Warum liegt hier eigentlich Stroh?
Ab einem gewissen Punkt war es mir dann doch egal. Das ganze Blut, die abgetrennten Gliedmaßen und all die Fliegen, die sich genüsslich über die Leichen meiner Opfer hermachen. Ja, Dishonored 2 ist wie sein Vorgänger ein wirklich imposanter Action-Schleich-Hybrid geworden, doch die Blase am Schnellladefinger deutet zaghaft darauf hin, dass mir die dezentere Vorgehensweise nicht sonderlich zu liegen scheint. Mussten also unzählige Menschen sterben, weil ich zu doof zum Leisetreten bin? Oder ist doch eher das Spiel doof?
Letzteres kann ja eigentlich gar nicht sein. Der erste Teil von Dishonored pustete schließlich frischen Wind in das zu schemenhaft geratene Stealth-Genre und war noch steampunkiger als Die Kassierer in einer finnischen Blocksauna. Dishonored 2 ist in allen Belangen noch mehr Dishonored, was demnach gar nicht schlecht sein kann. Statt abermals ausschließlich mit Corvo, der 15 Jahre nach seinem letzten Abenteuer von Joel aus The Last of Us dargestellt wird (weil Männer mittleren Alters in Videospielen nun einmal so aussehen müssen), kann man alternativ auch mit dessen Tochter Emily um die Häuser ziehen. Und Karnaca ist nicht nur der Begriff, den Else Kling in den 80ern für türkische Gastarbeiter in der Lindenstraße verwendete, sondern auch ein deutlich schönerer und abwechslungsreicherer Schauplatz als das bereits bekannte Dunwall, das man nur noch kurz in der Einleitung besucht.
Apropos Einleitung: Diese macht bereits früh deutlich, dass die Rahmenhandlung in Dishonored 2 so dünn ist wie ein Vorhautbändchen. Wichtige Charaktere werden erwähnt, doch für deren Motivergründung und Empathieentwicklung bleibt keine Zeit. So erfahre ich, dass Emily mittlerweile Kaiserin ist, beratend unterstützt von Papa Corvo, doch bevor ich das einzuordnen weiß, stürmt auch schon die böse Tante den Thronsaal und beansprucht den Thron für sich selbst. Zu Emilys Ungunsten sind in letzter Zeit einige ihrer Kritiker auf gewaltsame Weise verstorben und da das Volk sich bekanntlich nur über Fake-News auf Facebook informiert, scheint es den gewaltsamen Sturz der Kaiserin, welcher die Morde in die Stöckelschuhe geschoben werden, durchaus zu begrüßen. Noch während der Thronsaalbesetzung kann ich mir aussuchen, ob ich mit Emily oder Corvo den Herrscherinnensitz zurückerobern möchte, bevor der jeweils andere Charakter für den Rest des Spielverlaufs in Han-Solo-Manier in sowas wie Karbonit eingefroren wird. So wirklich einleuchtend und smart wirkt das erst einmal nicht, aber die Story war ja bisher selten das Glanzlicht der Bethesda-Titel, die sich in der Regel eher durch die immensen spielerischen Freiheiten definieren und auszeichnen.
So ist auch bereits die Wahl des Avatars eine, die grundlegende Auswirkungen auf den Spielverlauf hat. Noch während der Flucht aus Dunwall bekomme ich Besuch vom sogenannten Outsider, der mir ähnliche magische Kräfte offeriert, die auch die throngeile Tante in der Einführungssequenz demonstriert hat und deren Ausprägungen sich je nach Charakter teils deutlich unterscheiden. Ich nehme das Angebot an, nachdem ich bei meinem ersten Anlauf als aufgeklärter Weltbürger diesem mystischen Schabernack noch entsagte und dies in der Folge bitter bereute. So ist es zwar möglich, das Spiel auch ohne den ganzen Magiekram wie Teleportation, Besitzergreifung von Mensch und Tier und dergleichen durchzuexerzieren, aber für mich ging auf diese Art ein wesentlicher Teil des Spiels verloren.
Schließlich erleichtert die Hexerei nicht nur das Vorankommen enorm, sondern formt am Ende auch die eigene Vorgehensweise, die wiederum den Spielausgang maßgeblich prägt. Womit ich wieder am Anfang des Artikels angelangt wäre. Denn mein Vorhaben, möglichst unauffällig und gewaltlos vorzugehen, fühlte sich ab einem gewissen Zeitpunkt derart mühselig und belohnungsarm an, dass ich mit der doch eigentlich so barmherzigen Ex-Kaiserin teils riesige Bevölkerungslöcher in die dicht besiedelten Gebiete schoss, um diese endlich hinter mich zu bringen. Dishonored 2 wirkt wie die Blaupause für das klassische Konzept spielerischer Freiheit, die für eine möglichst große Zielgruppe den kleinsten gemeinsamen Nenner ausmachen soll.
Doch gute und plausible Geschichten funktionieren in der Regel nicht, wenn man parallel Pazifist und Splatter-Fanatiker, gut- oder unbarmherzig, nur ein Schatten oder die Alarm-Sirene in einem Song der Hot Banditoz sein kann. Dringlichkeit und eine Identifikation mit der eigenen Aufgabe entstehen nicht, wenn man wieder einmal sämtliche Level mit Sammelkram für Upgrades zupflastert, die von dem eigentlichen Weg ablenken. Immersion bricht, wenn altbackene Spiellogik immer noch als fauler Behilfsweg für die eigentlich redundante Ressourcengewinnung herhalten muss und sich Wertgegenstände wie Gemälde und Badezusätze(?!) beim Aufheben in Goldmünzen verwandeln. Und warum bläst mir eigentlich niemand einen, wenn ich auf die ständig wiederkehrende Frage, weshalb ich eine Maske aufhabe, gegenfrage, warum hier eigentlich Stroh rumliegt? Stimmig geht auf jeden Fall anders.
Dishonored 2 ist letztlich eines dieser Hansdampfinallengassenspiele, die vieles ziemlich gut machen, aber nichts wirklich herausragend. Für konsequente Schleicherfolge ist das Entdeckungsverhalten der Wachen zu inkonsistent, für schnittige Action das Kampfsystem zu skyrimmig und unangemessen brutal. Der Titel bedient sich somit einer streng konservativen Erfolgsmasche, die trotz aller Kritik auch tatsächlich zieht, da sie im Gesamtbild gesehen sehr gelungen umgesetzt wurde. Es ist also in der Tat kein doofes Spiel, sondern eine spielbare Tarantino-Neuinterpretation der Sissi-Filme, wenn man so will. Man weiß, was man bekommt und man nimmt alles mit, doch wenn der Abspann läuft muss man einsehen, dass man sich alles nach Reservoir Dogs auch hätte sparen können.