Steam: Mit Volldampf Richtung Sofa

Dieses Mal musste es eigentlich so weit sein. Seine exakt dreigeteilte Ankündigung hatte Valve standesgemäß mit einer weiteren Ankündigung angekündigt und damit Hoffnungen geschürt, die eigentlich seit Jahren dieselben sind. Als schließlich zum Finale ein neuer Controller und nicht Half Life 3 enthüllt wurde, kam es manchem fast so vor, als habe Gabe Newell höchstpersönlich den riesigen Elefanten im Raum erschossen und spiele nun auf frisch geschnitzten Elfenbeintasten „Triage at Dawn“ in einer Endlosschleife. Unter dem riesigen Berg der Enttäuschung ging es fast ein bisschen unter, dass Valves Internet-Vertriebsplattform Steam nachträglich zum 10-jährigen Jubiläum Wachstumshormone in einer bisher ungekannten Größenordnung gespritzt bekommt, so dass ihr der Sieg bei der Tour de France für die nächsten sieben Jahre fast sicher scheint. Mit SteamOS, Steam Machines und Steam Controller geht die Eroberung des heimischen Wohnzimmers, die mit Big Picture vor gar nicht allzu langer Zeit begann, in die nächste, vielleicht sogar in die entscheidende Runde. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Steam gegen die anderen Schwergewichte im Ring Bestand haben kann?

Steam Livingroom

Diese Schwergewichte, mit denen Valve ab dem kommenden Jahr in den Infight geht, heißen dann Apple und Microsoft und die boxen in einer anderen Liga als die bisherige Fliegengewichtskonkurrenz seitens EAs Origin oder Ubisofts Uplay. Das zuerst vorgestellte SteamOS, ein auf Linuxbasis funktionierendes, eigenständiges Betriebssystem, ist deshalb eine pikante Angelegenheit, hat Steam doch bisher hauptsächlich über deren Betriebssysteme Windows und MacOS seine Verbreitung gefunden. Das Junge wird also flügge und zieht bei den Eltern aus, die es so lange so sorgsam großgefüttert haben. Ein wichtiger Schritt in die Unabhängigkeit, wenn auch ein Bein in der Tür des Elternhauses verharrt. SteamOS soll nämlich vor allem mit seiner Streamfähigkeit glänzen, die Kompatibilität zu der über 3.000 Spiele umfassenden Bibliothek ist aufgrund des Linuxfundaments bisher allerdings nur begrenzt nativ vorhanden, so dass für den Start ein Windows- oder MacOS-Zweitgerät zum Streamen vieler Titel unerlässlich sein wird. Auf lange Sicht und mit zunehmender Verbreitung von SteamOS sollte diese zusätzliche Voraussetzung jedoch an Bedeutung verlieren.

SteamOS

Neben diesen spärlich preisgegebenen technischen Grundlagen des neuen Betriebssystems, kündigte Valve auch dessen besonderen Fähigkeiten an. Zu dem bereits genannten Streamen von Spielen (und anderen Medieninhalten) gesellen sich eigenständige Funktionen, wie das „Family Sharing“, mit dem man die eigene Spielbibliothek innerhalb eines kleinen Nutzerkreises teilen kann. Ein integrierter Workshop, der es Nutzern gestatten soll, eigene Inhalte und Funktionen zu SteamOS hinzuzufügen und mit anderen Nutzern zu teilen, ist ebenfalls mit an Bord. Zusätzlich gibt es ordinärere Funktionen, wie etwa einen Cloud-Dienst und eine integrierte Nachrichtenfunktion für die Kommunikation mit anderen Steam-Nutzern.

Knapp 48 Stunden nach der Präsentation von SteamOS präsentierte Valve schließlich das, was in der Gerüchteküche schon Monate vorher unter dem Begriff „SteamBox“ vor sich hin köchelte. Was landläufig als ein Angriff Valves auf den Konsolenmarkt verstanden wurde, ist jedoch nicht mehr als eine Sammlung verschiedener selbstgebauter Rechner, die unter dem Namen Steam Machines firmieren. Wenn ich die Beschreibung richtig interpretiere, wird die Ausstattung der Geräte dabei höchst unterschiedlich ausfallen – vom abgespeckten reinen Medienserver bis hin zur Highend-Gaming-Maschine dürfte jeder Bereich abgedeckt sein, selbstredend mit SteamOS als Grundlage für alle. Genaue Spezifikationen der Geräte sind derzeit noch nicht im Umlauf, genauso wenige Informationen dazu, ob es hardwareseitige Merkmale gibt, welche die Steam Machines von herkömmlichen Rechnern anderer Hersteller unterscheiden. SteamOS allein birgt jedenfalls wenig Differenzierungspotential, da es kostenfrei auch für Rechner anderer Hersteller verfügbar sein wird.

Steam Machines

Bleibt noch die dritte Enthüllung, die nicht Half Life 3 war. Ist es Left 4 Dead 3? Oder Portal 3? Oder wenigstens Team Fortress 3? Nein, es ist Steam Controller! Ganz ohne 3! Das letzte fehlende Stück von Valves Wohnzimmereroberungspuzzle, das die ganze Geschichte rund und fett machen soll. Ein Eingabegerät mit frischem Design und mutigen Trackpads statt öder Penübbel, wie sie seit etlichen Jahren zum schaurigen Standard für Gamepads gehören. Dazu ein modischer Touchscreen in der Mitte und die hohe Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse des Benutzers, die auch schon SteamOS und die Steam Machines auszeichnen. Wie sich das Teil anfühlt? Wie schwer die Umgewöhnung von Analogsticks hin zu Trackpads ist? Das weiß man derzeit wohl höchstens bei Valve selbst, denn etwas Greifbares gab es auch bei der letzten Enthüllung nicht.

