Gedanken zu Steam Curation: Der Long Tail des Spielejournalismus

Steam Curation System

Am 22. September 2014 könnte Valve mit dem Discovery Update für die Spieledistributionsplattform Steam einen fast schon historischen Schritt gegangen sein. Was vordergründig eine Erweiterung hin zum intelligenten, mehr und mehr personalisierten Oberflächendesign zu sein scheint, trägt insbesondere dank des neuen Steam Curation-Systems – dem wir ebenfalls beigetreten sind – einen Keim des Unerwartbaren in sich. Es folgen ein paar erste Gedanken meinerseits zum Thema sowie eine Kurzzusammenfassung des neuen Systems.

Rund 3.700 Spiele lassen sich aktuell im Steam Store finden – über 1.300 von ihnen wurden alleine dieses Jahr veröffentlicht. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Statistisch gesehen bedeutet das, dass rund fünf neue Spiele täglich den Weg ins Verkaufsregal schaffen. Das ist für Valve positiv und negativ zugleich. Sie können damit eine Vormachtstellung für sich behaupten, der Einfluss der Plattform selbst wächst, damit aber auch die Verantwortung gegenüber den Spieleentwickler*Innen sowie Kund*Innen. Was nützt schon eine Verkaufsplattform, die dank des stetigen Stroms an neuen Waren keine richtige Ordnung des Sortiments aufweisen kann?

Steam Curation System

Um dieses Problem zu lösen, gibt es grundlegend drei Ansätze:

  • Weniger Spielen den Zugang zum Markt erlauben.

    Das ist die wohl denkbar radikalste als auch schlechteste Lösung für alle Beteiligten: Eine geringere Auswahl für die Kundschaft, weniger Geld für die Studios und Valve selbst, des Weiteren ein kaum überbrückbarer Schaden am “Yay, Indie!”-Image.

  • Die Rezipient*Innen bestimmen über den Einzug.

    Das wurde ansatzweise mittels Greenlight versucht, hat sich aber lediglich als Tropfen auf den heißen Stein herausgestellt. Mit der stetigen Popularisierung des Mediums sowie erleichterten Herstellungsverfahren (dank Twine, Construct, RPG Maker, etc.) kommen immer mehr Produkte auf den digitalen Markt, die ihre Daseinsberechtigung einfordern. Greenlight konnte diesen Zustrom vielleicht kurzfristig in Maßen regeln, aber als langfristige Lösung erwies es sich zu schwach.

  • Nicht der Zugang zum Markt wird reguliert, sondern die Sichtbarkeit der Produkte.

    Genau diesen Ansatz verfolgt Valve nun mittels besserer Filtermöglichkeiten und des Curation-Systems, das prinzipiell allen Nutzer*Innen offensteht. Diese Strategie wird sich, so prognostiziere ich, trotz all ihrer Schwächen als ein voller Erfolg erweisen.

“Curator pages could make for a brilliant system, though — and it’s a smart strategy to prevent Steam from turning into the wild west that is the iTunes App Store.” (Jason Schreier)

Das Curation-System funktioniert folgendermaßen: Wer Administrator*In in einer Steam-Gruppe ist, kann für diese einen Kurator-Kanal anlegen. In diesem dürfen quasi beliebig viele Kurzempfehlungen (maximal 152 Zeichen) für Spiele auf Steam ausgesprochen werden. Zusätzlich lassen sich die Empfehlungen mit einem Link zu Text- oder Video-Reviews unterlegen, damit sich Steam-Nutzer*Innen noch besser informieren können. Den Kurator-Kanälen kann auch ohne Zugehörigkeit zur eigentlichen Gruppe gefolgt werden.

Damit beeinflussen sie die personalisierte Shop-Seite der Steam-Nutzer*Innen, indem sie die Produkte oder ähnliche als Kaufempfehlungen integrieren. Aus diesem Grund werden die Kurator-Kanäle in englischen Textbeiträgen nun auch vermehrt als tastemakers bezeichnet: Aus den Ansammlungen der Kurator-Empfehlungen wird eine Art ‘Geschmacksagenda’ entwickelt, die Kaufempfehlungen und Entdeckungstouren durch das Sortiment vereinfachern soll.

