Der menschliche Tausendfüßler: Eindrücke von der E3

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Videospielmessen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. So hätte ich gerne meinen Beitrag zur diesjährigen Electronic Entertainment Expo im sonnenüberfluteten Los Angeles begonnen, aber Videospielmessen sind genau das, was sie schon immer waren. Man fühlt sich bei der E3 glatt in den Kindergarten zurückversetzt, wo man zuerst bemerkte, wie viel Spaß es machen kann, sich fortwährend im Kreis zu drehen. Und wie schwindelig oder gar übel einem hinterher ist. Dass es sich hierbei jedoch nicht um einen Abenteuerspielplatz, sondern um eine Fachmesse handelt, rückt besonders in diesem Jahr zunehmend in den Hintergrund. So wie auch der tatsächliche Informationsgehalt einer solchen Veranstaltung, die in ihrer Beliebigkeit und Massenanbiederung seit Jahren zu einer ungesunden Fokusverschiebung bei der Entwicklung des Mediums beigetragen hat.

Ungesund deshalb, weil es längst nicht mehr nur darum geht, Neuheiten im Bereich Videospiele zu präsentieren. Es geht vielmehr um das Konservieren bewährter Konzepte und Ideen, während wirklich Erstmaliges nur am Rande stattfindet und sich letztlich im Sande verläuft. Das Auspressen populärer Marken bildet seit vielen Jahren das scheinbar unerschütterliche Fundament der Spieleindustrie, der man dafür schwerlich Vorwürfe machen kann, solange nichts bröckelt. So fühlte ich mich in diesem Jahr bei den Präsentationen der großen Publisher dann auch wieder direkt heimisch, kannte ich doch die gezeigten Spieletitel weitestgehend bereits aus meinem Wohnzimmerregal. Und jedes Jahr denke ich mir in einem solchen Moment, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Doch es funktioniert, weil jede Weiterführung des Kreislaufs wie eine Gehirn-Dialyse funktioniert, bei der die Vorfreude auf den Nachfolger die einstige Enttäuschung über den Vorgänger einfach aus den Gedankengängen spült.

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Kommen nie aus der Mode: Ironische T-Shirts

Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Das gilt leider auch und im Besonderen beim Thema Videospiele. Denn was der Spieler nicht schon gespielt hat, kauft er nicht, wenn daneben ein neues Battlefield steht, von dem er zu wissen glaubt, was ihn erwartet. Der Videospielmarkt funktioniert in dieser Beziehung wie ein menschlicher Tausendfüßler. Ein Publisher präsentiert einen weiteren Ableger seines beliebten Franchises, die Presse berichtet gerne darüber, da die großen Namen mehr Leser locken und als Spieler bekommt man am Ende die vorgekaute Scheiße in den Rachen geschoben. Wie kaum eine andere Branche leiden elektronische Unterhaltungsmedien unter einem Mangel an Distanz zwischen diesen drei Ebenen, was nicht zuletzt an dem ausbrechenden Jubel beim geladenen Fachpublikum während der Präsentationen deutlich wird. Auch die mittlerweile üblichen Livestreams nehmen einer Messe wie dieser ihre ursprüngliche Intention, Branchenvertretern neue Entwicklungen vorab zu präsentieren und wenden sich mit ihrer showhaften Aufmachung direkt an den Endverbraucher, der nun ein endloses Rendertrailer-Bombardement ungefiltert verarbeiten muss.

Aber woran soll dieser erkennen, was “awesome“ ist und was nicht? Ist das neue Assassin’s Creed jetzt wirklich eine Revolution oder benutzen sie das Wort bloß, weil es während einer spielt? Das sind Fragen, die man kaum beantworten kann, insbesondere dann nicht, wenn viele Titel nicht nur Monate, sondern bisweilen Jahre vor der Fertigstellung stehen und deshalb noch gar kein Ingame-Material zu sehen ist. Industriemessen sind natürlich schon immer auch Werbeveranstaltungen. Insbesondere, wenn es sich bei den Ausstellern um börsennotierte Unternehmen handelt. Problematisch wird es jedoch, wenn die beworbenen Produkte in einer solchen Form nicht oder zumindest noch nicht existieren. Da stehen dann Menschen auf der Bühne, die eine Art “I have a dream“-Rede über Videospiele halten, deren Versprechen ähnlich wie der Gleichstellungs-Wunsch eines Martin Luther King im Land der Träume verloren gehen. Watch Dogs habe ich mir nach der letztjährigen Präsentation jedenfalls anders vorgestellt.

