Silent Alarm: EA spannt mit der Waffenindustrie zusammen. Und keiner sagt was.
Die Geschichte scheint zu absurd, um wahr zu sein. Halten wir uns darum an die Fakten: EA beschloss unlängst, für die US-Werbekampagne des im Oktober erscheinenden Medal of Honor: Warfighter neue Wege zu gehen. Dazu gehört ein Programm, das einen Teil des Erlöses der Merchandiseartikel zum Spiel wohltätigen Zwecken (meist im Armee- oder Kriegskontext) zukommen lässt. Dazu gehören aber auch die Merchandiseartikel selbst, für die EA, wie „stolz“ auf der entsprechenden Website verkündet wird, Partnerschaften mit diversen US-Firmen eingegangen ist: Da ist etwa SOG, die sich spezialisiert haben auf die Produktion von Klingenwaffen und für EA eine exklusive, vollfunktionale Medal of Honor-Kampfaxt fertigen werden.
Oder die McMillan Group, die, wie EA enthusiastisch in einem Blogeintrag versichert, seit Jahrzehnten ein führender Produzent von Armeewaffen ist. Auch hier bedeutet Partnerschaft nicht lediglich, dass man zur Gewährleistung (respektive Vorspiegelung) von Authentizität Informationen von Waffenherstellern einholt. Links auf der EA-Seite führen vielmehr direkt zur Seite dieser Firmen, wo man die Vorbilder der fiktiven Game-Waffen für den eigenen Gebrauch bestellen kann – keine Nachbildungen, wohlgemerkt, sondern vollfunktionale, kriegstaugliche Maschinen- und Scharfschützengewehre. Man muss es wiederholen: Ein Computerspielhersteller fährt eine Werbekampagne für ein Spiel, die ohne wesentliche Umwege zugleich Werbung ist für den Kauf von einsatzfähigen (und das heisst natürlich: potentiell vollumfänglich tödlichen) Armeewaffen.
Als Ryan Smith von der Gameological Society diese Geschäftspraktiken vor einigen Tagen öffentlich in Frage stellte, schien ein Skandal vorprogrammiert. Umso irritierender ist es, dass ein Sturm der Entrüstung – der in der Regel weiß Gott nicht schwer zu entfachen ist in den game-affinen Teilen der Welt – bislang ausblieb. Liegt es daran, dass die Aufmerksamkeit anderen problematischen Ereignissen galt? Oder daran, dass die Game-Presse in dieser Woche geschlossen Richtung Köln blickt? Fest steht, dass weder die Kampagne noch Smiths Artikel bislang groß Wellen geworfen hat. Auf US-amerikanischer Seite etwa hat lediglich das Borderhouse die Geschichte angesprochen und sie als „verstörend“ bezeichnet. Dass sich einzig dieser Blog, eine Art Gewissen der Gaming-Blogosphäre, zu Wort meldet, mag allerdings auch ein Indiz sein für die in Sachen Waffenbesitz empfindliche politische US-Seele; ob die EA-Kampagne von all den stummen Seiten nun nicht als skandalös empfunden wird oder ob man sie aus Rücksicht auf potentiell vergrämte Leser nicht kommentieren will, ist schwer zu sagen.
