Einsame Straßenkämpfer: Das Exklusivitätsdilemma
Dieser Artikel erscheint exklusiv für den Webbrowser Mozilla Firefox und kann aus diesem Grund von alternativen Webbrowsern leider nicht angezeigt werden. Sollten Sie dennoch ein Konkurrenzprodukt vorziehen, muss Ihnen der Zugang bedauerlicherweise so lange verwehrt bleiben, bis die Vorzugsvereinbarung mit der Firma Mozilla erloschen ist. Wir bitten um Ihr Verständnis.
“The fact that some choice is good doesn’t necessarily mean that more choice is better.” (Barry Schwartz)
Die Entscheidungsvielfalt für eine aktuelle Spieleplattform mag da deutlich übersichtlicher erscheinen, doch sorgen die Hersteller mit teilweise überraschenden Exklusivtiteln dafür, dass kaum jemand dauerhaft mit seiner Wahl zufrieden sein soll. Weil das Gefühl der Ausgrenzung nicht mehr eine bedauernswerte Nebenwirkung von Exklusivverträgen ist, sondern angestrebter Selbstzweck.
1. Bedauern und erwartetes Bedauern
Man kann nicht alles haben. Dieses Mantra galt schon während der 8-Bit-Ära und war Käuferinnen und Käufern der aktuellen Konsolengeneration im Vorfeld klar. Exklusivtitel sind, wenn sich der Nebel um die vermeintliche Leistungsfähigkeit der Technik gelegt hat, die treibende Kraft, sich von der Konkurrenz abzuheben. Mario verkauft Nintendo-Konsolen, Halo verkauft die Xbox und Street Fighter verkauft die PS4. Nun, eines dieser Beispiele mag für den ein oder anderen Videospielinteressierten ein wenig seltsam anmuten, doch ist der Trend zur Drittanbieterexklusivität zu einer heimtückische Variation im Wettstreit um Marktanteile geworden. Statt sich darauf zu konzentrieren, schlagkräftige Eigenmarken ins Rennen zu schicken, nimmt man der Konkurrenz lieber etwas Wertvolles weg.
“When we first began working on what’s next for the vision of the Street Fighter franchise, we reached out to PlayStation.” (Yoshinori Ono)
Als Konsument ist dadurch plötzlich dieser Gedanke im Hinterkopf, vielleicht doch auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Die eigene, frei getroffene Kaufentscheidung, sie wirkt überhastet und falsch. Die spät angekündigten Exklusivdeals um Street Fighter und Rise of the Tomb Raider sollen vom Kauf einer bestimmten Konsole überzeugen, doch verunsichern und hemmen sie auch, weil sie verdeutlichen, dass die Entscheidung für eine Plattform ebenso als eine gegen alle anderen interpretiert wird. Schwartz spricht in diesem Sinne von Bedauern und erwartetem Bedauern. Von einem Zustand, in dem keine gefällte Wahl uns richtig erscheint und wir sogar schon vorher davon ausgehen, diese später zu bereuen, weil wir mit einer anderen vermeintlich zufriedener gewesen wären. Zweifel, die durch ein solch ausuferndes Exklusivitätsgebaren seitens der Hersteller zusätzlich genährt werden.
2. Die Kosten des Verzichts
Wer sich heute aus verschiedensten Gründen auf eine Plattform festlegen möchte, muss davon ausgehen, dass ihm über kurz oder lang etwas fehlen wird. Diese Opportunitätskosten, die Schwartz beschreibt, entstehen bei jeder Wahl, die wir treffen, und sie begegneten uns auch schon zu Zeiten, in denen sich noch Nintendo und Sega bekriegten.
Doch erschienen sie selten so undurchsichtig und gravierend wie in diesen Tagen. Waren es üblicherweise die hauseigenen Produktionen, mit denen sich Sony und Microsoft voneinander abzugrenzen versuchten, wird nun versucht, den Wettbewerber seines Potenzials zu berauben und den Markt für Multiplattformtitel einzugrenzen. Verlierer sind dabei vor allem die Spielerinnen und Spieler, die nicht das Geld, den Platz oder den Willen haben, sich mehrere Geräte an den Fernseher zu klemmen. Für sie steigen die Kosten des Verzichts im Vergleich zur letzten Generation an, doch keine der Konsolen bietet zeitgleich mehr, als man nicht ohnehin von ihr erwartete. Schließlich hätten Marken wie Street Fighter und Tomb Raider wohl früher oder später auch ohne Exklusivvertrag ihren Weg zurück ins Wohnzimmer gefunden.