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“It’s unfortunate, but it’s a reality of game development.”

So wird aus einer Informationsveranstaltung zunehmend eine, die mit Misinformationen gespickt ist, damit die Hypemaschine ins Rollen kommt und die Vorbestellungen das nächste Geschäftsquartal sichern können, bevor jemand etwas bemerkt. Frei nach dem Motto: Hältst du mich einmal zum Narren, schäme dich! Hältst du mich zweimal zum Narren, WOW, SIEHT DAS NEUE ASSASSIN’S CREED GEIL AUS!!! Dass Ubisoft ausgerechnet für diesen mittlerweile unfassbar generisch wirkenden Titel so ubihart rangenommen wird, wirkt bei dieser riesigen Selbstbeweihräucherungsveranstaltung dann fast schon ein wenig kathartisch. Vier spielbare männliche Assassinen, aber eine weibliche Attentäterin hätte den finanziellen und zeitlichen Rahmen gesprengt. Nachvollziehbare Erklärung bei einer Spielreihe, deren magere Verkaufserlöse aus der Vergangenheit anscheinend nur ein sehr begrenztes Produktionsbudget zuließen. Inklusion wird also auch im Jahr 2014 noch immer in erster Linie als zusätzlicher Kostenpunkt angesehen und nicht etwa als Chance, die eigene Marke für eine breitere Zielgruppe zu öffnen. “Bros before hoes“ klingt für mich jedenfalls nicht nach einer Einstellung, die zukünftig noch viel wirtschaftliches und kulturelles Wachstum verspricht.

Als weiterhin das zufällig ebenfalls von Ubisoft stammende, bis zum Rand mit Adrenalin vollgepumpte Rainbow Six: Siege präsentiert wurde, das eine Art “Capture the flag”-Modus mit einer hilflosen, weiblichen Geisel als herumzureichenden Staffelstab etablieren möchte, konnte man von zehn an rückwärts zählen, bis die zu erwartende Reaktion von Videospielzerstörerin Anita Sarkeesian folgen würde. Und drei weitere Sekunden, bis ihr die ersten Morddrohungen dafür zuteilwurden. Eine Begleiterscheinung, die mit der Veranstaltung an sich wenig zu tun hat, aber in deren Windschatten gut veranschaulicht, wie festgefahren und berechenbar selbst solche Skandälchen mittlerweile sind. Alles wiederholt sich. Alles wiederholt sich. Wenn sich die Spiele nicht ändern, ändert sich ihr Umfeld eben auch nicht.

Halo

Am Ende habe ich das Gefühl, alles liefe in Zeitlupe ab. Jeder Trailer, jede Präsentation, jede Reaktion, ja selbst das Laden der üblichen Messebabe-Klickstrecken, alles wirkt so betulich und zähflüssig, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob mir die Begeisterungsfähigkeit abhanden gekommen oder ob tatsächlich alles so gleichförmig geraten ist, wie es mir diese E3 vermittelt hat. Womöglich ist das auch einfach ein Kennzeichen des explosionsartigen wirtschaftlichen Wachstums, bei dessem Tempo die notwendigen, neuen Ideen nicht mithalten können.

Aber das ist auch nicht so wichtig, wenn sich Fachbesucher einer Gamesmesse wie kleine Mädchen beim Konzert ihrer Lieblings-Boygroup verhalten und sich sogar noch über die bloße Feature-Ankündigung, dass man bei der Halo: Master Chief Collection nun eine persönliche Playlist aus den hinlänglich bekannten Missionen der bereits totgespielten vier Halo-Teile zusammenstellen kann, in tosendem Applaus verlieren. Vielleicht aber spart man sich dennoch lieber das Geld für dieses langweilige Best-of, schnappt sich stattdessen den gleichnamigen Titel von Beyoncé und setzt die einzelnen Textpassagen so lange neu zusammen, bis sie irgendwann vielleicht einen völlig neuen Sinn ergeben. Und wer ganz viel Spaß an derlei Knobelei hat, kann sich anschließend auf ähnliche Weise an den Ausreden von Ubisofts Technischem Direktor James Therien bezüglich der Absenz einer weiblichen Spielfigur im neuen Assassin’s Creed versuchen. In ihrer aktuellen Form fehlt mir für diese nämlich tatsächlich jegliches Verständnis.