The Next Generation
“Generation” ist ein Begriff, der Identität und Zugehörigkeit konstruiert. Mitglieder einer Generation verbindet etwas, sei es das Alter, prägende Ereignisse oder ein bestimmter Lebensstil: Generation 60+, die Nachkriegsgeneration, Generation Golf, Generation der Digital-Natives. Vor allem aber soll der Begriff abgrenzen. Er zielt auf Unterschiede, die Generationen voneinander trennen, auf die Bedeutung von technischem und sozialem Fortschritt, nicht auf Kontinuität. Eine neue Generation geht stets einher mit Veränderung, großen Umbrüchen und welterschütternden Ereignissen. Herzlich willkommen, Xbox One und Playstation 4!
Die neue Generation wird prägend sein. Sie setzt mit der geballten Macht ihrer Hersteller und Unterstützer die Hard- und Softwarestandards für den Rest des Jahrzehnts und darüber hinaus – für die gesamte Spielebranche. Und wer in den nächsten Jahren ein Spiel entwickelt, der wird sich an den Geräten orientieren müssen, ob er will oder nicht. Denn die Ausstattung der Konsolen, vom Controller über die Laufwerke bis zu den Features der Grafikkarten und den Softwareschnittstellen, hat eine enorme Ausstrahlungskraft. Der Xbox-Controller ist nicht umsonst zu einem der beliebtesten PC-Eingabegeräte geworden, der auch von kleineren Indiespielen wie selbstverständlich unterstützt wird. Auch der Siegeszug der Achievements begann auf den Konsolen. Die Einführung des Xbox-Live Gamescores hat nicht nur Spiele nachhaltig beeinflusst, sondern auch die Art und Weise, wie gespielt wird. Nicht zuletzt definiert vor allem die Rechenleistung der Konsolen die Entwicklung von großen Spielen, da Leveldesign und Grafikqualität vielfach an technische Parameter gebunden sind. Die Besitzer von Grafikkarten mit großen Kühlern beklagen deshalb seit Jahren, dass Konsolenspiele nicht nur die PC-Fassungen von Spielen, sondern auch die gesamte Entwicklung von Grafikengines und PC-Hardware ausbremsen würden. Glück für den, der seit sieben Jahren nicht aufrüsten musste, um aktuelle Spiele zu genießen. Pech für den, der seine teure Technik ausreizen möchte.
Kurzum — egal wie man sich selbst positionieren mag, die großen Konsolen sind bedeutsam – für die ganze Spieleindustrie. Der Kampf, der um die nächste Generation geführt wird, hat schon darum eine gewisse Berechtigung.
Und was für ein Kampf das war! Microsoft gegen Sony – Nintendo weit abgeschlagen. Da ging es um den fairen Umgang mit dem Gebrauchtspielemarkt, um Kopierschutzsysteme, notwendige Internetverbindungen sowie diffuse Vertragsklauseln. Es ging um Überwachung und Sprachsteuerung, um Cloud Computing, Streaming und um American Football. Um Frameraten, Arbeitsspeicher und Auflösungen und darum, wer für die Konsolen eigentlich Spiele entwickeln darf, und ab und zu ging es sogar um Videospiele.
Während Nintendo weiterhin Spielzeug mit dem Mario-Gesicht verkauft, predigt Microsoft die alte Vision des digitalen Wohnzimmers. Das Fernsehgerät scharrt Menschen und Technik um sich und beschert ihnen Freude und Erleuchtung. Spiele, Internet und Kabelfernsehen in andächtiger Eintracht. Außerdem die letzte Chance, Microsofts Windows-Dominanz auf andere Sphären auszudehnen. Sony dagegen setzt auf Streicheleinheiten, um ihre strauchelnde Unterhaltunssparte zu retten: Keine bösen Veränderungen, nur mehr von dem, was ihr jetzt habt. Nur bitte, bitte kauft den Kram diesmal schneller, als PS3 und Vita. Kaufen, kaufen, kaufen! Unzählige Presseevents, Werbeoffensiven, Astroturfing, Spott und PR-Stunts (?) sollten dafür sorgen, dass Spieler und Spielerinnen eine Entscheidung treffen. Die richtige Entscheidung natürlich, bei der die Konkurrenz das Nachsehen hat.
@majornelson @PlayStation @amboyes Thanks Larry, your turn next week! :D
— Shuhei Yoshida (@yosp) November 15, 2013
Nach all den blutigen Kämpfen ist es darum eine schöne Geste, dass Xbox-Live Chef Larry “Major Nelson” Hryb seinem Konkurrenten Shuhei Yoshida von Sony Entertainment zum Start der Playstation 4 gratuliert. Doch es ist mehr als ein Zeichen von Respekt unter Erzrivalen. Denn selbst wenn beide für unterschiedliche Firmen arbeiten, spielen sie fürs gleiche Team: Team Next Generation. Beiden geht es darum, die bevorstehenden Veränderungen zu verkünden und die Konsolen zu einem Revolutionären Ereignis zu machen, das die kommenden Jahre bestimmt. “Generation” ist ein Kampfbegriff. Für welche man sich letzten Endes entscheidet ist zweitrangig, solange man sich nur entscheidet.
