Eine Ode an die Genügsamkeit. Oder: Warum die Demo-CD so viel mehr war
als schnöder Service.
Exakt zwei Minuten. Mehr brauchte es vor etwa 15 Jahren nicht, um mich und meine Freunde ein gesamtes Wochenende mit zunehmend strapazierten Daumengelenken vor einen klobigen Röhrenfernseher zu fesseln. Genauer: Mehr gewährte einem die damals brandneue Demo-Version von “Tony Hawk’s Pro Skater 2” schlichtweg nicht, um den legendären Bowl de Marseille zu erkunden. Ein gravierender Unterschied, der für uns an diesem Wochenende aber kaum eine Rolle spielte. Dass eine derart ausgeprägte Genügsamkeit in Sachen Unterhaltung unmittelbar mit dem Taschengeld-Volumen des latent abgebrannten Siebtklässlers zu tun haben könnte, der man damals war – geschenkt. Doch ist das wirklich die einzige Erklärung dafür, dass die Demo-CD ihren einstigen Status als treibende Kraft eines veritablen Hypes für mich und viele andere inzwischen völlig eingebüßt hat? Zweifelhaft.
Die Demo-CD gehörte in der Prä-Breitband-Ära schlichtweg zu den wichtigsten Promotion-Werkzeugen des Videospiel-Publishers. Notorisch klammen Zeitgenossen ermöglichte diese Kultur darüber hinaus, auch ohne erwähnenswerte Kaufkraft in neue Titel hineinschauen zu können. Wer heute einen Blick auf die DVDs diverser Magazintitel wirft, findet dort vor allem Gameplay-Clips und Video-Reviews, die so schon seit Wochen im Netz kursieren. Auf haptische Datenträger gebannte Demo-Versionen sind in Zeiten der ständigen Verfügbarkeit von Videospielen und nahtlos ineinander übergehenden Sales-Zyklen zu exotischen Anachronismen geworden, die auf Ebay schon mal mit verklärenden Schlagworten wie »RARE« oder »GREAT CONDITION« angepriesen werden können. Ganz so, als würde es sich dabei um verstaubte Testpressungen von Grateful Dead oder Joy Division handeln.
Dass kaum jemand der Demo-CD nachtrauert, überrascht trotzdem nur bedingt. Dafür ist man nämlich viel zu beschäftigt. Zum Beispiel damit, den Blick mit schlechtem Gewissen über die wachsende Anzahl nie angerührter Titel in der eigenen Library schweifen zu lassen. Wer denkt da noch daran, die Trial-Version des seltsamen Retro-Puzzlers aus den hinteren Reihen des Playstation-Stores anzutesten oder gleich in die unendlichen Weiten der stetig expandierenden Free-To-Play-Kultur abzutauchen? Man geht ja schließlich auch nicht satt zu einem All-You-Can-Eat-Buffet. Dass der oft beschworene “Stack Of Shame” aber eigentlich einem Reflex geschuldet ist, den man sich aus exakt jener Offline-Ära bewahrt hat, ist vermutlich die Ironie der Geschichte.
Dieser Reflex sagt einem nämlich regelmäßig, dass man während der besagten Store-Sales zuschlagen muss, um etwas für “schlechtere” Tage auf Lager zu haben – was auch immer das heute bedeuten mag. Früher waren die schlechteren Tage jene, an denen man erstmal mit dem auskommen musste, was halt da war. Wer ein wenig Abwechslung suchte, der warf eben die Heft-CD der vorletzten PC Action in das Laufwerk und begann zu stöbern. Im besten Fall konnte sich mit einer solchen CD ein wunderliches Panoptikum voll abseitiger Zerstreuung öffnen. Erst recht, wenn man eine dieser obskuren Shareware-Kollektionen zur Hand hatte, die oft auf markige Namen wie “Galaxy Of Games” oder “Blaster” hörten und ganze Füllhörner an bizarrer Unterhaltung boten.
Letztere gelangte vor vielen Jahren tatsächlich einmal in meinen Besitz und versammelte rund 50 Shareware-Versionen zu Titeln aus dem Hause Apogee und Epic. Fünfzig! Nie wieder würde ich neue Spiele brauchen, so meine naive Annahme in Angesicht dieser unerschöpflichen Quelle an bunten Sidescrollern und Top-Down-Shootern. Was Shareware überhaupt bedeutete war mir zu jener Zeit ohnehin nicht klar, also wurde gierig ein Spiel nach dem anderen auf dem 486er installiert: Bio Menace (Siehe Bild), Quarantine, Jazz Jackrabbit, Raptor. So sind zumindest Monate, wenn schon nicht die imaginierte Ewigkeit, vergangen, bis diese Quelle dann doch irgendwann versiegte und unregelmäßig durch die Heft-CDs der GameStar oder PC Action ersetzt wurde. Doch auch die wurden auf dem Schulhof gehandelt, als ginge es um reizvolle Sammlerstücke, die es bei Verleih unbedingt zurückzufordern galt.
Zugegeben: Die Erkenntnis bleibt natürlich banal. Demo-CDs verlieren aus den gleichen Gründen an Bedeutung wie Print-Magazine oder Tonträger. Sie sind nach der strengen Logik der Digitalisierung nicht praktikabel. Mit dem einzigen Unterschied, dass es sich bei besagten CDs in erster Linie um Service und keine erhaltenswerte Kunst oder Kultur im eigentlichen Sinne des Mediums handelt. Dass unter dem Siechgang dieses Formats aber auch der beschriebene Entdeckergeist früherer Tage leidet, hat dagegen ganz andere Gründe. Denn an kostenlosen und abseitigen Fundstücken mangelt es nun wirklich nicht – völlig egal, ob man dafür den Google Play Store, Steam oder den Xbox Marketplace bemüht. Nur wer hat dafür schon Zeit und Energie? Hatte die Demo- oder Shareware-CD in den meisten Fällen noch eine Filter-Funktion inne, die den unbedarften Spieler mit einer redaktionellen Vorauswahl bedachte, sind wir vor allem im Mobile-Segment oft dem geballten App-Store-Wahnsinn ausgesetzt. Wer sich dort einfach treiben lassen möchte, muss bekanntlich viele Widrigkeiten in Kauf nehmen. Dubiose Freemium-Häppchen, lieblos dahin gerotzte Casual-Ware und dreist abgekupferte Klone sind da nur einige der Störfaktoren. Dazwischen die Perlen auszumachen, ist vor allem eines: Arbeit. Und das kann nun wirklich niemand wollen. Dann doch lieber so:
Scans: crimson-ceremony.net