5 aus 16: Daniel

Hallo, Jahresende jetzt! Abermals ist dies eine willkommene Zeit, um ein Fazit zu ziehen. Viele machen das. Ganz oft sagen dann die vielen, dass 2016 ganz furchtbar war. Aber eigentlich nur, wenn man weiß, was in der Welt so vor sich gegangen ist. Wer sich stattdessen in einem Atomschutzbunker mit den Spielen verschanzt hatte, die in den kommenden Tagen auch die Toplisten der Superlevel-Autorinnen und -Autoren ausfüllen werden, wird 2016 sicher in besserer Erinnerung behalten. Denn rein videospielmäßig betrachtet war das Jahr doch ganz okay.

Freut euch also über tolle Titel und die dazugehörigen Liebesbekundungen und vergesst bitte auch nicht, eure persönlichen “5 aus 16” in unserem schönen Forum zu hinterlassen. Sonst hätten wir das Thema ganz umsonst aufgemacht.


Duskers

Duskers ist Alien: Isolation mit den Mitteln eines Textadventures. Allein, im Weltraum, mal wieder. Ich würde ja schreien, aber es hört mich ja doch niemand. Also mache ich mich auf die Reise durch die unendliche Dunkelheit. Meine einzigen Begleiter sind ein paar treue, ferngesteuerte Drohnen, die für mich Rauschiffwracks nach wertvollen Ressourcen durchsuchen. Ich sitze also vor einer Kommandozeile und versuche mich daran zu erinnern, mit welchem Textbefehl ich sie steuere.

Duskers zwingt mich dazu, die Sprache des Spiels zu lernen, sie zu verinnerlichen, damit ich in der Lage bin, zu improvisieren, wenn um mich herum alles schief geht. Ich muss den Bildschirm lesen und meine Finger unabhängig vom Kopf tippen lassen, so, dass ich auch in einer hektischen sofort Stresssituation “navigate 2 r12; d8” auf dem Bildschirm erscheint und sich meine Drohne in Sicherheit bewegt. Vermutlich lenkt mich aber der rot blinkende Bewegungssensor ab, ich vertippe mich, die Tür schließt nicht rechtzeitig und meine Drohne ist tot.


ANATOMY

Die Architektur eines Hauses ist der des menschlichen Körpers nicht unähnlich: Die Treppe ist die Wirbelsäule, Flure sind die durchblutenden Adern, Küche und Bad sind der Verdauungstrakt und der Keller ist das Unterbewusstsein, voller verdrängter Erinnerungen. Natürlich dreht sich die Metapher während der Erkundung des leeren, dunklen, mutmaßlich umspukten Hauses in ANATOMY im Kreis und es geht letztendlich doch um den Horror des eigenen Körpers und das Misstrauen der eigenen Sinne.

Nach einer Stunde beendete ich ANATOMY zum zweiten mal, schaute auf meinen leeren Desktophintergrund und hatte das Gefühl, mein Bildschirm würde noch immer wie der kaputte Fernseher aus dem Spiel flimmern. Es brauchte erst einen kurzen, beruhigenden Spaziergang durch die hell beleuchteten Straßen Berlins, bevor ich in die Dunkelheit meiner Wohnung zurückkehren konnte, ohne paranoid vor jedem Geräusch zusammenzuzucken. Nicht, weil ich glaubte, dass da ein Monster sein könnte, sondern weil ich mir unmöglich sicher sein könnte, dass da keines wäre.


Obduction

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Obduction ist ein Spiel über Perspektiven. Um genau zu sein über die Veränderung der eigenen und wie schon eine kleine Anpassung des Blickwinkels die Umgebung in einem neuen Kontext erscheinen lassen kann. So prätentiös, so wörtlich ist es gemeint. Die Architektur von Obductions Welt ist ein Meisterstück, das mich an einer unsichtbaren Schnur hindurchzieht, in die nächste Sackgasse, nur um wie aus dem Nichts einen neuen Weg auftauchen zu lassen. Dabei habe ich nur in die falsche Richtung geschaut.

Obduction ist Cyans spiritueller Nachfolger von Myst. Viel mehr noch ist es eine direkte Fortsetzung von allem, was das 1997 erschienene Riven zu einem zeitlosen Spiel gemacht hat. Eine subtile, nuancierte Geschichte. Eine fremde und in ihrer Einsamkeit feindselig wirkende Welt. Eine unbehagliche Atmosphäre, die doch nie auf Horrorklischees zurückgreifen muss. Und vermutlich wird es Obduction ebenso ergehen, wie seinem Ahnen. Beide werden für immer im Schatten von Myst verblassen.


VA-11 HALL A: Cyberpunk Bartending Action

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Die Selbstbezeichnung als “Waifu Bartending” dürfte dafür gesorgt haben, dass VA-11 HALL-A außerhalb einer Anime-affinen Zielgruppe wenig Beachtung gefunden hat. Dabei handelt es sich bei der pixelartigen Visual Novel mitnichten um eine der vielen fragwürdigen Erotik-Dating-Simulationen, die sich sonst so im Angebot von Steam tummeln. Tatsächlich ist VA-11 HALL-A eine Sammlung von miteinander verwobenen Alltagsgeschichten einer düsteren Zukunft. (Und es hat wirklich niemand Sex.)

Die fiktive Dystopie entstand in einer realen: Entwickler Sukeban kommt aus Venezuela. Das macht all den Unterschied. Statt dem abgeklärten Sarkasmus eines Fallout herrscht in der hyperkapitalistischen Metropole Glitch City eine nahezu lähmende Melancholie. Programmierer Fernando Damas beschreibt die Einstellung als “Lachen inmitten der Verzweiflung”. Dieses Gefühl, diese Lebenseinstellung macht VA-11 Hall-A zu einer widersprüchlichen, einer optimistischen Dystopie. Denn wenn die Welt um uns herum in die Luft fliegt, müssen wir erst recht füreinander da sein.


The Flame in the Flood

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Rückblickend wirkt The Flame in The Flood fast schon prophetisch. In dem Survival-Spiel von The Molasses Flood ist von den USA nicht mehr übrig als ein zerstörtes Ödland. Eine Flut hat nicht viel vom “großartigsten Land der Welt” übrig gelassen als ein paar angeschwemmte Trümmerinseln. Der reißende Strom zieht sich gleichermaßen durch städtische und ländliche Regionen, diese Zerstörung kennt keine Trennung zwischen ländlichem und urbanem Amerika. The Flame In The Flood greift zurück auf reale Bilder der Flut von New Orleans vor mehr als zehn Jahren. Präsent sind sie immer noch.

We die so the others can be born, we age so the others can be young. The point of life is live, love if you can, then pass it on” singt die Londonerin Kate Tempest auf ihrem dystopischen Album Let Them Eat Chaos und fasst damit perfekt in Worte, was The Molasse Flood in ihrem Spiel ausdrücken. The Flame In The Flood fängt wie kein anderes Spiel den Zustand der USA am Ende des Jahres 2016 ein. Doch seine Botschaft wird in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen: Immer vorwärts, niemals zurück. Wenn nicht für uns selbst, dann für die, die nach uns kommen.