Wie Popstars, Indie-Bands und Newcomer das Videospiel als Medium
für ihre Storytelling-Kampagnen entdecken.
Nennen wir die Dinge direkt beim Namen: Es ist keine rühmliche Geschichte, auf die das Videospiel als Medium für wie auch immer geartete Werbebotschaften zurückblicken kann – zumindest, wenn man es einigermaßen diplomatisch artikulieren möchte. Etwas weniger versöhnlich betrachtet bleibt eigentlich nur die ernüchternde Erkenntnis, dass die Früchte dieser ambivalenten Liaison noch nie wirklich genießbar waren. Während der klassische TV-Spot als vergleichbares Medium im Laufe seiner Evolution immer öfter zur subversiven Kunstform erhoben wurde und in dieser Ausprägung bisweilen hitzige Debatten entfachen konnte, ist das Spiel zum Produkt nie über den Stellenwert eines (allenfalls) rein ästhetischen Statements hinaus gekommen. Dass man sich darüber genauso wenig beklagt, wie über die Qualität eines gratis Bleistifts von Ikea, liegt freilich in der Natur der Sache – die Erwartungen an ein Werbegeschenk halten sich nunmal in Grenzen.
Dass man von Konzernen wie Burger King oder Pepsi dementsprechend keine sinnliche Videospiel-Erfahrung erwarten kann – geschenkt. Doch während das gratis Corporate-Spiel als schnöder Halbton der Marketing-Klaviatur im Hause internationaler Brands ohnehin längst vom allgemeinen Getöse des F2P-Wahnsinns übertönt oder gar geschluckt wurde, hat eine ganz andere Branche die interaktive Unterhaltung als ulkiges Gimmick für sich entdeckt: die Plattenindustrie. Wieso nur ein Musikvideo zum anstehenden Album raushauen, wenn man auch gleich ein wenig vermeintlichen Geek-Zauber mit verkaufen kann? Denn: Nimmt man das alles dem nerdigen Dance-Produzenten nicht vielleicht doch ein bisschen eher ab als den gesichtslosen Fast-Food-Ketten und Getränkeherstellern? Um das herauszufinden, kann man sich mittlerweile eine ganze Reihe von Spielen anschauen, die zur Bewerbung von anstehenden Album-Veröffentlichungen ins Netz gestellt wurden – und von denen hier nachfolgend eine kleine Auswahl betrachtet werden soll.
Skrillex: Alien Ride (2014, Motim Technologies Limited, iOS/Android)
Videospiele stehen angeblich für Technologie und Fortschritt, dementsprechend naheliegend und gebräuchlich ist der Schulterschluss zur elektronischen Musik. Mit dieser Asteroids-Interpretation gewährte der brillige EDM-Prinz einen Vorgeschmack zu seinem damals aktuellen Albums Recess: Jeder absolvierte Level wurde mit einem Titel der Platte belohnt. Das mag origineller als der routiniert abgespulte Vorabstream beim Medienpartner sein, gestaltet sich in seiner rudimentären Mechanik aber allenfalls so unterhaltsam wie das Aufräumen eines zugemüllten Desktops und bleibt somit genau das, was hier bereits die Überschrift verspricht: ein liebloses Gimmick.
Big Grams: Super Grams (2015, Halo Media, Browser)
Big Grams ist eine Kollaboration zwischen dem New Yorker Indie-Pop-Duo Phantogram und Big Boi, besser bekannt als eine Hälfte von Outkast. Dass letzterer bereits vor einigen Jahren einen nur mäßig rühmlichen Videospiel-Auftritt hatte, wollen wir an dieser Stelle mal verschweigen nicht weiter ausführen. Einzig: Mit diesem uninspirierten Endless-Runner wird es leider nicht besser. Die zufällig generierten Level ergeben oft überhaupt keinen Sinn, die Steuerung ist schwammig und Motivation sucht man gleich ganz vergebens. Rap-Stars und Videospiele eben – ein äußerst schwieriges Verhältnis. Aber darüber reden wir mal an anderer Stelle.
Anamanaguchi: Capsule Silence XXIV (2016, NHX, Windows/Mac)
Den vielleicht unkonventionellsten Weg, neue Musik über ein Spiel zu verbreiten, dürfen vermutlich die Chiptune-Punks von Anamanaguchi für sich beanspruchen. Während andere ihre Spiele bevorzugt als isolierten Appetizer vorausschicken, machten die New Yorker ihre neue Musik ausschließlich über ein erratisches Sandbox-Game mit dem Titel »Capsule Silence XXIV« zugänglich – und inszenierten den Eklat gleich kurzerhand mit. So wurde das vermeintlich unfertige Spiel nach einem Disput mit dem angeblichen Entwickler NHX von der Band als “Pre-Alpha-Build” geleakt. Wer die 30 neuen Songs haben wollte, musste in der obskuren Welt von »Capsule Silence XXIV« die entsprechenden Tapes einsammeln und in einen Exporter einsetzen, um schließlich an die MP3-Files zu kommen.