3. Ausufernde Erwartungshaltung
Doch natürlich gibt es auch gute Gründe, die für eine Ausweitung der Exklusivität sprechen. Nicht zwingend für den Endkunden, aber für Konsolenhersteller und Entwickler liegen die Vorteile auf der Hand. Um diese nachvollziehen zu können, sollte man sich zunächst die Entwicklung der Produktionskosten namhafter Spielereihen genauer ansehen. Das 2010 erschienene Assassin’s Creed II veranschlagte nicht einmal ein Viertel des Budgets, das drei Jahre später für dessen Piratenableger Black Flag verprasst wurde. Dreistellige Millionenbeträge sind zunehmend die Regel statt absolute Ausnahmeerscheinungen und mit den Produktionskosten steigen parallel die Erwartungen an das Endergebnis. Wer viel ausgibt, muss viel einnehmen. Im Falle des letzten Croft-Abenteuers dauerte es trotz Millionenverkäufen im ersten Monat ein knappes Jahr, bis die Gewinnzone erreicht wurde. Große Budgets, große Risiken.
“I’ll work on making amends for SF.” (Phil Spencer)
Dass ein gewisser Selbsterhaltungstrieb nun dazu geführt hat, dieses Risiko durch die Einnahmen aus einem Exklusivabkommen abfedern zu wollen, ist verständlich. Statt den endlos auslaufenden Geldhahn wieder zuzudrehen, stellt man Microsofts Eimer drunter und hofft, dass dadurch schon alles gut werde. Doch langfristig gesehen limitiert man mit solch einem Vorgehen seine potenzielle Zielgruppe, verkauft weniger Exemplare und läuft Gefahr, den Namen einer etablierten Serie dauerhaft zu marginalisieren.
Denn auch wenn man so versucht, dem immensen Erfolgsdruck Herr zu werden, katapultieren Riesenbudgets, und nicht zuletzt auch der vielversprechende Hauch der Exklusivität, die Erwartungen von Herstellern und Spielerschaft in ungesunde Höhen. Aus einem ständigen Rechtfertigungsbedürfnis für die eigenen Entscheidungen heraus entsteht so bei letzteren ein Klima der automatisierten Enttäuschung. Weil die Erwartungshaltung eskaliert, wie Schwartz es nennt, kann sie nicht mehr erfüllt werden. Unabhängig davon, wie gut ein solcher Titel später auch sein sollte, man wird sich mehr von ihm versprochen haben.
4. Schuldzuweisungen
Sich das alles so konkret vor Augen zu führen, ist alles andere als angenehm. Weil man nicht umhinkommt, sich selbst zu hinterfragen. Nicht die restriktive Veröffentlichungspolitik der Konsolenproduzenten, nicht die Studios, die lieber eingleisig fahren, statt ihre Flügel zu spreizen – ausschließlich sich selbst. Weil man mit den eigenen Erwartungen, Entscheidungen und Forderungen zulässt, dass etwas, das Entspannung und Freude bereiten soll – das im besten Falle Menschen zusammenbringt – stattdessen Streit und Spaltung verursacht. Wer immer mehr wollte, muss nun damit leben, in Zukunft weniger zu bekommen. Doch genau darin liegt vielleicht auch die Chance für eine Gesundung dieses kränkelnden Systems.
Denn, glaubt man den Thesen von Barry Schwartz, ist weniger in diesem Falle womöglich in der Tat mehr. Hatte man in jungen Jahren nur zwei bis drei Spiele zur Hand, bedeutete dies nicht zwangsläufig, dass man mit einer solch bescheidenen Auswahl unglücklicher war, als man es heute mit einer überquellenden Steam-Bibliothek ist. Diese naive Begeisterung, dieses sich nicht scheren um das, was einem andernorts entgeht, lässt sich kaum noch rekonstruieren. Doch die begleitende Gelassenheit dieser Mentalität wäre in diesen hitzigen Zeiten für alle beteiligten Parteien ein wahrer Segen.
Gut zu erkennen ist eine solch positive Wirkung ausgerechnet bei den seltenen Geschöpfen, die sich für eine Wii U entschieden haben; einer Konsole, die den Anschein erweckt, längst außer Konkurrenz zu laufen. Nintendo haderte nicht lange mit der fehlenden Drittanbieterunterstützung, sondern machte aus der Not eine Tugend und trifft nun mit traditionell hochwertigen Eigenproduktionen den gereizten Nerv der chronisch Unzufriedenen. Es mag zwar nicht der ursprüngliche Plan gewesen sein, doch zeigt dieser Umstand sehr eindrucksvoll, wie erholsam sich ein Mangel an Wahlmöglichkeiten anfühlen kann.
Wer sich jedoch zwischen 175 verschiedenen Salatdressings problemlos entscheiden kann, ist vermutlich auf dem PC am besten aufgehoben, der spätestens mit den Steam Machines ab Herbst auch auf den althergebrachten Konsolenplatz neben dem Fernseher drängt. Mehr Exklusives dürfte auf keiner anderen Plattform zu finden sein. Für manch einen ist es dann eben doch ganz schön, die freie Auswahl zu haben. Und sei es nur die Entscheidungshoheit darüber, statt eines Salats lieber einen Döner essen zu gehen.