Congrats, @Xbox @Microsoft! #NextGeneration #GreatnessAwaits
— PlayStation (@PlayStation) November 22, 2013
Natürlich haben die neuen Konsolen für den Markt der Videospiele eine zentrale Rolle, aber sind sie wirklich das entscheidende, oder wenigstens ein sinnvolles Merkmal, um Videospiele historisch zu kategorisieren? Ich erkenne beispielsweise zwischen Nintendos ersten Konsolen, NES und SNES, mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Sie waren dominiert von spritebasierten Plattformern, Shootern, Brawlern und japanischen Rollenspielen. Der N64 wäre hier vielleicht das Gerät, das tatsächlich neue Akzente gesetzt hat, die sich sogar bis zur Wii U erhalten haben. Auch die Online-Fähigkeiten von Dreamcast und Xbox werden vielfach als generationsprägende Eigenschaft zitiert, doch gehörten sie bei ihrem Erscheinen schon lange zur Basisfunktionalität von PC-Spielen. Die Konsolen haben hier nur mit Technologie nachgezogen, die für Millionen Menschen bereits selbstverständlich war.
Ebenso stellen sich bei der aktuellen Generation Fragen nach der Bedeutung der Großkonsolen für die Spiele: War es Microsofts notorischer Kontrollzwang, der “Minecraft” zum Pionier des Alphafundings gemacht hat? War es die Instabilität von Sonys PSN-Dienst, die uns um World of Warcraft und eine ganzen Welle ewig gleicher MMOs bereichert hat? Lässt sich die Zugänglichkeit von “Gehirnjogging” und “Angry Birds” auf Kinect- und Move-Controller zurückführen? Sind es die großartigen Multimediafähigkeiten von Xbox 360 und Playstation 4, die Let’s Plays und Livestreaming zu medialen Massenphänomenen gemacht haben? Ist es die Offenheit der Konsolen, die zahllose Indie-Entwickler immer wieder dazu bringt, für Veranstaltungen wie den Ludum Dare neue Spielideen umzusetzen? War es die Facebook-App für Xbox-Live Gold Abonnenten, die den Social-Gaming Hype angefeuert hat? War es der nachrüstbare WLAN-Adapter, mit dem Microsoft mobilen Spielen zum Durchbruch verholfen hat?
Wenig von dem, was in den letzten Jahren an kreativen, interessanten und umwälzenden Entwicklungen in der Spielebranche stattgefunden hat, lässt sich auf jene Geräte zurückführen, die mit großem “Next Generation”-Getöse eingeführt wurden. Spannende Dinge passierten an anderen Orten, wo Touchscreeninterfaces ganz neue Zielgruppen erschlossen haben, wo Spieleentwicklung ohne teure Lizenzgebühren und exklusive Entwicklerhardware möglich war und wo Internet und soziale Netzwerke spielende und spielschaffende Menschen miteinander verbunden haben.
Es erscheint mir darum vermessen, von einer neuen Generation zu sprechen, wenn sich lediglich ein paar Chips in zwei identisch gestalteten Plastikgehäusen verändern. Wer kann jetzt schon sagen, welchen langfristigen Einfluss Xbox One und Playstation 4 haben werden, vor allem, wenn sie greifbare Entwicklungen wie Crowdfunding, E-Sport und Virtual-Reality ignorieren? Was, wenn sich das Smartphone-Konzept mit subventionierten Zweijahres-Zyklen und Wegwerf-Apps und auch im Wohnzimmer breit macht? Was, wenn die großen Publisher und Hersteller sich wieder übernommen haben?
Der Konsolenkrieg ist vor allem ein Krieg um die Definitionsmacht. Wer auf die “neuen” Konsolen setzt, der setzt auf Kontinuität, auf Beständigkeit, auf alles, was eben nicht neu ist. Es ist der langweilige Teil eines Generationswechsels. Der Teil, wo die nächste Generation trotz Sex und Designerdrogen die bürgerlichen Berufe und konservativen Ansichten ihrer Eltern übernimmt. Während das Marketing eine Revolution ausruft, verkauft es Nachfolgemodelle, Nachfolgespiele und Nachfolgekäufe. Das jährliche Call of Duty, die tägliche Runde FIFA… Halo, Killzone, GTA… die Fortsetzung des Lieblingsspieles und bekannter Kram bekannter Leute.
Völlig in Ordnung. Kauft was ihr wollt, wann ihr wollt (die neuen Wassereffekte sind ja auch wirklich hübsch!). Nur ginge das, mit Verlaub, nicht alles ein wenig leiser?