Technische Innovationen, die mit dem Versprechen angekündigt werden, unser Sexleben zu revolutionieren, sind beileibe keine Seltenheit. Schon seit der Begriff “Virtuelle Realität” erstmals geprägt wurde, unternahm man aus heutiger Sicht unbeholfene Versuche, Zukunftsszenarien für unser intimes Erleben zu zeichnen. Doch erst mit der Ankündigung der Oculus Rift und einer damit einhergehenden Salonfähigkeit bzw. Wohnzimmertauglichkeit von VR-Equipment schien die Umsetzung dieser utopischen Vorstellung in greifbare Nähe zu rücken.
Kaum wurden die ersten Developer Kits verschickt, tauchten zahlreiche Software-Demos auf, in denen spärlich bekleidete oder nackte virtuelle Frauen die Spielenden umgarnten. Bald darauf wurden diese zunächst nur passiv konsumierbaren Pornosequenzen in interaktive Erlebnisse verwandelt – durch den Einsatz von zum Teil recht abenteuerlich aussehenden Konstruktionen. Auf Technikmessen wirbelten junge Männer aufblasbare, mit Schulmädchenoutfits bekleidete Torsos umher, die über Sensoren diese “Eingaben” auf ein computergeneriertes Modell übertrugen, oder funktionierten für andere Zwecke gedachte Eingabegeräte kurzerhand in Masturbationshilfen um.
Letztere Idee, die ihren Ursprung in einem Game Jam nahm, griff der japanische Sexspielzeughersteller Tenga auf und entwickelte in Kooperation mit dem Softwarestudio Illusion einen ersten Prototypen, der sogar einem westlichen Publikum mit der wenig bescheidenen Ankündigung vorgestellt wurde, die “Zukunft der Selbstbefriedigung” einzuläuten. Ein Journalist indes, der selbst Hand an Hard- und Software anlegen durfte, zog ein weniger euphorisches Fazit:
Brian Merchant “It was more creepy than erotic—especially given that I was blindly bumping my pelvis into a plastic red tube gripped by a robot at 3 pm, in broad view of the VICE lobby where a growing number of visitors were craning their necks with puzzled looks on their faces. It was a special kind of comic embarrassment.”
— motherboard.vice.com
Umringt von Schaulustigen in einem Redaktionsraum mit ungelenken Hüftstößen ein virtuelles japanisches Schulmädchen zu penetrieren, dürfte den wenigsten Menschen erregend erscheinen, aber darüber hinaus schmälerte noch etwas ganz anderes die libiduösen Aktivitäten des Autors:
“The creepiest thing about all of this wasn’t even the robot handjob, but the melancholic submissiveness of the avatar they’d rendered. I felt empathy with the character, but not the kind I was probably intended to.”
Schöpfer dieser melancholiegeplagten Gespielin ist der Urheber auch im Westen bekannter Spiele wie “Battle Raper” und “RapeLay”, deren Titel zahlreiche Schlagzeilen US-amerikanischer Zeitungen schmückten, als bekannt wurde, dass letzteres trotz seines kontroversen Inhalts lange über Amazon frei erhältlich war. Als Vergewaltigungssimulation identifiziert, wurde es nach einigen Diskussionen auch auf politischer Ebene schließlich verboten. Das Portfolio von Illusion jedoch wurde seither großzügig um Spiele ähnlichen Inhalts erweitert und so verwundert es nicht, dass sich dieser thematische Fokus – wenngleich dezenter – auch in der “VR Tenga”-Demo widerspiegelte. Bald nach der initialen Berichterstattung wurde es jedoch schnell ruhig um das Projekt, weitere Ankündigungen bezüglich der Entwicklung und einer möglichen Veröffentlichung gab es nicht.
Dieses Schicksal ereilt viele interaktive VR-Projekte, deren Fokus auf Sex liegt. Immer wieder kündigten in den letzten Jahren einzelne Entwickler und Start-Up-Unternehmen an, die ersehnte Innovation endlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und immer wieder verschwanden sie urplötzlich im Nichts. 2012 versprach das kalifornische Start-Up Sinful Robot mit immersiven erotischen Begegnungen in der virtuellen Realität Erwachsenenunterhaltung “auf ein neues Level” zu heben. Mit “Mass Effect” als Vorlage wollte man sich von den simplen Sexsimulationen entfernen und stattdessen ein umfangreiches Adventure entwickeln, das im Episodenformat erscheinen und späterhin um eine weibliche Hauptfigur sowie homo-, bi- und transfokussierte Inhalte ergänzt werden sollte. Das Projekt wurde zwar nie offiziell eingestellt, aber Finanzierungsschwierigkeiten und seit mittlerweile zwei Jahren ausbleibende Neuigkeiten lassen vermuten, dass mit einem Prototypen nicht mehr zu rechnen ist.
Nun wagt sich mit der Eos Creative Group ein neues Team daran, die Entwicklung interaktiver Pornografie voranzutreiben. Über eine Crowdfunding-Kampagne soll das nötige Geld gesammelt werden, um die bereits entwickelte Kreuzung aus Gamepad und künstlicher Vagina auch produzieren zu können. Anders als das interaktive Fleshlight kann der “VirtuaDolls”-Controller nicht nur die Stöße des Spielers ins Spiel übertragen, sondern umgekehrt durch einen motorbetriebenen Mechanismus auch die Bewegungen der computergesteuerten Partnerinnen simulieren. Während die Hardware relativ ausgereift erscheint, mangelt es allerdings noch an passenden Spielen.
