Trotz all der spannenden Vorträge und Workshops (hier findet ihr unsere Lieblinge vom Donnerstag und Freitag) ist das eigentliche Herz der A MAZE. / Berlin die Ausstellung im Urban Spree. In der gleichermaßen charmant wie hip heruntergekommenen Galerie werden unter anderem die für den Most Amazing Game Award nominierten Titel ausgestellt. Auf recht engem Raum entsteht aus Paletten, Monitoren, Leinwänden und teils recht eigenartigen Controllern ein Wunderland alternativer Videospiele. Die folgenden Titel haben einen besonderen Eindruck bei den anwesenden Superlevel-Redakteur_innen Sonja, Nina und Daniel hinterlassen.
DYO
Sonja Wild Eigentlich kennt die griechische Mythologie ja nur einen Minotaurus. In DYO, einem Spiel von Studierenden aus Berlin, suchen hingegen zwei Mensch-Stier-Wesen gleichzeitig den Ausgang aus ihrem labyrinthartigen Gefängnis. Gespielt wird der Puzzle-Plattformer mit geteiltem Controller, im Split-Screen-Modus und kooperativ, beide Minotauren müssen ihren Ausgang aus jedem Raum finden und benötigen dazu die Hilfe des anderen. Der wunderschöne Kniff des Spiels liegt dabei darin, dass die Grenze des vertikal geteilten Bildschirms durchbrochen werden kann: So kann und muss ein Minotaur zeitweise auf die Bildschirmhälfte des anderen wechseln, um die einzelnen Level abschließen zu können.
Für A MAZE-Verhältnisse mag DYO auf den ersten Blick eher unspektakulär wirken. Dabei war es neben dem mit einem WTF!-Award ausgezeichneten Lieve Oma einer der besten Beweise, dass Spielen eben auch nicht immer ein schon von weitem sichtbares hip! auf die Stirn geschrieben sein muss, damit sie das Medium voranbringen. Manchmal reicht schon eine Spielmechanik, die mit Gewohnheiten wie dem festen Split-Screen bricht und kooperatives Spielen neu denkt.
Genital Jousting
Nina Kiel “PENETRATION”, so ertönte es wieder und wieder aus den Lautsprechern, gefolgt von lautem Gelächter. Genital Jousting zog in diesem Jahr mitunter die meiste Aufmerksamkeit auf sich, weil es mit seiner Mehrspielerkompatibilität, den speziell angefertigten Dildocontrollern und einer generellen Schrulligkeit schlicht ein spielbares Kuriosum war – und Genitalwitze einfach immer ziehen. Ebenso schnell wie die lauten “Penis”-Rufe im Matheunterricht, verflüchtigt sich jedoch auch der Spaß am digitalen Penetrationswettbewerb. Genital Jousting ist ein netter Partygag und will vermutlich gar nicht mehr sein. Einen bleibenden Eindruck hinterließ lediglich der strenge Gummigeruch der Dildos, der noch über Stunden hinweg an den Händen haften blieb.
Badblood
Daniel Ziegener Badblood ist ein tödliches Versteckspiel, in dem zwei Spielende versuchen, sich umzubringen. So weit, so Videospiel. Die beiden Hälften des geteilten Bildschirms sind allerdings unterschiedlich ausgerichtet und erschweren so die Orientierung. Beide Figuren bleiben dabei auf der Seite des Gegenübers unsichtbar und so muss über beide Bildschirmhälften navigiert werden. Grabsteine und Zäune bieten Orientierungspunkte, aufgeschreckte Vögel oder raschelndes Gras verraten die Position des Feindes. Die Beobachtung der Umgebung und das abgewägte Vorgehen sind entscheidend, denn all zu schnelle Bewegungen erschöpfen die Figuren und machen sie so angreifbar.
Jeder erfolgreiche Mord wird als intime Nahaufnahme in all seinen brutalen Details gezeigt: Der Draht der Auftragsmörderin schneidet in den Hals des Opfers, während der “Botaniker” seine Gartenschere in dessen Bauch rammt. Motive für die Taten liefert das Spiel nicht. Diese werden durch den scharfkantigen Illustrationsstil zwar losgelöst von realer Gewalt dargestellt, bilden aber dennoch eine wirkungsvolle Erlösung von der vorangegangenen Anspannung der gegenseitigen Jagd. Die alleinige Entwicklerin Winnie Song hielt auf der Konferenz übrigens noch einen Vortrag, in dem sie ihre Wahrnehmung von Gewalt in Spielen ausführlicher erläuterte.
