Für mehr Krieg im Kriegsspiel

Erster Weltkrieg

Die Entwicklung von Ego-Shooter-Kriegsspielen weist seltsame Trends auf. Vor einigen Jahren war der Zweite Weltkrieg in Mode. In unzähligen Spielen stürmten Spieler als amerikanische Soldaten die Strände der Normandie oder rannten als Rotarmisten durch die zerbombten Prachtstraßen Stalingrads. Heute sind fiktive Kriegsszenarien in einer nahen Zukunft angesagt. Es geht um Superkampfanzüge, Waffen mit Laservisieren, Drohnenkrieg, globalen Terror und Gegner mit Turbanen. Als Spieler lassen wir uns längst bereitwillig in eine Propagandamaschinerie einspannen, die Krieg nicht nur zu einem Spiel macht, sondern ihn auch wie eines wirken lässt. Ein neues, besseres und anderes Kriegsspiel müsste vor allem einen Schritt zurücktreten, um soziokulturell einen großen Schritt nach vorne machen zu können. Ein kritisches Kriegsspiel müsste den Konflikt zeigen, wie er ist: Dreckig, schmutzig, tödlich – die Geißel der Menschheit.

Am 28. Juni 1914 erschossen Angehörige der Studentenorganisation Mlada Bosna in Sarajevo den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand. Das Attentat gilt heute als Auslöser des Ersten Weltkrieges – in vielerlei Hinsicht eine Zäsur für die Kriegsführung und die Ordnung Europas. Plötzlich hielten Waffensysteme wie das Maschinengewehr Einzug in die Militärgeschichte, mähten Menschen um, wie Macheten dichten Dschungel. Der Gaskrieg wurde populär, giftige Schwaden verseuchter Luft zogen durch Schützengräben und rafften Soldaten dahin wie Fliegen. Krieg war so grauenhaft geworden wie nie zuvor, Europa ein einziges Schlachthaus für Menschen. Tragischerweise wird ausgerechnet dieser Krieg in Ego-Shootern sträflich vernachlässigt. Warum ist das so?


Erste These: Stellungskrieg macht keinen Spaß.

Der erste Weltkrieg war hauptsächlich ein Stellungs- und Grabenkrieg. Vor allem die Westfront verschob sich häufig über lange Zeit gar nicht oder nur geringfügig. Für den einfachen Soldaten bestand der Krieg in vielen Fällen aus dem Ausharren im Schützengraben und dem Warten auf den Tod. Das macht als Spiel natürlich nicht besonders viel Spaß — sollte es aber auch nicht. Es sollte nur funktionieren. Darüber hinaus ist genau diese Herausforderung eine Aufgabe, an der ein Spieldesigner nur wachsen kann. Die Spielerfigur könnte eine besondere Rolle haben, sie könnte beispielsweise ein Feldpostbote sein, ein Schienengeschützmechaniker oder ein Artilleriepferd. Kurz gesagt: Vielleicht braucht der Spieler eine Aufgabe, die eben nicht langweilig ist, die aber trotzdem den Krieg möglichst so unverblümt zeigt, wie er ist. Wer hat eigentlich beschlossen, dass Kriegsspiele in den Hauptrollen immer Soldaten zeigen müssen?

Erster Weltkrieg

Zweite These: Der erste Weltkrieg hat kein klares Gut/Böse-Schema.

Wer über den Zweiten Weltkrieg schreibt, filmt oder ein Spiel dazu entwickelt, hat den bequemen Vorteil, eine Aufteilung in Gut und Böse vorzufinden, wie sie sonst nur in Star Wars existiert. In Sachen Grausamkeit und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt es bis heute nichts, was den Nazi-Terror übertrifft – der Holocaust bleibt eine historische Singularität. Wer gegen Nazis kämpft, handelt richtig und wird somit in einem Spiel auch relativ automatisch zur Identifikationsfigur. Der Erste Weltkrieg ist vor allem im historischen Gedächtnis der Deutschen da nicht so ganz eindeutig. Irgendwie ging es um Österreich, um Kaiser, um den Balkan – Länder, Regierungssysteme und Gegenden, die heute aus dem Augenmerk der Weltöffentlichkeit weitestgehend verschwunden sind. Böse waren da irgendwie alle und am Ende haben die Deutschen verloren und schließlich Hitler gewählt. Es ist durchaus möglich, ein Gymnasium mit diesem Eindruck vom Ersten Weltkrieg zu verlassen. Nicht zuletzt deshalb ist es auch nicht leicht, in einem so ambivalent betrachteten Szenario Geschichten über Helden zu erzählen, die sich todesmutig auf den Feind stürzen. Krieg ist kein Szenario für Helden. Heldentum hat meist etwas mit historischer Verklärung zu tun. An der Ostfront des Ersten Weltkrieges begründete die Tannenberg-Schlacht, bei der die Armee des zaristischen Russlands eine empfindliche Niederlage erlitt, den Ruhm Hindenburgs – mit bekannten Folgen.