Da derzeit drei Personen an dem Projekt arbeiten, von denen genau eine für die Softwareentwicklung zuständig ist, darf man sich lediglich auf ein mitgeliefertes Spiel freuen, das zwar als Ein-Mann-Projekt durchaus überzeugen mag, als Stimulationshilfe ob der zum Teil kruden Grafik aber womöglich nur bedingt. Ungeachtet dessen war der Ansturm auf die Kampagne laut Aussage ihres Initiators so groß, dass diese kurzzeitig pausiert und einige Tage später mit einem höheren Finanzierungsziel neu gestartet werden musste. 82% der angestrebten 50.000 $ sind mittlerweile erreicht und es bleiben noch einige Tage, um das Projekt finanziell zu unterstützen. Vielleicht wird es also zumindest durch sein bloßes Überleben eine Revolution darstellen.
Erstaunlich ist, dass allderweil die Pornoindustrie im Zusammenhang mit VR-Sexspielen Zurückhaltung walten lässt. Zwar hat sie sich die Oculus-Rift-Technologie längst zu eigen gemacht und mit den VR-Pornos eine neue Sparte geschaffen; diese allerdings entfernen sich nicht allzu weit von den Ursprüngen des Pornofilms. Als immersive Erlebnisse angepriesen, bieten diese Videos lediglich durch eine verringerte Distanz zum Geschehen und die optionale Fleshlight-Unterstützung Neuerungen. Wird das mit Silikon ausgekleidete, taschenlampenförmige Gerät über die Vstroker-Erweiterung kabellos mit einem PC verbunden, können auch hier die Penisstöße erfasst werden und den Film “steuern”. In der Praxis bedeutet dies lediglich, dass die Partnerin über vorab aufgezeichnete Sequenzen etwa enttäuscht reagiert, wenn der Penis aus der (künstlichen) Vagina entfernt wird, oder ekstatisch, wenn die Penetration schneller erfolgt. Und der Orgasmus? Wird per Tasten- oder Knopfdruck ausgelöst und ebenfalls per Videoschnipsel dargestellt.
Sicherlich gerät der Pornokonsum dank einer solchen interaktiven Komponente zu einem intensiveren Erlebnis – mehr noch, wenn man durch das Tragen eines VR-Headsets die Umgebung ausblenden kann. Die Technik jedoch ist noch nicht ausgereift und stößt daher schnell an ihre Grenzen. Als größtes Problem gilt, ironischerweise, das ausbleibende Erleben zwischenmenschlichen Kontakts. Das Gezeigte korrespondiert eben nur bedingt mit der körperlichen Wahrnehmung, allen voran durch die fehlende Möglichkeit, andere Berührungen als die direkte Penetration vorzutäuschen. Doch Sex ist weit mehr als genitaler Kontakt. Er setzt sich aus zahlreichen Berührungen zusammen, die unterschiedliche Nerven reizen, überträgt Körperwärme und -flüssigkeiten – zahlreiche Eindrücke also, die dem VR-Sex noch fehlen. Bedingt dadurch erzielt auch die Nähe zur virtuellen Partnerin nicht immer den gewünschten Effekt:
Nathan Grayson “She got close. Really close. If she were a real person, we’d have been nose-to-nose. It was weirdly uncomfortable. My brain—only partially aware that what it was experiencing wasn’t real—surged its synapses with mixed signals, ones usually reserved for awkward encounters with actual humans. “Who is this person? You just met her. Why is she right in your face? Please step back please step back please step back she’s not stepping back. Why can’t you step back?” I could count the moments of eye contact in eternities, it felt so awkward.”
— kotaku.com
Gerade jetzt, da die Technik noch nicht ausgereift genug ist, um körperliche Nähe zu imitieren und damit dem realistischen Bewegtbildmaterial zu entsprechen, stellen Computerspiele eine gute Alternative dar. So sehr der grafische Fortschritt auch in Richtung Fotorealismus tendieren mag, sieht man aktuellen Experimenten ihre Künstlichkeit oft noch deutlich an – und das ist bisweilen auch gewollt. Anders als viele Pornovertriebe, die in ihren wenigen Gehversuchen mit Spielen lediglich klassische Pornos nachbauen und sich dabei wenig künstlerische Freiheit zugestehen, nutzen immer mehr Sexspielentwickler die Darstellungsvielfalt des Mediums, um ungewöhnliche Fantasien zu bedienen.
Da im Prinzip alles modelliert und für die sexuelle Interaktion zur Verfügung gestellt werden kann, ist Sex mit Fabelwesen, Menschen mit gigantischen Geschlechtsteilen oder amorphen Massen problemlos möglich. Zudem besteht die Option, ungewöhnlichen oder potenziell gefährlichen Sexpraktiken nachzugehen und damit Gelüste zu befriedigen, die im direkten Kontakt mit einem anderen Menschen nicht ohne Weiteres erfüllt werden können. Ob die Pornoindustrie selbst dieses bislang nur eingeschränkt genutzte Potenzial irgendwann erkennen und entsprechenden Projekten durch finanzielle Zuschüsse zu mehr Entwicklungsspielraum verhelfen wird, ist nicht sicher. Dennoch wird die Zukunft des virtuellen Geschlechtsverkehrs allmählich greifbar. Bis wir aber selbst die Möglichkeit bekommen, diese alternative Intimität zu erleben, dürfte noch viel Zeit vergehen.