“The natural progression of this system is that the most popular store fronts would belong to the most popular gaming celebrities, perhaps mega YouTubers. […] [W]here would that leave discoverability?” (Wesley Yin-Poole)

Was sich in der Theorie als konsumfreundliches System präsentiert, könnte in der Praxis problematisch werden. Schließlich wird Steam damit zu einem Traffic-Generator für Spieleblogs, Online-Magazine und YouTube-Kanäle, was einen Kampf um Aufmerksamkeit provoziert (wobei sich dieser Effekt auch vice versa einstellt und Valve damit als eigentlicher Sieger herausgeht). Bislang gelten nämlich nur die Kanäle mit den meisten Followern als ‘Top-Kuratoren’ – unabhängig vom bevorzugten Genre, Preisklasse, Grafikstil oder ähnlichen Kategorien.

Als Kurator wird man nur dank den Anhänger*Innen sichtbar. Diese Sichtbarkeit kann merklich profitabel sein. Schließlich ploppen Empfehlungen ebenfalls auf den Shop-Seiten der empfohlenen Spiele auf; unabhängig von der Tatsache, ob man als Steam-Nutzer*In einem Kurator-Kanal folgt oder nicht.

Es wird damit ein Symbioseeffekt zwischen Spieleentwicklung und Spielejournalismus im Sinne des Long Tail-Modells erzeugt: Nischenprodukte wie Indie-Spiele mit hoher Qualität, die aber aufgrund der riesigen Produktionsmenge seltener betrachtet und bewertet werden, erhalten durch solche Empfehlungen einen längerfristigen Verkaufszyklus. Umgekehrt werden damit auch kaum gelesene Reviews attraktiver für neue Leser*Innen, da man auf sie verweisen kann.

“The saddest part of the problems I have with the discovery update are that it loses the personal touch I’d want from the people making these lists.” (Rob Remakes)

Steam Curator CuratorDieser Effekt ist zwiespältig zu betrachten. Wenn Kurator-Kanäle nur als Social Media-Strategie benutzt werden, so verlieren sie ihren Reiz als Empfehlungs-Sammelsurium. Am Ende sollte immer noch das Spieleerlebnis im Fokus stehen bzw. folgende Frage: “Empfehle ich meinen Followern dieses Spiel gerade nur aus einer Hype-Welle heraus oder weil es tatsächlich etwas Wunderschönes, etwas Spaßiges, etwas Grandioses ist?” Kurzum: Wer kuratiert die Kuratoren?

Für die Steam-Nutzer*Innen selbst könnte das Curation-System im Idealfall äußerst vorteilhaft sein, solange sie wissen, welchen Geschmack die Kurator-Kanäle überhaupt vertreten. Wir selbst haben uns auch, wie bereits am Anfang erwähnt, in dieses System hineinbegeben. Unsere Agenda? Irgendwas zwischen schwer knackbaren Spielen, fadenscheinigen Tauben-Dating-Simulationen, wundervollen Atmosphären, Meta-Aussagen zum geliebten Medium und bester Unterhaltung. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.


Nachtrag

Steam Curation System

Mittlerweile hat Valve eine Sichtbarkeitsgrenze für die Kurator-Kanäle eingebaut: In den Shop-Seiten von Spielen werden nur noch Empfehlungen von Kurator-Kanälen mit mehr als 1.000 Followern integriert. Das bedeutet, dass aktuell nur 74 von 4.874 (!) Kanälen – also knapp 1,5 Prozent – eine zusätzliche Aufmerksamkeit genießen. Das ist in meinen Augen eine kontraproduktive, fast schon traurige Angelegenheit. Selbst wir als einer der größeren deutschsprachigen Spiele-Blogs, der täglich Tausende Menschen mit Texten rund um Videospiele versorgt, haben hierbei kaum eine Chance mitzuhalten. Aktuell erfreut sich unser Kurator-Kanal über 262 Follower und damit über den 167. Platz insgesamt – aber die Tausender-Marke ist ungerechtfertigt hoch, wodurch die weitere Teilnahme an diesem eigentlich sinnvollen System zunehmend unattraktiver wird. Mehr als eine Zusatzleistung kann unser Kurator-Kanal in seiner jetzigen Form nicht werden. Hoffen wir mal, dass das nur eine Anfangsschwäche ist, die bald behoben wird.