Gedankenspiele: Über ungehörte Synchronstimmen
Er wird es vielleicht nicht so beabsichtigt haben, aber ausgerechnet Nolan North, die Stimme von Nathan Drake und diesjähriger “Game Award”-Gewinner, hat seinem Berufsstand mit seiner vieldeutigen Dankesrede einen waschechten Bärendienst erwiesen. Einen Waschbärendienst, sozusagen. Es mag demütig und genügsam geklungen haben, wie er seinen eigenen Anteil am Mammutprojekt der Uncharted-Entwicklung kleinredete und darauf verwies, wie viel härter doch die beteiligten Entwicklerinnen und Entwickler für den Erfolg schuften mussten. Dies dürfte zwar durchaus den Tatsachen entsprechen, jedoch untergräbt er gleichzeitig mit seiner getroffenen Wortwahl die gestellten Forderungen seiner gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen, die sich unter dem Schlachtruf #PerformanceMatters seit Oktober im Streik befinden. Dieser wurde von North wie folgt zweckentfremdet:
Nolan North“Ich will ganz offen sein. Ich möchte mich bei einigen Leuten von Naughty Dog bedanken. Und zwar bei allen. Ich höre in letzter Zeit immer wieder, dass Leistung zähle. Und das tut sie auch. Die Leistung jedes Designers, jedes Programmierers, jedes Künstlers, jeder hart arbeitenden, talentierten Person in diesem Büro… deren Leistung ist so bedeutsam… bedeutsamer als meine eigene. Bei all dem derzeitigen Gerede ist es entscheidend, sich das zu vergegenwärtigen. Denn ohne ihre Leistung wäre meine Leistung irrelevant – sie würde gar nicht existieren.”
— youtube.com
Worte, welche die Arbeit als Synchronsprecher im Verhältnis so unbedeutend erscheinen lassen, dass die seit geraumer Zeit gestellten Ansprüche vermessen und der aus ihnen resultierende Streik unangebracht wirken. Dabei wäre eine Veranstaltung wie die Game Awards eine wunderbare Gelegenheit gewesen, auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen der weniger privilegierten Sprecherinnen und Sprecher aufmerksam zu machen, auch wenn Nolan selbst, wie er betont, nicht dieselben Erfahrungen gemacht habe.
Im Wesentlichen geht es um folgende drei Streitpunkte:
- Eine Beteiligung am Gewinn oder Boni im Falle von besonderen Verkaufserfolgen sind in anderen schauspielerischen Bereichen gängige Praxis, doch werden Synchronsprechertätigkeiten für Videospiele meist lediglich mit einem Pauschalbetrag vergütet.
- Wer sich auf eine Rolle bewirbt, weiß oftmals vor Vertragsabschluss nicht, was diese umfasst oder gar für welchen Titel man überhaupt gebucht wird. Ein solcher Mangel an Transparenz hat zur Folge, dass Sprecherinnen und Sprecher weder abschätzen können, ob sie sich tatsächlich auf ein Projekt einlassen wollen, noch können sie informierte Vertragsverhandlungen führen, um etwa für große Titel ein höheres Honorar einzufordern.
- Zusätzliche Vorbeugungsmaßnahmen zum Stimmenerhalt am Set, die bisher hauptsächlich aus der Versorgung mit Wasser und Tee bestehen, aber nicht etwa aus regelmäßigen Pausen.
Selbst wenn es einem Schnuppe sein sollte, ob ein Synchronsprecher nun regelmäßig seine Miete zahlen kann oder ob er sich nach einer zwölfstündigen Aufnahmesession von verschiedenen Schmerzensschreien und Sterbegeräuschen die Stimmbänder entzündet und monatelang nicht arbeiten kann, so sollte man auch als jemand, der schlichtweg gerne erzählerisch gut gemachte Titel spielt, beim zweiten Punkt hellhörig werden. Der Name Keythe Farley wird den wenigsten etwas sagen, doch wer Fallout 4 im Originalton gespielt hat, kennt definitiv seine Stimme. Farley ist der Synchronsprecher von Kellogg, eine der Hauptfiguren innerhalb der zugegeben etwas wabbeligen Story des Spiels. Nur wusste Farley das selbst nicht, bevor seine Aufnahmen abgeschlossen waren. Ein Zettel mit den eigenen Dialogzeilen war alles, was ihm als Vorbereitung auf seine Rolle zur Verfügung gestellt wurde. Nicht die allerbesten Voraussetzungen also, um überzeugende oder gar unvergessliche schauspielerische Leistungen abrufen zu können. Und genau diese sind erforderlich, wenn sich Videospiele erzählerisch weiterentwickeln sollen.
