Von der Last eines schweren Erbes.
Ich habe Assassin’s Creed: Syndicate nicht gespielt. Um ehrlich zu sein, habe ich auch keinen der, keine Ahnung, 70 Vorgänger gespielt. Wenn mir jemand sagt, Assassin’s Creed sei nun nach langer Krankheit verstorben, dann glaube ich das, weil ich sowieso nicht weiß, was das nun schon wieder heißen soll. Jetzt, wo die ersten Tests erscheinen, kann man lesen, was der neueste Ableger alles besser macht als das Spiel aus dem letzten Jahr. Und dann noch die übliche 80er-Wertung, die natürlich kritisiert werden muss, weil die Spielreihe ja nicht nur tot ist, sondern sich auch noch im Grabe um die eigene Achse dreht. Schlauer ist hinterher niemand so wirklich, am wenigsten die Menschen, an die all diese Worte und Zeilen gerichtet sind.
“Am 23. Oktober diesen Jahres erscheint Assassin’s Creed: Syndicate, aber wen interessiert es?” (Gamespilot)
Um eines von vornherein klarzustellen: Die Berichte über den Tod von Assassin’s Creed sind stark übertrieben. Die Vorbestellungszahlen beim größten deutschen Onlinehändler deuten keineswegs auf einen finanziellen Flop oder gar auf umfassendes Desinteresse hin, das Spiel läuft technisch offenbar auch ganz okay und der Rest ist ja bekannt, nehme ich an. Wieso ich das annehme? Weil es jede Besprechung einer alljährlichen Spielreihe tut. Egal ob Fifa, Call of Duty oder der ganze Lego-Tinnef, alles wird mit sich selbst verglichen, weil man selbst alles gespielt hat und gar nicht auf die Idee kommt, dass dies bei irgendjemandem anders sein könnte. Ob AC: Syndicate nun etwas für mich wäre, erfahre ich so nicht. Ich weiß nur, dass ich es anscheinend lieber spielen würde als AC: Unity. Schließlich hat es weniger Bugs und die Story ist vergleichsweise besser. Vergleichsweise. Außerdem spielt sich Fifa 16 langsamer als Fifa 15. Dafür lebt es immerhin noch.
Letzten Endes spricht man so immer nur für und von Personen, mit denen man sich auf einem gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Kenntnisstand wähnt. Macht man den Scheiß beruflich oder betreibt es zumindest als sehr intensives Hobby, sind das die allerwenigsten. Und kaum einer wird so überdrüssig und tunnelblickig auf ein Spiel blicken wie jemand, der sein siebtes Assassin’s Creed in Folge durchexerziert. Die Art, wie man von und über Spiele spricht, gerät dadurch unnötig elitär und besserwisserisch. Den Fachfremden wird nichts vermittelt außer der eigenen Sattheit und freut sich ein langjähriger Fan auf die Fortsetzung eines Spiels, kann man fast sicher sein, dass noch vor deren Erscheinungstag die anscheinend dringend notwendige Obsoleszenz-Meldung auftaucht. Diese ist nur einfach noch nicht bis in den Kassenbereich großer Elektrofachmärkte vorgedrungen.
“The gameplay is exactly what you would expect from an Assassin’s Creed game.”
Mehr vom Gleichen mit dem Gleichen zu vergleichen ist natürlich dessen ungeachtet für ein eingeweihtes Publikum nach wie vor sinnvoll. Es geht nicht darum, von einem Extrem ins nächste zu hüpfen, sondern vielmehr darum, eine bessere Balance aus eigenen Altlasten und einem geistigen Neustart zu finden. Natürlich ist es leichter, sich auf ein neues Fallout oder Star Wars zu freuen, weil ein paar Jahre mehr seit den letzten Teilen verstrichen sind und genügend Abstand notwendig ist, um zu begreifen, was man hatte. Und auch ein paar Dinge wieder zu vergessen, versteht sich. Dass man so viel Abstand auch von Ubisofts Bargeldkuh Nummer 1 erwartet, ist aus rein wirtschaftlicher Sicht natürlich Quatsch. Darum sollte jedes Spiel eigenständig bewertet werden, nicht anhand seines Erbes.
Für einige da draußen wird es dieses Jahr schließlich ihr erstes Assassin’s Creed sein. Diese Menschen als Leichenfledderer abzustempeln oder sie mit einer niedrigen Wertung in die Irre zu führen, bloß weil man selbst alles in einem Spiel schon aus vorherigen kennt, hilft niemandem, außer dem eigenen (Be-)Deutungsbedürfnis. Das ist auch okay, solange man sich das zumindest von Zeit zu Zeit bewusst macht. Genauso wie die Möglichkeit, dass einen Assassin’s Creed irgendwann überlebt haben könnte.