Auffällig ist auf jeden Fall, dass die einzigen großen Publikationen, die sich mittlerweile zur Medal of Honor-Kampagne geäußerst haben, europäisch sind. Tom Bramwell fühlt sich für Eurogamer unangenehm daran erinnert, wie unterschiedlich die amerikanische und die englische Sensibilität trotz aller popkultureller Gemeinsamkeiten ist. Für ihn steht außer Frage, dass die Geschäftspraktik von EA mit dieser Aktion aufgehört hat, lediglich anstößig zu sein und anfängt, geradezu beängstigende Dimensionen anzunehmen. Und auch die britische Edge verurteilt EA aufs Schärfste: „Krieg ist, gelinde gesagt, ein widerliches Geschäft – dies ist nur einer von vielen Gründen warum wir nicht dem Militär beigetreten sind. Aber auch wenn die Werbung mit lizensierten Produktion nichts Neues für die Spieleindustrie darstellt und Warfighter bei weitem nicht der erste Shooter mit offiziell lizensierten Waffen ist, betritt all dies doch eine völlig neue Ebene. Wenn dies eure ‚Authentizität‘ ist, dann könnt ihr sie behalten.“
Dass die Kampagne eine moralische Grenze verletzt, ist das eine Skandalon. Für viele jens- und einige diesseits des großen Teiches ist es vielleicht auch keines; moralische Grenzen sind nunmal persönliche. (Und, um hier keine Zweifel aufkommen zu lassen: Ich persönlich schließe mich dem Urteil von Edge und Eurogamer an. Ich finde die Aktion bedenklich und ethisch verwerflich genug, um EA-Spiele künftig zu boykottieren.)
Das darf man natürlich auch anders sehen. Doch selbst wenn man seine Grenzen an anderer Stelle zieht, bleibt das zweite Skandalon: EAs Handeln ist unverantwortlich, eigennützig und extrem kurzsichtig. Was die Warfighter-Kampagne geradewegs gefährlich macht, ist exakt, dass es hier mitnichten um persönliche Dinge und Entscheidungen geht, oder auch nur um nationale. Was Electronic Arts – ein Name, der zunehmend zynisch wirkt – hier tut, kann Konsequenzen haben weit über den nächsten Geschäftsbericht und die eigenen Landesgrenzen hinaus. (Man kann sich entsprechend nur wünschen, dass die US-Geschäftsstelle von ihren internationalen Partnern zur Rede gestellt wird – wo ist Martin Lorber, wenn man ihn braucht?)
Wie Ryan Smith nämlich zu Recht bemerkt, pflegt die Game-Industrie zwar schon seit Jahrzehnten ein vollkommen unkritisches Verhältnis zur Waffen- und Kriegsindustrie – stellschweigend geduldet von Spielern wie ihm. Die Linie, die EA mit dem neuen Medal of Honor überschreitet, ist aber nicht bloß moralisch. Es ist vor allem auch eine Trennlinie, hinter der sich die Game-Industrie in Härtefällen immer wieder dankend zurückziehen konnte: Die zwischen Fiktion und Realität. Eine Grenze, deren Durchlässigkeit von der Wissenschaft bislang weder bewiesen noch widerlegt werden konnte – eine Grenze, die aber dennoch immer wieder predigend als Schutzschild herhalten musste, wenn überreizte Medien einen simplen Sündenbock suchten und ihn in der „Mord-Simulation“ Computerspiel fanden. Im verzweifelt anmutenden Versuch, sich von der Konkurrenz abzuheben, schießt EA nun der eigenen Industrie mit großem Kaliber vollautomatisch in den Fuß und gibt allen „Killerspiel!“-Schreiern zugleich ein Killer-Argument an die Hand. EA doch egal? Was aber, wenn jemand mit einer der angepriesenen Waffen einen, oder gar mehrere, Morde durchführt? Immer noch egal? Was, wenn im Zuge der Ermittlungen der Name Medal of Honor: Warfighter fällt? Dass dieses Risiko entweder übersehen oder kalkuliert in Kauf genommen wurde, kann einem, je nach moralischer Verfassung, die Galle hochbringen oder wenigstens den Kopf Richtung Tischplatte schleudern.
Electronic Arts wurde früher in diesem Jahr zum schlechtesten Unternehmen der USA gewählt. Für die Wahl ausschlaggebend waren damals verhältnismässig kleinliche Dinge wie missglückte Game-Enden oder fragwürdige Veröffentlichungspolitiken. Mit der Warface-Kampagne scheint EA zu versuchen, seinem Titel gerecht zu werden.