Gedankenspiele: Über Bethesdas Review-Politik

doom

Dass Doom nicht kacke war, sondern ein ganz schön großer Spaß, ist eine der erfreulicheren Nachrichten, die dieses Spielejahr geschrieben hat. Nach einer eher mäßig begeisternden Multiplayerbeta und dem Verwehren der Vorveröffentlichungsbemusterung für die eifrige Spielepresse, musste man das Schlimmste befürchten, aber dann war alles doch total spitze und niemand wollte so richtig nachtragend sein. Und weil das alles so toll gelaufen ist, will Bethesda nun das Vorgehen der verspäteten Rezensionsexemplare für all seine zukünftigen Veröffentlichungen fortführen. Wenn ein derartiger Branchengigant eine solch mutige Ankündigung macht, könnte diese durchaus Signalwirkung für andere Publisher besitzen, ebenfalls auf einen Kopfhöreranschluss frühe Reviewkopien für ihre Spiele zu verzichten. Eine kleine Kurskorrektur, die für dieses stets gehetzt wirkende Medium überraschend umfangreiche Konsequenzen haben könnte.


Gary SteinmanWhile we will continue to work with media, streamers, and YouTubers to support their coverage – both before and after release – we want everyone, including those in the media, to experience our games at the same time.
bethesda.net


Heute ist es so, dass der Veröffentlichungszeitraum eines Titels oftmals auch dem Ende seiner Relevanz gleichkommt. Die meisten Artikel sind da bereits geschrieben, etliche Streams gelaufen und jemanden ohne gefestigte Meinung sucht man oftmals vergebens. Doch was tun, wenn plötzlich nichts “Aktuelles” mehr da ist, über das man schreiben, streamen und eine Meinung haben kann? Wenn die eigene Spielerfahrung eine ist, die man nicht mehr exklusiv vor allen anderen hat, ist das eine großartige Chance zur Entschleunigung und für einen deutlich offener gestalteten Diskurs. So wandelte Kotaku etwa den ursprünglichen Katzenjammer über Bethesdas Bemusterungsboykott in einen differenzierten, wohlformulierten und unaufgeregten Artikel zu Fallout 4 um, der zwar deutlich später erschien als andere Rezensionen, dafür stand dieser jedoch für sich allein und berichtete merklich einsichtiger über genanntes Spiel, als es die Dreitagewach-Rezensenten mit ihren deadlinegeführten Tippfingern vermochten.

Die Kehrseite der Medaille ist, das diesen Artikel vermutlich kaum noch jemand gelesen hat. Wer nicht spätestens am Erscheinungstag seine Meinung raushaut, verprellt damit ein Publikum, das Wertungszahlen als Eilmeldungsmüsli zum Frühstück frisst. Weil ein großer Teil dieses Publikums in Rezensionen immer noch den Servicegedanken der Kaufberatung erkennen möchte, fühlt sich dieser auch besonders von dem aktuellen Vorgehen Bethesdas betroffen. Dabei ist es womöglich das Beste, was jenen gepeinigten Seelen passieren kann.

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Beispiele wie No Man’s Sky oder das jüngst erschienene Mafia III haben zumindest deutlich gemacht, wie enorm die Fallhöhe eines uninformierten Kaufes tatsächlich sein kann. Beide Titel konnten von Rezensenten nicht rechtzeitig zum Erscheinungstermin getestet werden, beide Titel verkauften sich anfangs dennoch gut, blieben aber letztlich weit hinter ihren selbstgeschürten Erwartungen zurück. Diese Form der antrainierten Ungeduld ist Teil eines Geschäftsmodells, das den gut informierten Kunden scheut wie Square Enix jedwede klare Positionierung zur eigenen Werbekampagne von Deus Ex: Mankind Divided. Bisher gab es keine Atempause zwischen den herstellerkreierten Pseudoinformationen der wiederkäuenden Vorberichterstattung und den anschließenden Besprechungen der tatsächlichen Spielinhalte, die sich mittlerweile zum Releasetag sowieso noch einmal drastisch ändern können. Dieses Luftholen ist jedoch dringend notwendig, erlaubt es doch eine viel ruhigere und hypebereinigte Auseinandersetzung mit der Qualität eines neuen Titels. Unklarheit und Skepsis sind die arg vernachlässigten Geschwister der Vorfreude, die bisher für jede Vorbestellung und jeden Impulskauf stets in den Kleiderschrank gesperrt wurden. Doch ihr Klopfen an dessen Türe wäre kaum noch zu überhören, wenn plötzlich für mehrere Tage ein Wertungsvakuum entstünde.

Wer die bisherigen Zeilen mit einem belächelnden Kopfschütteln gelesen hat, tat dies aus gutem Grunde. Natürlich sieht die Realität anders aus. Statt mit Gelassenheit und neu entdeckter Distanz einen aktuellen Titel zu sezieren, werden Wertungstagebücher und Zwischenstände so schnell es eben geht herausgehauen, um sich vom kleinen Topf der großen Klicks den größtmöglichen Anteil zu sichern. Statt diesen Bruch mit der Bemusterungstradition als günstige Gelegenheit zu betrachten, die eigene, oftmals gar nicht mal so sachdienliche Arbeit zu hinterfragen, gibt es nun noch knapper bemessenere Deadlines und noch hastiger runtergeratterte Allgemeinplätze, die so informativ sind, wie Square Enix‘ Aussagen zur eigenen Werbekampagne von Deus Ex: Mankind Divided. Ernsthaft: Was ist da los bei Square Enix?!

heiko klinge

“Vielleicht werden wir in Zukunft also nicht immer die ersten sein, die eine Wertung vergeben. Aber wir wollen lieber diejenigen sein, auf deren Urteil man wirklich vertrauen kann.” — Heiko Klinge

Und auch auf Spielerseite wird man Änderungen des Kaufverhaltens eher nicht beobachten können. Der Pre-Order-Bonus-Nonsens wird vielmehr gestärkt als abgeschwächt, da es keine verfrühten Negativwertungen und Leaks mehr gibt, die gut und gerne für die eine oder andere Stornierung sorgen konnten. Letzten Endes sieht der Status Quo bereits seit Jahren Veröffentlichungsembargos für die Berichterstattung zu nahezu jedem wichtigen Titel vor und da dieser Vorgang außer ein wenig Geschrei nichts bewirkte, ist Bethesdas Vorhaben schlichtweg der nächste logische Schritt zur frühzeitigen Sicherstellung der eigenen Gewinnerwartungen.

Es bleibt also eher mäßig spannend, ob andere Spielehersteller mit ihrer Reviewpolitik nachziehen werden oder nicht. Die Grundproblematik des Videospieldiskurses bleibt in jedem Fall bestehen: Zu viel, zu schnell und so nah an der Marketingmaschinerie dran, dass sich manch ein Rezensentenarm darin zu verklemmen droht. Letztlich kann dennoch jeder für sich selbst entscheiden, wie viel Aussagekraft er den besonders frühen Spielbesprechungen beimisst und wie lange er seine Geldscheinchen für sich behält. Doom ist schließlich immer nur der, der Doomes tut!


Vorveröffentlichungskolumne: Der letzte Satz spiegelt nicht die tatsächlichen Wortspielfähigkeiten des Autors wider und unterliegt möglichen Änderungen in der finalen Version dieses Textes.