“I can’t imagine if there’s any other acting job in the world, where you don’t know what show you’re in, when you’re hired.” – Keythe Farley
Dass die Leistung von Synchronsprecherinnen und Synchronsprechern keineswegs so unbedeutend ist, wie Nolan in seiner Rede vorzugeben scheint, zeigen Titel wie Portal 2 oder Firewatch, in denen die Stimmarbeit eine tragende Säule für das gesamte Spielkonzept darstellt. Portal 2 wäre nur eine lose Ansammlung von Puzzleräumen, wenn nicht der stetige Wechsel zwischen dem schrulligen Knutschkugelorgan von Wheatley und der diabolisch-zynischen Computerstimme von GLaDOS eine ganz eigene narrative Dynamik erzeugen würde. Noch omnipräsenter und einprägsamer ist die stimmliche Leistung in Firewatch. Delilah, eine der zentralen Figuren des Spiels, wird lediglich über ein Funkgerät wahrgenommen, dennoch entstand im Verlaufe des Spiels ein klares Bild von ihr und ihren Wesenszügen in meinem Kopf. Großartige Synchronstimmen tragen alles in sich – die Mimik, die Gestik, das Lachen und den Schmerz. Doch können sich diese nur entfalten, wenn Sprecherinnen und Sprechern vor den eigentlichen Aufnahmen auch der nötige Kontext ihrer Arbeiten vermittelt wird.
Delilah aus Firewatch (links)
Im Nachhinein will Nolan North seine Rede als erweiterte Kritik an den Arbeitsbedingungen in allen Bereichen der Spielentwicklung verstanden wissen. Ein nobles Motiv, das einen entscheidenden Haken aufweist. Indem er von den konkreten Verbesserungswünschen einer einzelnen Personengruppe ablenkt und deren Anliegen unter allgemeinen und vagen Problemen mehrerer, nicht genauer definierter Gruppen begräbt, schwinden die Chancen, dass sich zumindest partiell eine Verbesserung einstellt. Wenn eine der bekanntesten und profiliertesten Gaming-Stimmen die eigene Arbeit als unbedeutend für das Gesamtergebnis proklamiert, nimmt er der darbenden Basis jedwede Verhandlungsgrundlage, um die eigene Existenz nachhaltig zu sichern und letztlich auch um eine bessere Arbeit abliefern zu können. Dass sein Schaffen vielleicht doch nicht so irrelevant ist, wie Nolan hier behauptet, hätte ihm spätestens klar werden müssen, als er die Synchronarbeit eines gewissen Peter Dinklage komplett neu einsprechen durfte, weil diese nicht den Qualitätsansprüchen zahlreicher Destiny-Spieler genügte.
Letztlich ist jedoch nicht zu bestreiten, dass eine generelle Kritik an den Arbeitsbedingungen in der Gaming-Branche angebracht ist. Insbesondere die ins Groteske ausufernden Arbeitszeiten aller beteiligten Personen ist ein Dauerproblem und etwaige Nachbesserungen aufgrund des Streiks im Synchronstimmenbereich könnten Signalwirkung auch für andere Bereiche haben. Doch diese in den Fokus zu rücken ist gründlich misslungen. Denn Nolan North betrifft das alles nicht. Er hat seinen Award. Vermutlich auch, weil er nicht dieselben Arbeitsbedingungen vorgefunden hat, über die sich andere beklagen. Arbeitsbedingungen, die schlussendlich dazu führen, dass viele andere talentierte Stimmen in absehbarer Zeit verstummen werden.