PLAY14: Der Rückblick

Am vergangenen Samstag endete das diesjährige PLAY-Festival für kreatives Computerspielen in Hamburg. Marcus, Hendrik und Nina waren vor Ort und berichten hier von Ihren Eindrücken der letzten Tage.


Marcus Ein Blick ins Programmheft und ich wusste, ich würde mehr verpassen als sehen können. Unzählige Veranstaltungen, eine ebenso schwer zu überblickende Anzahl an Standorten und viel zu wenig Zeit, da kann es als Wink des Schicksals gedeutet werden, dass nicht zuletzt durch das parallel stattfindende Reeperbahn-Festival das trendige Akronym FOMO Einzug in meinen sonst so starren aktiven Wortschatz gefunden hat.

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Dabei wirkte das PLAY-Festival letztlich gar nicht so überladen und chaotisch, wie es dessen verworrener Zeitplan suggerierte. Selten habe ich ein so entspanntes und persönliches Festival erlebt, was nicht nur der überschaubaren Teilnehmerzahl bei den jeweiligen Veranstaltungen geschuldet ist, sondern auch den Möglichkeiten, sich selbst einzubringen und auszutauschen. So erfuhr ich den ansteckenden Enthusiasmus eines aufstrebenden Spielentwicklers aus erster Hand, verhinderte mit dämlichen Wortwitzen die Chance, mit Michael Schulze von Glaßer über Games’n‘Politics zu diskutieren und sah Neuntklässlern dabei zu, wie sie sich von lärmenden Störenfrieden in verschämt-scheue Kitzlein verwandelten, sobald sie ihr zuvor angefertigtes Sims-Machinima auf der Bühne präsentieren sollten. Das in diesem Rahmen ebenfalls gezeigte, fast schon erschreckend souverän vorgetragene Let’s Play über den Holzfäller Simulator, tröstete mich schließlich auch über den verpassten Kurzvortrag zum Gender-Thema hinweg, den wir fälschlicherweise an einem anderen Ort vermuteten.

Dieser Fauxpas war zum Großteil sicher eigenes Planungsunvermögen, jedoch bietet die Organisation ebenso veranstalterseitig für die Zukunft noch Luft nach oben. Weniger Fragmentierung bei den Veranstaltungsorten wäre wünschenswert, auch ähnlich gelagerte Themen an gleicher Stätte stattfinden zu lassen. Zudem fehlte insbesondere der Hauptausstellung am Alsterdamm ein erkennbarer roter Faden. Diese wirkte eher wie ein willkürliches Sammelsurium an Spielkram, bei dem Anita Sarkeesians Videoreihe sich zusammen mit der Oculus Rift und süßem Super-Mario-Backwerk einen Raum teilen musste. Deutlich gelungener empfand ich dagegen die Zusammensetzung der Gäste bei den einzelnen Talkrunden, die von einem bestens aufgelegten Uke Bosse geleitet wurden. Auch wenn die Diskussionen über Spielejournalismus oder Frauen und Videospiele sicher keine großartigen Erkenntnisse boten, war es doch sehr erholsam, nach den ermüdenden Sexismus- und Korruptionsvorwürfen der vergangenen Wochen endlich einen tatsächlichen Dialog verfolgen zu können. Schön auch, dass es sich Game-Designerin Lea Schönfelder trotz aller gebotenen Ernsthaftigkeit des Gesprächs nicht nehmen ließ, mit ihrer fast ansatzlosen Abneigungsbekundung gegenüber Hardcore-Gamern den Saal zu erheitern.

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Selbige Person zeichnet sich auch mitverantwortlich für mein spielerisches Highlight des Festivals. Ihr kinectgesteuertes Perfect Woman stellt mit einer erfrischenden Leichtigkeit die Schwierigkeiten bei der Lebensfindung moderner Frauen dar, die sich ein möglichst erfülltes Dasein mit Karriere, Beziehung und Familie wünschen. Je mehr man in seiner Zeit auf Erden unterbringen will, desto unmöglicher werden die Verrenkungen, die man vor der Kamera nachahmen muss. Zu sehen, wie Hendrik versucht ein adoptiertes Kind am Strand großzuziehen, Außenministerin zu werden und in hohem Alter noch einmal als Call-Girl zu arbeiten, ist auf jeden Fall eine der schönsten Erinnerungen an ein Festival, das seinen Reiz für mich mehr aus der menschlichen als aus der Bildschirm-Interaktion gezogen hat.