Unknown Mortal Orchestra: Multi-Love (2015, Lionel Williams, PC/MAC/Unity)
Die vermeintliche Grenze zwischen Videospiel und interaktiver Erzählung ist bekanntlich des Öfteren Gegenstand ausufernder Kommentarspalten-Diskussionen, als manch einem lieb ist. Könnte man Lionel Williams’ Multi-Love auf Steam finden, dann wäre auch hier die Antwort auf die Frage, ob das denn überhaupt noch ein Spiel sei, relativ klar: niemals! Tatsächlich macht man in diesem surrealen Experiment nicht viel mehr, als sich bei automatisiert fortwährender Bewegung umzuschauen und die damit einhergehende Manipulation der Umgebung zu beeinflussen – also in etwa das, was Virtual-Reality aktuell noch über weite Strecken bietet.
Kavinsky: Kavinsky (2013, Visionaries 777, Android/iOS)
French House-Produzent Vincent Belorgey alias Kavinsky (»Night Call«) hat noch einen Hehl aus seiner Vorliebe für die goldene Arcade-Ära gemacht. Mit seinem 2013 veröffentlichten Album »OutRun« – einer Anspielung auf das gleichnamige, 1986 erschienene Rennspiel von Sega – war es dementsprechend an der Zeit, diese Affinität auch in Form eines eigenen Spiels zum Teil der entsprechenden Veröffentlichungsgeschichte zu machen. Das Potential lag auf der Hand, bedient sich die im Stil eines grellen B-Movies durchchoreografierte Inszenierung von Kavinsky doch ohnehin beliebten Motiven klassischer Prügelspiele. Sieht man mal von der widersprüchlich modernen Cell-Shade-Optik ab, ist es dem Entwicklerstudio Visionaries 777 dann auch tatsächlich gut gelungen, die Identität dieser Kunstfigur mit dem gleichnamigen Spiel einzufangen und in ein kurzweiliges Beat’em’Up mit Renneinlagen und Augmented-Reality-Spielereien umzusetzen.
Rustie: Green Language (2014, Hunter Loftis, Browser/Nicht mehr verfügbar)
Russel Whyte alias Rustie ist bekannt für seine experimentellen wie fordernden Interpretationen moderner HipHop-Spielarten, Hunter Loftis konnte wiederum mit einigen cleveren Javascript-Experimenten auf sich aufmerksam machen. Mit dem Spiel zu Whytes 2014 erschienenen Album “Green Language” kam beides zusammen: Ein pixeliger Walking-Simulator im Minecraft-Look, in dem es die Titel des besagten Albums zu finden galt, um sie noch vor der Veröffentlichung hören zu können. Das fügte sich ästhetisch gut in die Kampagne ein und wusste trotz der eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten durchaus zu unterhalten – nicht zuletzt, weil einem die Spielwelt bei zunehmendem Fortschritt mit einer verhältnismäßigen Komplexität und Tiefe überraschen konnte, die sich anfangs nicht wirklich erahnen lässt. Das Spiel ist inzwischen leider nicht mehr verfügbar, eine Nachfrage bei Entwickler Hunter Loftis blieb unbeantwortet.
Avicii: Gravity (2013, Hello There, iOS/Android)
Ähnlich wie in den vorangegangenen Fällen bedient sich auch EDM-Superstar Avicii mit seinem Mobile-Game an altbewährten Spielmechaniken, gilt es in Gravity doch einmal mehr die titelgebende Schwerkraft mit dem richtigen Timing zu manipulieren. Das macht man dann auch, um mit einem kleinen Polygon-Raumschiff verschiedene Sammelobjekte abzugreifen, während sich bei kontinuierlichem Fortschritt neue Layer aus Aviciis Musik übereinander legen. Soweit, so harmlos – bis man aus versehen in einem Shop landet, wo sich für bis zu 40 Euro unterschiedliche Pakete mit In-Game-Währung kaufen lassen und sich die quälende Frage stellt, wer denn bitte schön so viel Geld für ein Handyspielchen von Avicii ausgibt?
Kaytranada: 99.9% The Game (2016, Browser)
Niemand behauptet das Spiele kompliziert sein müssen. Aber eines der vielleicht interessantesten Alben des Jahres mit einem uninspirierten Flappy-Bird-Klon zu promoten, ist schlichtweg ärgerlich. Das Prinzip sollte bekannt sein: Um ein im Sturzflug befindliches Flugobjekt an den immer gleichen Hindernissen vorbei zu manövrieren, wird mehr oder weniger rhythmisch per Klick Aufschwung gegeben. Im Original imitiert diese Mechanik den Flügelschlag des titelgebenden Vögelchens, hier, nun ja, den Auftrieb eines Flugzeuges. Während die dem Album-Artwork entlehnte Optik durchaus ansprechend daher kommt, ist es kaum nachzuvollziehen, wie man hier ernsthaft eine solch nervtötende Musik wählen konnte. Siebzehn fantastische Tracks bietet das dazugehörige Album und alles was wir bekommen, ist diese enervierende 8-Bit-Emulation davon?
(Dis)honorable Mentions:
— Golf: Geheimnis
— Coma: My Orbit
— De La Soul: Pain
— Kanye West: Only One
— Gatekeeper: Exo
— Dan Deacon: Meme Generator
Ende.