ist es auch folgerichtig, dass Mikrotransaktionen längst integraler Bestandteil beider Serien sind.
Pharrell Williams erklärt, was “Synergie” bedeutet.
All diese Dinge machen deutlich, dass Sportspiele nicht erst seit diesem Jahr politische Aussagen treffen, sondern spätestens seit dem Beginn der Lizenzierung von Originalmannschaften und –spielern. Das Geld entscheidet, wer repräsentiert wird und wer nicht, wer auf dem Cover auftaucht und wessen Gesicht wenigstens halbwegs im Spiel nachgebildet wird. Mehr als jedes andere Genre haben Sportspiele den Anspruch, die Wirklichkeit abzubilden. Wenn man mit ihnen jene Profikarriere nacherleben will, für die man im echten Leben nicht das Talent oder die Disziplin hatte, ist es deshalb vielleicht noch ein wenig wichtiger sich selbst im Spiel wiederzufinden als in einem Fantasieabenteuer. Wobei ein „Black Zelda“ bestimmt auch ganz großartig wäre. Und selbst wenn man lediglich die Sportlerinnen und Sportler zum Sieg führen will, für die man auch im Stadion oder in der Halle jubelt, ist es wichtig, dass nicht ein ganzes Geschlecht von vornherein mit Abwesenheit glänzt.
Wie ernst es EA mit der Behebung dieses Missstandes meint, wird sich in den Folgejahren daran zeigen, ob tatsächlich mehr als 12 Frauenmannschaften lizenziert werden und vor allem auch eine Integration dieser in alle Spielmodi stattfindet. Oder ob sie die geringe Nutzung der Frauenmannschaften als Vorwand dafür nehmen, ein allgemeines Desinteresse an diesen Mannschaften zu attestieren. Schließlich ist das geringe Zuschauerinteresse ja auch das Hauptargument gegen Frauenfußball in der realen Welt, ungeachtet dessen völlig asymmetrischen Möglichkeiten und Voraussetzungen in Sachen Ausbildung und Vermarktung im Vergleich zum Männersport. Sicher hingegen ist, dass eine Entpolitisierung von Sportspielen in absehbarer Zukunft kaum denkbar scheint. Auch wenn manch einer erst auf seine schwarze Zwillingsschwester treffen musste, um das zu begreifen.