If Found, Please Return
Sonja Wild Ebenfalls mechanisch interessant, aber mit einem Fokus auf Narration war die spielbare Demo zu If Found, Please Return. Das Spiel wird ausschließlich mit der linken Maustaste und dem Scrollrad gesteuert und entwickelt sich wie auf einem Blatt Papier aus kleinen, skizzenhaften Szenen, die herangezoomt und ausradiert werden, um neue Elemente der Erzählung zu enthüllen. If Found, Please Return ist das neue Spiel von Llaura Dreamfeel, die mit Curtain beim letztjährigen A MAZE. / Berlin den Hauptpreis gewann, und der irischen Illustratorin Liadh Young, die für die unheimlich hübsche Gestaltung verantwortlich ist. Schon die Demo war eine fesselnde Erfahrung, die mich das fertige Spiel mit großer Spannung erwarten lässt.
Omnibus
Nina Kiel Ich weiß nicht viel über Omnibus – nur, dass es mich in den Wahnsinn getrieben hat. Unbeschwert flanierte ich am Samstagvormittag an den noch kaum belagerten Exponaten vorbei und stoppte eher spontan denn wild entschlossen vor diesem Titel, der mit thematisch ähnlich gelagerten Simulationen, in denen man den spannenden Alltag stets beneideter Arbeitnehmer authentisch nachstellen kann, reichlich wenig gemeinsam hat. Omnibus ist vielmehr der Goat Simulator der interaktiven Busreisen, stellt seine Spieler_innen vor Aufgaben, die es an Bodenständigkeit und Bodenhaftung gleichermaßen vermissen lassen.
Und man kann sich, zumindest für eine kurze Weile, gleichermaßen darin verbeißen. Bald durfte man mich mitleidig dabei beobachten, wie ich völlig verbissen und pöbelnd versuchte, den wackelnden Bus durch einen Parcours zu manövrieren, um mit der auf seinem Dach befestigten Rakete ein Feuerwerk zu entzünden. Noch deprimierender und lauter geriet die Darbietung, als es in einem anderen Segment galt, eine Gruppe wenig anschallfreudiger Touristen durch eine kleine Stadt voller Sehenswürdigkeiten zu fahren. Inmitten der tendenziell meditativen, ruhigen, bedachten Ausstellungsstücke der diesjährigen Ausstellung war Omnibus mit seinen fordernden Minispielen die einzig sichere Anlaufstelle für nervöse Zusammenbrüche. Zumindest das kann man dem Titel unumwunden attestieren.
DYG
Daniel Ziegener Ich mag Spiele, deren Konzept sich innerhalb einer halben Minute erschließen lässt. DYG ist so ein Spiel. Mit drei Tasten wird ein Feldarbeiter beim Ausheben eines Loches gesteuert. ➡️ mit der Schaufel ausholen ⬇️ Schaufel in den Boden Rammen ⬅️ Erde beiseite werfen. Und wieder von vorne. ➡️ ⬇️ ⬅️. Manchmal prallt die Schaufel an einem Stein ab, aber auch der lässt sich mit etwas Mühe überwinden. ➡️ ⬇️ ➡️ ⬇️ ➡️ ⬇️. Und weiter im Rhytmus, bis die Sonne untergeht. ➡️ ⬇️ ⬅️ Immer tiefer, je effektiver meine Finger diesen Rhytmus lernen. ➡️ ⬇️ ⬅️
Wenn das nach einer knappen Minute passiert offenbart das Spiel seine zwar wenig überraschende, aber dennoch wirkungsvoll inszenierte Pointe. Ist die Sonne untergegangen, lässt der Arbeiter erschöpft die Schaufel fallen und sich selbst gleich daneben. Das Loch ist ein Grab und das “Y” in DYG kein Tippfehler, sondern die Abkürzung für Dig Your Grave. Während der Pixelkörper zum Fraß für die Geier wird, erhebt sich ein Grabstein, der so hoch in die Nacht hineinragt, wie das Loch tief ist. Er markiert die Highscore des Spielers, der sich zu Tode gearbeitet hat.