Re: Balance of the Planet

Chris Crawford ist ein Pionier der Computerspiel-Industrie. Ein sympathischer, kauzig wirkender Mann, der seinen Idealen folgt. Spieleentwickler, Autor, Gründer der Game Developer Conference … und trotz aller Intelligenz und Reflektion partiell naiv und weltfremd. Dass sich mit Idealen weder Massen noch Gelder bewegen lassen, verdeutlicht nämlich Crawfords bald auslaufendes Kickstarter-Projekt Balance of the Planet. Ich mag Chris Crawford. Sehr sogar. Aber das ändert leider nichts an der Tatsache, dass der gute Mann in Bezug auf Gamedesign seit etlichen Jahren auf der Stelle tritt. Bereits in den Achtzigern forderte er mehr Mut zur Innovation, ignoriert selbst aber konsequent das Konsumverhalten der Spieler. Ein Scheitern ist da vorprogrammiert.

“This is no kid’s game: it’s a serious simulation.”

Balance of the Planet erschien ursprünglich 1990 und war schon damals ein Nischenprodukt. Es simuliert 80 verschiedene ökologische und wirtschaftliche Faktoren (z.B. Kohlendioxid-Emissionen, Luftverschmutzung, Wirtschaftswachstum, Anstieg des Meeresspiegels, Hunger, Bevölkerungswachstum) und soll — vereinfacht ausgedrückt — dabei helfen, die Probleme der Menschheit zu verstehen. Ein löblicher Ansatz, der nun von Chris Crawford neu aufgelegt werden soll, bei Kickstarter allerdings nur wenige Menschen zu begeistern weiß. Crawford äußert diesbezüglich Unverständnis.

Man muss kein begnadeter Spieledesigner sein, um die für das Scheitern verantwortlichen Faktoren zu erkennen. Crawford möchte auf die Probleme der Welt aufmerksam machen und scheitert an offensichtlichen Problemen, denen gegenüber er sich verschließt. Es fängt doch schon damit an, dass er nach heutigem Maßstab — bei allem nötigen Respekt — ein unglaublich schlechter Designer ist, dessen Fähigkeiten in Bezug auf Interfacedesign und Usability schlichtweg marktuntauglich sind. Die online verfügbare Alpha-Version des Spiels versprüht den Charme einer GeoCities-Homepage aus dem Jahre 1995. Visuell desaströs, inhaltlich unzugänglich. Wer das Original nicht kennt (und mochte), verliert sofort die Lust, ein mögliches Potential zu erforschen. Ganz zu schweigen von dem Kickstarter-Video, das bei aller netten Kauzigkeit nicht wirklich dazu beiträgt, dem Gegenüber Vertrauen zu schenken.

Chris Crawfords Erfolge in der Gamesbranche liegen viele Jahre zurück, der Vertrauensvorschuss vonseiten der Community ist minimal bis nicht existent. Hinzu kommt, dass Erfolg hier relativ gesehen werden muss, da der Spieleentwickler keine kommerziellen Erfolge in seiner Laufbahn zu verbuchen hat. Wer auf Spenden in Höhe von 150.000 Dollar hofft, muss demnach ein Produkt in der Schublade haben, das sich zumindest anteilig einen gewissen Zeitgeist zunutze macht. Hier wäre es beispielsweise ratsam gewesen, Crawford hätte sich mit einem Grafikdesigner zusammengeschlossen, der sein Handwerk versteht und somit eine ansprechende Verpackung beiträgt. Zur Veranschaulichung möchte ich Fate of the World erwähnen — ein Spiel, das auf einem ähnlichen Prinzip basiert, ohne den Augen der Konsumenten einer grausamen Folter auszusetzen.

Doch selbst mit Verstärkung und Fachkompetenz im Rücken wäre das Projekt sehr wahrscheinlich gescheitert. Bei Crawford hat man stellenweise das Gefühl, er würde mit versiegelten Ohren in einer Höhle sitzen und frei von Einflüssen der Gegenwart vor sich hinwerkeln. Ignoranz bedeutet Stillstand und Stillstand bedeutet Ignoranz. Diesen Faktor hat Chris Crawford in seine Rechnung leider nicht mit einbezogen — dabei hätte er nur seine Augen öffnen müssen.

(An dieser Stelle sei auch der aktuelle Stay Forver-Podcast empfohlen, in dem Gunnar Lott und Christian Schmidt u.a. auch über Crawford und sein Projekt sprechen.)