Hendrik Ich weiß nicht, ob es Absicht war, dass die Veranstalter Nidhogg so positionierten, dass es jedem Besucher der Ausstellung als erstes ins Auge fällt, aber ich unterstelle das mal. Erscheint es mir doch wie eine Einladung an all die Nichtsotiefindermateriestecker, Mainstreampressemenschen und Pädagogen samt hergezwungenen Schüler, die flüstert: “Hey, wir Indiespiele sehen vielleicht eigenartig und altmodisch aus, aber zelebrierte Gewalt gibt es auch bei uns! Setz dich und stich ihm ins Gesicht!” Das lautstarke Jauchzen Halbwüchsiger auf der Nidhogg-Couch wurde dementsprechend nur von den dröhnenden Ventilatoren am Oculus-Rift-Stand übertönt, die FahrtFlugwind simulierten und in der “Fair-Play”-Genderabteilung etwas deplatziert wirkten. Weitaus weniger Besucher trauten sich an Crypt of the Necrodancer, dessen Installation einem besonders perfiden Hirn entsprungen zu sein schien: Unbeleckte Menschen, die verzweifelt versuchen, ihren Aktionen einen Sinn zu entnehmen, während sie ein rhythmusbasiertes(!) Roguelike(!!) auf Tanzmatten(!!!) zu spielen versuchen, sind ein wahrhaft köstlicher Anblick.

Nicht unerwähnt bleiben sollte “Sounds of Love?”, das PLAY14-Gamejamjamgame in Form eines etwa dreiminütigen Filmchens über die unmögliche Liebe zwischen einer äußerst muskulösen Frau und einem Roboter (oder so, es war schon spät), welches von den Spielern mit allerlei Videospiel-, Cartoon- und Körperfunktionssoundeffekten live untermalt werden kann; noch nie fand das Metal-Gear-Fuck-ich-wurde-erwischt-Geräusch in einem romantischeren Kontext statt.

Play 14 Festival

Mein persönliches Highlight der ausgestellten Spiele war allerdings Framed. Es folgt: Eine Mini-Review.

Unsere Gehirne sind super darin, Lücken zu füllen, Kontext zu kreieren. Eine Stelle, an der dies besonders offensichtlich ist, ist zwischen den Panels von Comics. Klar, ein gutes Comic hält diese Lücken klein, macht es einfach und eindeutig, wer sich wohin bewegt und was geschieht. Nichtsdestotrotz beeindruckend.

Stellt euch diese Comic-Panels vor, nebeneinander:

Ein Mann mit Trenchcoat und Aktentasche steht am Rand eines Hausdaches, mit dem Rücken zum Abgrund.

Ein Revolver im Profil, ein Finger zieht den Abzug.

Ein Blick aus der Perspektive des Schützens durch die nun leere Patronenkammer auf den Mann aus dem ersten Panel.

Beine in Großaufnahme, die rückwärts vom Dach ins Leere treten.

Wenn dein Gehirn jetzt keinen klaren Kontext erschaffen kann, was im obigen Szenario passierte, nehm ich die Schuld ob meiner ungenügend genauen Nacherzählung auf mich (oder du leidest an Cartoon Blindness). Für den Rest dieses Textes geh ich aber davon aus, dass wir alle der Meinung wären, dass da ein Kerl auf einem Dach stand, erschossen wurde und fiel.

Framed von Loveshack Entertainment bittet dich nun, den alten Streichholztrick zu machen. Du kennst das, oder? Lege einen Streichholz um, um den Kern aus dem Glas zu holen oder damit die Rechnung aufgeht. Nur werden hier Comicpanels statt Zündhölzer bewegt.
Vertauschen wir im obigen Beispiel das zweite und dritte Panel, ändert das den gesamten Kontext:

Der Mann steht weiterhin am Abgrund, aber…

der Lauf der auf ihn gerichteten Pistole ist, wie wir nun sehen, leer.

Der Finger zieht den Abzug, aber kein Schuss fällt…

und anstatt tödlich getroffen zu fallen, springt der Mann unverletzt rückwärts vom Dach auf einen praktischerweise gerade rechtzeitig unten langfahrenden Müllwagen.