Dritte These: Das Szenario ist ästhetisch nicht reizvoll.

Viele Bilder, die wir heute aus dem ersten Weltkrieg sehen, wirken seltsam befremdlich. Da sind einerseits Soldaten mit bizarren Hipster-Schnurrbärten und Pickelhauben, die auf Pferden reiten, andererseits die ersten Panzer, Giftgas und die Dicke Bertha – ein Geschütz, so schwer, dass es nur auf Schienen transportierbar war. Interessanterweise sollte eigentlich gerade diese Eigenartigkeit Entwicklern in die Hände spielen. Der erste Weltkrieg sieht aus wie eine Mischung aus Fallout und Dishonored, riecht nach Senfgas und schmeckt wie Blei – ein traumhaftes Szenario für jeden auch nur einigermaßen morbide veranlagten Designer, das außerdem ganz wunderbar zu einem neuen Trend passen würde: Endzeitszenarien. Das Call of Duty der nächsten Generation zeichnet sich nicht nur durch seinen Hund aus, sondern vor allem dadurch, dass es versucht, eine neue Modelinie im Kriegsspiel zu begründen: die Post-Apokalypse. Der Erste Weltkrieg sieht so apokalyptisch aus, wie sonst kaum ein anderes Szenario — entlaubte, vietnamesische Dörfer ausgenommen.

Erster Weltkrieg

Fazit: Krieg ist schlecht.

Ich möchte an dieser Stelle für neue Kriegsspiele plädieren. Solche, die ich nicht mehr problemlos von meiner Couch aus konsumieren kann, solche, die mir ein Gefühl für Grauen vermitteln, die mich spüren lassen, was Krieg bedeutet. Kriegsspiele, die mir zeigen, dass sie selbst eigentlich gar nicht existieren dürften, weil Krieg kein Spiel ist. Das Grauen muss so überwältigend sein, dass ich es nicht länger als eine Stunde aushalte. Nach einem Kriegsspiel sollte mir kotzübel sein. Der Erste Weltkrieg ist für dieses Vorhaben nahezu perfekt. Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, dass diverse Spiele das auch erkannt haben. The Darkness etwa, eine Comic-Umsetzung, die ein surreales Dämonen-Szenario in den Ersten Weltkrieg verlegt oder das klassische Rundenstrategiespiel History Line vom Battle Isle-Entwickler Blue Byte. Die Indie-Szene hat den Ersten Weltkrieg in Johnny Got His Gun Quest und 1916 – Der unbekannte Krieg sogar schon experimentell aufgegriffen.

Auch Anti-Kriegsspiele wären keine wirkliche Neuerung. Spec Ops: The Line hat erfolgreich gezeigt, wie sich Krieg kritisch auch in einem Third-Person-Shooter umsetzen lässt. Trotzdem: Ein klassischer Ego-Shooter, bombastisch und nach AAA-Manier inszeniert, fehlt. Die Werbung für ein solches Spiel stelle ich mir übrigens ebenfalls interessant vor – im Stil klassischer Propagandaplakate. Auch das passt nämlich hervorragend zum Ersten Weltkrieg, wo Plakatkunst nahtlos für den Massenmord nutzbar gemacht wurde. Der dadurch ins Irrsinnige gesteigerte national-chauvinistische Wahn hat die Zeit bis 1945 vergiftet. Genau das fehlt der Branche: Vergiftete Spiele, die Spieler mit unbequemen Wahrheiten konfrontieren. Spiele, die zeigen, dass Krieg keinen Spaß macht.


Fotoquellen: Wikimedia Commons, Wikimedia Commons, Wikimedia Commons