Steam Controller

Im Prinzip ist man also genauso schlau wie vorher. Man ahnt die Richtung, in die Valve gehen will, weiß aber nicht wirklich, ob sie es bis ins Ziel schaffen. Dass Gabe Newell nun kein marktschreierischer Brüllaffe wie Steve Ballmer ist und auch kein selbstbeweihräuchernder Rollkragenpully mit Beinen, so wie sich Steve Jobs einst bei seinen Produktvorstellungen präsentierte, ahnte man ja bereits. Dass aber am Ende keine wirklich fassbaren Informationen und kein detailliertes Bildmaterial zu den vorgestellten Innovationen präsentiert wurden, erinnert ein wenig an die berühmte Szene aus Basic Instinct, in der Sharon Stone lasziv ihre Beine übereinander schlägt. Man hat das Gefühl, etwas wirklich Aufregendes gesehen zu haben, aber sowohl Sharon als auch Gabe haben zu keiner Zeit die (Unter-)Hosen wirklich fallen lassen.

Der Mangel an Konkretem lässt somit zumindest leichte Zweifel an der absoluten Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Neuausrichtung seitens Valve aufkeimen. Man verlässt bekanntes Terrain und versucht sich in einem Markt, der bisher nicht zur Kernkompetenz des Unternehmens zählte. Ein gewisses Risiko des Scheiterns wird in Kauf genommen, weil der mögliche Zugewinn so verführerisch ist. Die wundervolle neue Wohnzimmer-Streaming-Welt stellt in gewisser Weise aber auch eine Abkehr vom klassischen, kompetitiv ausgerichteten PC-Gamer dar, dem möglichst präzise Eingabemethoden und die Verzögerungsfreiheit bei Ein-und Ausgabe von Befehlen und Bildsignalen wichtiger sein dürften, als sich sein Spiel gemütlich auf den Großbildfernseher streamen zu lassen. Das scheint auch Valve erkannt zu haben und wirkt auffallend beschwichtigend in den FAQs zu seinen neuen Produkten. Alles kann, aber nichts muss. Wer zufrieden ist, der wird es auch bleiben, so der Grundtenor. Hier fährt also ein Unternehmen lieber zweigleisig, statt seine Kunden von der Dringlichkeit seiner neuen Entwicklungen zu überzeugen. Es ist zudem fraglich, ob sie mit dieser medial wenig beachteten Präsentation überhaupt die Menschen erreichen, für die all diese tollen neuen Features interessant wären, also Familien und gemütlichen Gelegenheitszocker, denen Input-Lag ein Fremdwort ist. Oder ein Lehnwort, von mir aus. Hat ja nicht jeder Linguistik studiert.

Doch nicht nur valveintern gibt es Grund zur Unschlüssigkeit, auch äußere Faktoren können eine ganz entscheidende Rolle für den Erfolg des Wohnzimmerfeldzugs spielen. Zum einen fehlt bisher zu weiten Teilen die Differenzierung von der starken Konkurrenz, die schon seit Jahren mit ähnlichen Funktionen Kasse macht. Einen Mediaserver hat mittlerweile wohl jeder zu Hause stehen, der gerne einen hätte, bei Bedarf sogar mit dafür angepasstem Linux. Zum anderen wird auch Valve mitbekommen haben, mit welch massiver Skepsis nach wie vor dem letzten Schritt Richtung Always-Online-Systemen, wie etwa der Xbox One oder Googles Betriebssystemflop Chrome OS, begegnet wird. Sei es nun bedingt durch mangelhafte Breitbandabdeckung oder durch die jüngsten Datenschutzskandale — SteamOS wird es in einem solch gereizten Klima nicht leicht haben, sich durchzusetzen. Zumindest, wenn es denn tatsächlich eine dauerhafte Internetverbindung benötigt, was die vorgestellten Funktionen aber auf jeden Fall suggerieren.

Big Picture

Dennoch darf man davon ausgehen, dass ein Grundinteresse an den zahlreichen Neuerungen vorhanden ist. Valve wird mit seinen Marketinghausaufgaben schließlich nicht noch mal zur Schülerhilfe müssen. Das sind Profis. Eiskalte Profis! Und deshalb wissen sie auch, dass man neue Plattformen am besten mit Inhalten verkauft, nach denen sich die Masse die Finger leckt. Hat ja 2004 auch ganz gut geklappt. Darum ist Steam heute unser digitales Spieleregal, dessen inhärentes DRM eine beinahe grotesk anmutende Subtilität im Bewusstsein seiner Nutzer erlangt hat. Dessen schwerwiegende Nachteile in unserem Unterbewusstsein verhungern, weil die Quantität und Qualität der Inhalte über jedwede Kritik erhaben ist. Das zukünftige Steam hingegen möchte eine komplette Inneneinrichtung sein, die sich diese Subtilität erst noch erarbeiten muss. Die Zahl 3 könnte diesbezüglich Wunder bewirken.