Und gerade, wenn man das Gefühl hat, die Spielmechanik durchschaut zu haben, brechen Loveshack Entertainment ihre eigenen Regeln: Plötzlich gibt es drehbare Panels, breitere Panels, die sich hochkant stellen lassen und so die Reihenfolge der übrigen verändern, und vermutlich noch mehr, denn ich kam schon recht bald nicht mehr weiter. Ein superschicker Grafikstil, eine wortlos erzählte Geschichte, ein Video, wenn ihr mir nicht glaubt:

Framed ist gerade dabei, rund um den Erdball Preise einzufahren, ein Releasetermin steht noch nicht fest.


NinaSamstag, 12 Uhr. Ich sitze im Hamburger Alsterdamm auf einer weißen Ledercouch und lausche dem sanften Rauschen des neben mir schwebenden Bergs, der hier und da das Geschehen seltsam treffend kommentiert. Leise erklingen Geräusche aus den drei nahegelegenen Ausstellungsräumen, im Foyer versuchen derweil einige Mitglieder des Organisationsteams zusehends verzweifelt, einen anderen Berg abzutragen – nämlich jenen belegter Brötchen, deren Anzahl die der zahlenden und essenden Gäste gerade deutlich übersteigt.

Am Abend des gleichen Tages präsentiert sich ein ganz anderes Bild: Dicht an dicht sitzen die Veranstalter_innen und Besucher_innen des Festivals biertrinkend auf Bänken, unterhalten sich angeregt über die Ereignisse der letzten Tage und sehen sich interaktive Workshopergebnisse an, während im Nebenraum eine Band spielt.

Dieser deutliche Kontrast zwischen merkwürdiger Stille und drastischer Reizüberflutung, zwischen leeren Fluren und angenehmem Gedränge ist es, der mir vom PLAY14-Festival am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist. Und auch das Programm selbst polarisierte, schwankte gefühlt zwischen den Extremen lupenreiner Massenkompatibilität und verworrenem Avantgardismus, zwischen Minecraft-Arbeitskreisen, „Live Let’s Plays” und Spielepoesie. Nur klaffte zwischen den wohlwollend präsentierten Enden dieses Spektrums eine relativ breite Lücke, gab es vergleichsweise wenige Schnittpunkte. Allein Nidhogg schien die Massen magisch anzuziehen. Wann immer man davor Platz nahm, kam zuverlässig die Frage auf, wann man denn wieder aufzustehen beabsichtigte. Lange stillzusitzen kam bei den sich fast pausenlos abwechselnden oder parallel stattfindenden Programmpunkten aber ohnehin nicht in Frage, und das muss man anerkennen: Gerade durch die erstmals veranstaltete, zweitägige PLAY-Conference gab es derart viel zu tun und zu sehen, dass ungeachtet der persönlichen Vorlieben oder Abneigungen wenig Langeweile aufkam.

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Auch schlugen die zahlreichen Gesprächsrunden, in den Konferenzräumen ebenso wie bei den Nachmittagtalks im Alsterdamm, die zuvor vermisste Brücke zwischen Mainstream und Indie, indem Spiele schlicht als Teil der Gesellschaft verortet und entsprechend behandelt wurden – sei es durch ihren möglichen Einfluss auf geschlechtsspezifisches Rollenverhalten, ihre Nutzung über die Gamification von Arbeitsprozessen oder die Austragung realer Konflikte im digitalen Raum. Bedauerlich nur, dass – wohl nicht zuletzt durch die strikte räumliche Abspaltung von allen anderen Programminhalten – im Publikum überwiegend Menschen saßen, die mit all diesen Themen und Thesen bereits vertraut waren. “Let’s Play”-Fans dürften sich nur wenige dorthin verirrt haben. Und genau das ist der größte Kritikpunkt: So zentral und leicht erreichbar die meisten Veranstaltungsorte auch waren, gab es derer einfach zu viele. Das hatte zur Folge, dass sich einige der Teilnehmenden mutmaßlich kein einziges Mal über den Weg liefen, eine recht strikte Trennung zwischen reiner Bespaßung und intensivem Diskurs erfolgte, und die Räumlichkeiten vielfach mehr oder minder verwaist erschienen. Das aber mag der Größe des Festivals und dem erst vor zwei Jahren duchgeführten Umzug nach Hamburg geschuldet sein und lässt auf eine künftige Optimierung hoffen. Und ob man sich nun in einer leeren Sitzgruppe wiederfand oder verwirrt nach dem richtigen Weg suchte – lange blieb man nie allein.